Kleine Altstadtgalerie:Mein Bayern

Der Bildhauer Jürgen Lingl-Rebetez lebt in Frankreich und kommt alle zwei Jahre zurück nach Dachau in die Kleine Altstadtgalerie. Diesmal fabuliert er tierisch über sein Heimatland.

Wolfgang Eitler

Kleine Altstadtgalerie: Dachau  Kleine Altstadt Galerie Jürgen Lingl-Rebetez, FRA npj / Foto Jørgensen

Dachau Kleine Altstadt Galerie Jürgen Lingl-Rebetez, FRA npj / Foto Jørgensen

(Foto: © joergensen.com)

- Auguste von Bayern, die älteste Tochter von Luitpold Prinz von Bayern und Prinzessin Beatrix, ist zwar eine international anerkannte Wissenschaftlerin, die im englischen Oxford über die Intelligenz von Raben geforscht hat. In Herzogenaurach soll ein Rabe sogar einen Postboten mit dem typisch bayerischen Namen Mehmet Altintas begleiten. Aber ein wirklich enger Zusammenhang zwischen dem Freistaat, dessen Kultur, dessen Geschichte und diesem Tier drängt sich nicht auf. In den nordischen Mythologien dagegen ist die Vogelart stärker vertreten. Gott Odin lässt zwei von ihnen jeden Tag ausfliegen, damit sie ihm die neuesten Nahrichten bringen. Trotzdem präsentiert Bildhauer Jürgen Lingl-Rebetez in seiner Ausstellung mit dem Titel "Bayern" in der Kleinen Altstadtgalerie in Dachau eine Gruppe aus drei schwarzen Vögeln.

Sind die Raben womöglich Spione von den Ländern oberhalb der Mainlinie, die wissen wollen, was im Freistaat so läuft? Oder sind sie aus Frankreich von der Atlantikküste herübergeflogen, wo der Bildhauer lebt, um die bayerische Lebensart zu beurteilen? Geboren ist der Künstler in Dachau. Sein Vater Hans Lingl ist Bürgermeister in Röhrmoos. Alle zwei Jahre stellt der 41-jährige Künstler bei Frank Donath aus. Es gibt wohl keinen beliebteren in der Dachauer Hemisphäre als Lingl-Rebetez. Auf der Vernissage am vergangenen Sonntag war die Altstadtgalerie berstend voll.

In seiner Dachauer Ausstellung fabuliert Lingl-Rebetez: Da zittert ein Angsthase vor einem Fuchs, der ganz lieb und treuherzig schaut. Wer jemals leidvoll erlebt hat, was ein Dackel mit Schuhen macht, die unbeobachtet im Flur stehen, fällt auf dessen warmherzigen Blick nicht mehr herein. Die Ratz tanzt sich mondsüchtig gegen den Himmel, während das bayerische Fabelwesen, der Wolpertinger, leicht hinterfotzig in sich hineinblickt. Schließlich zeigt ein Löwe demonstrativ sein mächtiges Gebiss, aber die Augen sind von einer Sanftheit, dass sie dem Ochsen gegenüber gleichen. So richtig bayerisch wirkt dessen Schädel wegen des filigranen Halsansatzes nicht, zumal bayerischen Politik stets eine gewisse Stiernackigkeit zugesprochen wird. Obwohl: Der balzende Auerhahn könnte durchaus als Sinnbild unseres bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer von der CSU durchgehen, wie er sich nach oben reckt und streckt, immer auf eine überraschende Solonummer bedacht. Und wenn sich der Ministerpräsident tätowieren tät', dann sicherlich mit der bayerischen Raute wie der Auerhahn.

Ein Gockel ist solchermaßen in seine Überheblichkeit verwickelt, dass er blicklos für die Welt um sich ist. Bekanntlich haben die Franzosen gemeinsam mit Napoleon die Zentralverwaltung in Bayern eingeführt und damit auch den Gallischen Gockel, mit der Folge, dass der Staatsapparat seit mehreren Jahrhunderten alles besser weiß. Es ist verbürgt, dass ein hoher Beamter des Kultusministeriums einst folgendes Bonmot im bayerischen Landtag geprägt hat: "Wenn der Minister spricht, spricht der Minister, wenn ich spreche, spricht das ganze Haus." Allerdings sind all diese tierischen Eigenschaft nur allzu menschlich, damit sicher nicht nur bayerisch.

Erst durch die Machart der Skulpturen aus Holz und Bronze wird der Ausstellungstitel sinnfällig. In ihrer Rede auf der Vernissage hat SZ-Kritikerin Bärbel Schäfer ihre Faszination für den Bildhauer ausgebreitet. Dessen Arbeiten bestechen "durch die Spannung, die Derbheit und gleichzeitige Präzision". Die zerklüftete Oberfläche, die durch den Einsatz der Kettensäge entsteht, wird mit farbiger Fassung und einer feinen, kaum sichtbaren Bleistiftzeichnung verlebendigt. Die Bronzeabgüsse, es sind drei Stück, werden von der Holzskulptur abgenommen, so dass auch sie eine holzartige Oberfläche haben. Zusammenfassend sagte Bärbel Schäfer: "Die Skulpturen drücken eine Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Dramatik aus, wie wir sie nur aus der Kunst des Barock kennen."

Aber es ist nicht das krachlederne Bayern des Oktoberfests. Die Patrona Bavariae ist irdisch und heilig zugleich und wegen des ansprechenden Dekolletés eine Hommage an die bayerische Kellnerin. Das Dachauer Dirndl blickt nach Innen und gleicht einem Engel, obwohl ihr das Verführerische nicht fern ist. Jürgen Lingl-Rebetez zeichnet das Bild einer versonnen-bayerischen Lebenskultur, fast wia im wirklichen Lebn. Deswegen schauen Löwe und Ochs so sanft drein.

Und dann sind da noch die Raben. Der Bildhauer erklärt deren Anwesenheit in der Altstadtgalerie mit einer Kindheitserinnerung an weite Felder voller dunkler Vogelschwärme in Dachau-Süd. Außerdem will er dem intelligenten Vogel zu seinem Recht in Bayern verhelfen. Früher wurde er wie Katzen an die Scheune genagelt. Aber diese Erklärung reicht nicht aus. Vielmehr blicken die Raben mit erhobenen Schnäbeln über die sonstige Konferenz der Tiere in der Altstadtgalerie hinweg und bilden die Rahmenhandlung als kritische Instanz darüber, was nun als bayerische Lebensart zu beurteilen ist.

Sie unterscheiden sich von den übrigen Skulpturen auch durch die Gestaltung, die sich an die Tradition der gegenständlichen Kunst der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland anlehnt. Sie bilden eine formale Einheit aus Linien und Sichtbeziehungen, während die sonstigen Skulpturen ihre vereinnahmende Wirkung aus Wucht der Machart erzielen. Darin liegt ihre unmittelbare Wiedererkennbarkeit als Werke von Jürgen Lingl-Rebetez begründet. Bis Sonntag, 23. Dezember.

Jürgen Lingl-Rebetez. "Bayern". Kleine Altstadtgalerie, Burgfriedenstraße 3, Donnerstag, 18 bis 21 Uhr, Freitag, 18 bis 20 Uhr, Sonntag 14 bis 16 Uhr.

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