Kirchenmusik:Orchester aus 1740 Pfeifen

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Prachtvoller Klang: Organist Norbert Engelbrecht am Spieltisch der erneuerten Staller-Orgel in Heilig Kreuz. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wegen Schimmelbefall hatte die Staller-Orgel der Kirche Heilig Kreuz komplett auseinandergebaut werden müssen. Nun ist sie wieder im Einsatz - und sie klingt besser als zuvor. Gerade jetzt wird das Instrument dringend gebraucht.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Es klingt wie ein Märchen aus längst vergangenen Vor-Corona-Zeiten. 1999 wurde die neue Orgel in der Dachauer Pfarrkirche Heilig Kreuz eingeweiht: mit einer feierlichen Messe, mit einem großen Fest und mit zahlreichen Konzerten. 22 Jahre später wurde die Staller-Orgel mit ihren 1740 Pfeifen, für deren Einbau der Kirchenraum seinerzeit sogar teilweise umgebaut werden musste, am vergangenen Samstagabend wieder eingeweiht - im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes, aber ohne Konzert - was den bekannten Corona-Bedingungen geschuldet war.

Doch warum diese Wiedereinweihung? Was war geschehen? Kirchenmusiker Norbert Englbrecht kennt die Antwort: Sämtliche Pfeifen mussten ausgebaut und gereinigt werden, da sie massiv von Schimmel befallen waren. Den Grund dafür vermuten Experten in den räumlichen Bedingungen des 1964 geweihten Gotteshauses. Der auffällige Orgelprospekt, also die Schauseite der Orgel, ist eines der wenigen hölzernen Elemente im Gebäude. Und zieht daher Feuchtigkeit fast magisch an. Die Fachleute der mit der Sanierung beauftragten Augsburger Firma Orgelbau Knöpfler hatten außerdem noch weitere Mängel entdeckt. So habe "die erste Reihe der sichtbaren Pfeiler eine Neigung in Richtung Altar entwickelt", sagt Norbert Englbrecht. Diese habe "man zwar nur mit der Wasserwaage" feststellen können, aber die Orgelpfeifen hätten weiter in Schieflage geraten können. Und das hätte durchaus gefährlich werden können. Über ein weiteres Fein-Tuning freut sich der Kirchenmusiker ganz besonders: Die Orgelregister wurden vom Klang her eingepasst, sie seien zu laut gewesen, sagte er. Insgesamt rechnet er mit Renovierungskosten von 30 000 bis 40 000 Euro, die die Pfarrgemeinde aufbringen muss.

"Meine Orgel ist ein Orchester"

Doch Englbrecht ist glücklich, dass er nicht mehr auf dem Provisorium Truhenorgel seitlich des Altars spielen muss, sondern nach gut zweieinhalb Monaten die Königin der Instrumente wieder in ihrer ganzen Pracht erklingen lassen kann. Dafür hatte er am Samstagabend das Choralvorspiel "Wachet auf, ruft uns die Stimme" aus der gleichnamigen Kantate BWV 140 von Johann Sebastian Bach ausgewählt sowie César Francks Choral Nr. 3 a-moll für Orgel. Bachs bekanntes Choralvorspiel gehört zur Advents- und Weihnachtszeit wie Stollen und Plätzchen, um es etwas flapsig auszudrücken. Englbrecht erfüllte das strenge, fast puristische Kircheninnere mit Wohlklang und einer friedvollen, tröstlichen Atmosphäre der Vorfreude, allen momentanen Widrigkeiten zum Trotz. Mit Francks Orgelchoral a-moll zeigte der Kirchenmusiker mit seinem kraftvoll-empathischen Spiel die ganze Großartigkeit dieser symphonischen Dichtung. Und das ganz im Sinne des Komponisten, der einmal gesagt hatte: "Meine Orgel ist ein Orchester."

Dass sein "Orgel-Orchester" nun wieder in voller Pracht erklingen kann, tröstet Englbrecht auch etwas über die schwierigen Bedingungen hinweg, unter denen er jetzt mit Musikerinnen und Musikern, Sängerinnen und Sängern arbeiten muss. Denn das vielfältige kirchenmusikalische Leben der Pfarrgemeinde leidet massiv unter den geltenden Einschränkungen. So können beispielsweise die festlichen Gottesdienste zu Weihnachten nur "mit Kleinstchor und Kleinstorchester" stattfinden. Schon die Proben sind eine Herausforderung, müssen sich doch die Sänger im Kirchenraum verteilen, während die Musiker auf der Orgelempore spielen. Wann Kirchenchor, Kinderchor, Jugendchor und -band, Rhythmuschor und -band, Männerschola, Blechbläser, Blockflötengruppe, Instrumentalkreis und Vokalensemble endlich wieder eines ihrer vom Publikum hoch geschätzten Konzerte veranstalten können, steht momentan buchstäblich in den Sternen. Doch bis dahin ersetzt die Orgel Orchester- und Sängerstimmen mit ihrem ganz eigenen königlichen Klang.

© SZ vom 09.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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