Süddeutsche Zeitung

Kleine Altstadtgalerie:Wenn der Klang errötet

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Die Grafikdesign-Studentin Kristina Seeholzer macht Musik sichtbar. Mit großformatigen Bildern präsentiert sie in ihrer experimentellen Ausstellung akustische Vielfalt. Zu sehen ist dies in der Kleinen Altstadtgalerie

Von Gregor Schiegl, Dachau

Manche Leute können Töne schmecken oder sehen sie als Farben; solche Leute nennt man Synästhesisten. Es gibt und gab sie auch immer schon unter Künstlern: Goethe war so ein neurologisches Kuriosum, Franz Liszt ebenso und Jimi Hendrix. Manche versuchten, ihre Synästhesie in ihre Kunst zu integrieren, etwa der russische Komponist Alexander Skrjabin mit seinem "Prometheus", einem Orchesterwerk, das den Einsatz eines neuartigen Farbenklaviers vorsah. Dass sich solche Konzepte nie richtig durchsetzen konnten, hat seine Gründe: Die wenigsten Menschen sind Synästhesisten, und auch Synästhesisten haben unterschiedliche Ansichten darüber, welcher "Farb-Ton" denn nun der Kammerton A auf der Geige habe oder das gestrichene C am Klavier.

Nicht intuitiv-subjektiv aus dem Bauch heraus, sondern methodisch mittels einer technischen Versuchsanordnung macht die 25-jährige Grafikdesign-Studentin Kristina Seeholzer aus Dachau Musik sichtbar - und zwar für jedermann. Die künstlerisch nachbearbeiteten Resultate ihrer Studie sind noch bis Ende Januar in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen. Die Ausstellung mit dem Titel "Klangbilder - Visualisierung von Sound" ist zugleich praktischer Teil ihrer Bachelor-Arbeit. Das Thema ihrer Arbeit klingt ein wenig sperrig: "Eine Inszenierung von akustischen Signalen auf der Basis einer geschichtlichen Untersuchung der Visualisierung von Klang". Aber die Idee dahinter ist spannend: Ist die Musik von Mozart wirklich schöner als die von DJ Ötzi - wenn man sie nach einer ganz objektiven Methode in Bilder übersetzt? Wie viele Übereinstimmungen gibt es zwischen Helene Fischer und Marilyn Manson? Und kann man die Bilder zurückübersetzen in die ursprünglichen Klänge?

Wer die großformatigen Bilder auf schwarzem Hintergrund sieht, ohne zu wissen, wie Kristina Seeholzer vorgeht, wird erst einmal verwirrt sein, was das alles mit Musik zu tun haben soll. Man sieht Muster, aus versetzten Ellipsen, die an das uralte ARD-Pausenzeichen erinnern, bauchig verdrehte Gittermuster, die irgendein Kosmologe für eine Raumanomalie angefertigt haben könnte. Und dann gibt es auch vier Varianten von mehr oder minder kreisförmigem Gekrakel, als hätte sich ein Dreikäsehoch mit einem grünen Schreibstift ausgetobt. Und man fragt sich: Ist das vielleicht wieder so ein elendsnerviges Kinderlied von Rolf Zuckowski? - Ganz bestimmt!

Das Prinzip, nach dem die Bilder entstehen, ist simpel: Auf eine Lautsprecherbox wird ein Spiegel geklebt, auf den ein Laser gerichtet ist. Der Strahl wird auf eine gegenüberliegende milchige Plexiglasscheibe gerichtet. Die Schwingungen des Spiegels bildet der Strahl ab wie ein Zeichenstift; so malt er Punkte, Kreise, Achter und andere Figuren. Vieles ist mit bloßem Auge nicht zu sehen, so schnell schwingt der Spiegel. Ganze Sinfonien lassen sich so nicht sinnvoll abbilden, lediglich Soundschnipsel. Aber selbst Zwei-Sekunden-Visualisierungen eröffnen einen erstaunlichen Einblick in eine musikalische Welt, in der es alles gibt vom totalen Chaos bis zu erhabener Harmonie. Besonders frappierend ist die Figur, die Kristina Seeholzer selbst "die Sound-Zwiebel" nennt. Sie sieht aus wie eine exakte Vorlage einer Knoblauchzwiebel für den 3-D-Drucker.

Diese formvollendeten Wunder sind vor allem elektronischer Musik zu verdanken, die von Haus aus höchst artifiziell ist. Teilweise hat Kristina Seeholzer gezielt mit Klängen experimentiert, um schöne und interessante Figuren zu erzeugen. An der Farbgebung der Linien kann man erkennen ob es sich um künstlich erzeugte Frequenzen (weiß), chaotische Musikstücke (grün) oder Mischformen (rot) handelt. In der Gesamtheit erstehen Resultate von bizarrer Ästhetik. Was einen sofort wieder zur Ausgangsfrage zurückführt: Mozart oder DJ Bob? Wer gibt am unbestechlichen Laserstrahl die bessere Figur ab?

Diese Antwort bleibt offen. In ihrer Bachelor-Arbeit kommt die Studentin selbst zu dem Fazit, dass sich aus den grafischen Visualisierungen kein "direkter Zusammenhang zur Musik" feststellen lasse. Die Erwartung, dass man zumindest genretypische Muster isolieren könnte, hat sich ebenfalls nicht bestätigt, das hat Kristina Seeholzer selbst erstaunt. Doch das eigentliche Ziel ist erfüllt: die "akustische Vielfalt" der Musik aufzuzeigen. Man sieht ihre Komplexität und Schönheit, und vielleicht ist das auch Teil ihres Zaubers - dass sie sich ihrer letztgültigen Entschlüsselung so beharrlich entzieht. Eine experimentelle Ausstellung an der Schnittstelle von Kunst, Design und Wissenschaft.

"Klangbilder - Eine Visualisierung von Sound". Ausstellung von Kristina Seeholzer in der Kleinen Altstadtgalerie. Zu sehen bis 28. Januar.

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SZ vom 02.01.2018
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