Kirchenkonzert:Lammfromm

Kirchenkonzert: Das Vokal Ensemble München singt in der Sankt Jakobskirche in Dachau Werke von Jacobus Handl und Orlandi di Lasso fast überirdisch schön.

Das Vokal Ensemble München singt in der Sankt Jakobskirche in Dachau Werke von Jacobus Handl und Orlandi di Lasso fast überirdisch schön.

(Foto: Toni Heigl)

Das Vokal Ensemble München fordert sich selbst und sein Publikum mit einer selten aufgeführten Matthäus-Passion heraus

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Eine Matthäus-Passion sang das Vokal Ensemble München in der Dachauer Pfarrkirche St. Jakob, aber nicht die berühmte Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, auch nicht die rund hundert Jahre ältere von Heinrich Schütz, sondern eine noch ältere Version, nämlich die "Passio secundum Matthaeum" des 1550 geborenen österreichischen Komponisten Jacobus Handl (Gallus). Mit dieser in lateinischer Sprache gesungenen Passion tauchte man tief in eine versunkene, geistig noch dem Mittelalter nahestehende Welt ein. Das war für alle Beteiligten eine schwierige Aufgabe, für das ausführende Vokalensemble wie für die Zuhörer.

Man stelle sich einen gotischen oder einen schon der Renaissance nahestehenden Kirchenraum vor, wie die dafür ideal geeignete Pfarrkirche St. Jakob in Dachau. Im Zuge der Karfreitagsliturgie wird dort die Matthäus-Passion lateinisch gesungen; die Beteiligten können Latein, das Kirchenvolk ist höchstens bewundernde Kulisse und versteht kein Wort. In St. Jakob hatte man den lateinischen Text samt deutscher Übersetzung in Händen - eine völlig andere Situation. Trotzdem blieb das Ganze weitgehend fremd. Man wusste zwar, worum es geht, und das Vokal Ensemble München deutete mit Differenzierung in seiner sonst sehr ebenmäßigen Dynamik an, wann etwa das jüdische Volk schrie: "Tolle, tolle, crucifige eum!", also "Nimm, nimm ihn und kreuzige ihn!" oder wenn Jesus am Kreuze die bekannten "Sieben Worte" spricht, die hier, vielleicht erstmals den vier Evangelien entnommen, zusammengestellt sind. Das alles hatte aber kaum dramatischen Effekt. Man war zwar geistig dem Passionsgeschehen näher als das Kirchenvolk um 1600, für das ja die Liturgie nicht zum Mitfeiern gedacht war, man konnte verstehen, wurde aber nicht vom Leiden Christi erschüttert und von der Musik mitgerissen wie etwa bei Bach. Es eröffnete sich vielmehr ein Blick in die Liturgie - und Musikgeschichte. Was man sonst nur zu lesen bekommt - hier wurde es Klang und - beinahe - Wirklichkeit. Zu bewundern war die unglaubliche Disziplin und Ausdauer der Sänger, denen zugemutet wurde, eine volle Stunde lang fast unbewegt auf einer Stelle zu stehen und dabei höchst Anspruchsvolles zu singen.

Nach dieser in ihrer Weise beeindruckenden Matthäus-Passion hätte das Programm dringend ein Zäsur gebraucht, etwa in Form eines Orgelzwischenspiels, allein um das Passionsgeschehen zu würdigen und wirklich ernst zu nehmen. Es ging aber fugenlos weiter zu einem freilich fast überirdisch schön gesungenen "Adoramus te Christe" von Handl, zu Bußtränen des heiligen Petrus von Orlando di Lasso und zu einem groß angelegten Chorwerk "Da Jesus an dem Kreuze hing" in deutscher Sprache von Ludwig Senfl. Responsorien von Orlando di Lasso hatten das Programm eingeleitet und zur Matthäus-Passion geführt. Man erlebte Schönklang über Schönklang, das Vokalensemble sang alles fast überirdisch schön. Das stellte sich im Verlauf einer Stunde aber auch als Manko heraus. Viktor Töpelmann als Dirigent lässt die Musik sehr ruhig an den Zuhörern vorbeifließen und setzt keine Akzente, er ist jeder Dramatik abhold. Aber gerade die Motetten von Orlando di Lasso sind eigentlich voller Dramatik, die man aus seinem Vokalsatz herausholen muss. Das ist ihre Größe, darin unterscheidet sich Lasso vom vergleichsweise glatten Palestrina. In dieser Hinsicht war das Passionskonzert zu fromm.

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