Süddeutsche Zeitung

Klage gegen Bescheid des Freistaats:Mangelhafte Diagnose

  • Die Polizistin Cornelia S. hat gegen einen Bescheid des Freistaates geklagt, der sie als labile Persönlichkeit eingestuft hat. Aufgrund dieses Gutachtens ist sie zum Juli 2014 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen worden.
  • Vor dem Verwaltungsgericht München bekam sie nun Recht. Der Richter bezeichnete das Gutachten als "mangelhaft" und "nicht nachvollziehbar".

Von Walter Gierlich, Dachau/München

Die junge Frau will Polizistin werden. Und das kann Cornelia S. auch. Denn zwei Tage vor dem Heiligen Abend beschert ihr Richter Dietmar Zwerger vom Verwaltungsgericht München ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk. Er zerpflückt regelrecht den Bescheid des Freistaats Bayerns, nach dem sie zum Juli 2014 ihre Ausbildung beenden muss und aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen wird. Das dem Bescheid zugrunde liegende Gutachten einer Amtsärztin bezeichnet der Richter als "mangelhaft" und "nicht nachvollziehbar". Familie und Freunde, die die Zuschauerbänke im Gerichtssaal füllen, beglückwünschen sie und fallen ihr nach der Entscheidung um den Hals.

Cornelia S. hat im September 2012 bei der Bereitschaftspolizei in Dachau mit ihrer Ausbildung für den Polizeidienst begonnen. Ein Jahr später wird sie ins Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. Doch im Mai dieses Jahres erhält sie den Bescheid, dass im Juli 2014 Schluss sein soll. Sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Übernahme ins Beamtenverhältnis geeignet, heißt es in dem Bescheid. Sie erhebt Anfang Juni Klage gegen den Bescheid, an dessen Rechtmäßigkeit eine Kammer des Verwaltungsgerichts in einer Eilentscheidung erhebliche Zweifel hegt, wie Richter Zwerger am Montag zu Beginn der Verhandlung erläutert.

Mangelnde Eignung wegen akuter Erkrankung

Er erklärt auch, dass die Kammer der Ansicht war, dass der Fall so klar liege, dass er von ihm als Einzelrichter behandelt werden kann. Und tatsächlich bestreitet der Richter nahezu die gesamte einstündige Verhandlung im Alleingang und geht dabei mit dem entscheidenden Gutachten vom Februar 2014 im wahrsten Sinne des Wortes hart ins Gericht. Die Entlassung eines Beamten auf Probe sei aus drei Gründen möglich: Wenn er erstens fachlich, zweitens charakterlich oder drittens gesundheitlich nicht geeignet ist. Paradebeispiel der Gründe für Beamte, die aus Gesundheitsgründen nicht bis zur Pensionierung durchhalten, sei stets Übergewicht gewesen. Seit einer Lockerung durch den Bundesgerichtshof seien die Fälle "sehr stark zurückgegangen". Noch seltener werde mangelnde Eignung mit einer akuten Erkrankung begründet wie in diesem Fall.

Für die angehende Polizistin liegen dem Gericht drei Gesundheitszeugnisse einer Amtsärztin vor: Danach war sie am 7. November 2013 noch geeignet für den Polizeidienst. Doch nach einer für ihn schwer erklärbaren Kehrtwende um 180 Grad meldete die Medizinerin nur gut einen Monat später, am 9. Dezember, erhebliche Bedenken an der Eignung an. Bis zum Februar 2014 hatten sich diese in einem Gutachten, das allein nach Aktenlage erstellt wurde, für die Ärztin zur Gewissheit verdichtet, dass die junge Frau, die vorher durchwegs positive Beurteilungen erhalten habe, wegen ihrer labilen Persönlichkeit für den Polizeivollzugsdienst, aber auch den -verwaltungsdienst ungeeignet sei. Eine längerfristige Beobachtung, die notwendig sei, um die Eignung für die Anstellung auf Lebenszeit zu prüfen, habe die Polizeiärztin dem Gutachten nicht zugrunde gelegt, monierte Richter Zwerger. Ebenso sei die "Tatsachenlage nicht sauber geklärt".

Ungeeignet wegen Vorfall beim Stresstraining

Der Hauptgrund, warum Cornelia S. ungeeignet sein sollte, liegt in einem Vorfall, der sich beim Stresstraining ereignet hat. Dabei müsse die Beamtin in Abwehrhaltung gehen, während der Ausbilder auf sie einprügle. Sie sei weinend davongelaufen. S. machte in ihrer Klage aber geltend, dass sie mit dem Kopf an die Wand geknallt sei und sich dabei eine Gehirnerschütterung zugezogen habe. Ein Attest, an dessen Glaubwürdigkeit die Vertreter des Freistaats jedoch zweifeln, belegt das. Sehr zum Unwillen des Richters: "Wenn ein Arzt ein Attest ausstellt, denkt er sich was dabei. Das kann man nicht so einfach übergehen." Dass Cornelia S. schon am nächsten Tag wieder im Dienst war, nennt er "überkompensatorisches Verhalten".

Geradezu ärgerlich reagiert Richter Zwerger, als die Vertreterin des Staates blutige Taschentücher als Beleg für gesundheitliche Probleme heranzieht, die man im Papierkorb der jungen Polizistin gefunden habe. Sie sei in ihrer Freizeit im Rettungsdienst tätig und habe nach einem Einsatz ihre Tasche ausgeräumt, stellt er klar. "Eine klare Diagnose bezüglich der Auffälligkeiten ist nirgends in den Akten zu finden", betont er nachdrücklich. Für die von der Staatsvertreterin angeregte Einholung eines weiteren Gutachtens sieht der Richter nicht den geringsten Anlass. Er hebt den Bescheid vom Mai 2014 auf und bürdet dem Staat die Kosten des Verfahrens auf.

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SZ vom 23.12.2014/lime
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