Eine Kindertagesstätte mitten im Karlsfelder Gewerbegebiet - der Standort an der Röntgenstraße war aus der Not geboren. Die Gemeinde wusste nicht mehr, wo sie die rasant wachsende Zahl von Kleinkindern, die der Zuzug nach Karlsfeld mit sich brachte, so schnell noch unterbringen sollte. Als die private Bamberger Schule schließen musste und ein großes Gebäude zur Verfügung stand mit einer guten Infrastruktur, die man nur ein bisschen anpassen musste, entstand 2016 "Die Schatzinsel"; es wurde eine überraschend hochwertige und großzügige Einrichtung mit viel Platz zum Spielen. Doch viele Eltern sind über die Wahl des Standorts bis heute nicht begeistert: Große Laster und kleine Kinder in direkter Nachbarschaft - funktioniert das? Ein Jahr nach der Eröffnung muss die Antwort wohl lauten wie bei Radio Jerewan in den alten sozialistischen Witzen, nämlich mit dem Satz: "Im Prinzip ja, aber . . . "
Und dieses "Aber" wird nun immer lauter, nachdem bekannt geworden ist, dass gleich ums Eck ein Lkw-Parkplatz entstehen soll mit 420 Fahrzeugen. Etwa 90-Lkw-Bewegungen am Tag werden erwartet. Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) hatte zwar versprochen, "auch ein bisschen drauf zu schauen", dass die Lastwagen statt der Röntgenstraße den Weg über die Einsteinstraße zu nehmen, aber das allgemeine Unbehagen bleibt groß.
Das Bündnis für Karlsfeld hat deshalb einen Antrag eingereicht, das Tempo in der Röntgenstraße von 50 auf 30 herunterzusetzen. In Wohnstraßen ist das in Karlsfeld längst gang und gäbe, in einem Gewerbegebiet wäre es verkehrsrechtlich ein Kuriosum, aber eine Kita im Gewerbegebiet ist ja auch nicht der Normalfall. Der Antragsteller, Gemeinderat Adrian Heim (Bündnis), will vor allem die Radler in der Röntgenstraße schützen, genauer gesagt die Eltern, die erfreulicherweise ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Kita fahren, sondern mit dem Fahrrad. "Ein Tempo-30-Schild ist für mich vor allem ein Signal, besondere Rücksicht zu nehmen", erklärt Heim seine Intention. Das klingt unaufgeregt, aber es ist auch nicht so, dass Heim eine "akute Gefährdung" durch Raser in der Röntgenstraße sähe. "Man muss die Kirche schon im Dorf lassen." Und die Sache mit den 90 Lastwagen am Tag? "Tja", sagt Heim, "damit ist ja keiner so besonders glücklich." Aber die Gemeinde konnte die Pläne des Antragstellers auch nicht einfach vom Tisch wischen: Baurecht ist Baurecht, da kann man sich auf den Kopf stellen, da hilft alles nichts, das hat der Rathauschef seinen Gemeinderäten auch genauso gesagt. Und doch haben viele den Schrecken noch nicht verdaut. "90 Lkws am Tag, das ist eine stattliche Zahl", sagt SPD-Fraktionssprecherin Hiltraud Schmidt-Kroll, und die Frage, ob das nicht doch eine Gefahr für die Kinder darstelle, hält sie für "durchaus berechtigt". Eine abschließende Antwort hat sie allerdings noch nicht. "Es kommt auch darauf an, wo die Lkws am Ende tatsächlich entlangfahren." Am Montag will sich die SPD in ihrer Fraktionssitzung zu diesem Thema beraten. Möglicherweise unterstützten die Genossen den Antrag von Adrian Heim: "Tempo 30 würde mit Sicherheit nicht schaden."
Letztlich kommt es auf die CSU an, sie hält knapp die absolute Mehrheit im Gemeinderat. Verkehrsreferent Johann Willibald zeigt sich grundsätzlich offen. "Ich könnte mit Tempo 30 gut leben", sagt er. "Wir brauchen dann aber auch Radarkontrollen und eine entsprechende Überwachung." Nur ein Schild aufzustellen, reicht nach Willibalds Erfahrung nicht. Er beklagt eine zunehmende Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr und zwar flächendeckend. Nur mit rigoroser Überwachung und konsequenter Verfolgung von Verstößen könne die Gemeinde etwas bewirken. Bloße Appelle an die Vernunft hätten sich leider als völlig wirkungslos erwiesen. Willibald setzt sich daher dafür ein, die Stunden der kommunalen Verkehrsüberwachung noch einmal deutlich zu erhöhen.
In die Diskussion hat sich nun auch der Karlsfelder Peter Reiz, Mitglied im Landesvorstand des Radclubs ADFC, eingeschaltet. In einem Schreiben an den Bürgermeister und die Fraktionen fordert er "dringend verkehrsberuhigende Maßnahmen" in der Röntgenstraße. Die von Adrian Heim geforderten Tempo 30 seien zwar "ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Reiz, doch dieser Schritt reiche nicht aus. "Hier ist die Einrichtung einer Fahrradstraße die einzig sichere Möglichkeit", sagt Reiz. Dann hätten "die schwächsten Verkehrsteilnehmer" auf der gesamten Fahrbahn "absoluten Vorrang". Auto- und Lkw-Fahrer dürften die Straße quasi nur mitbenutzen und müssten Radlern im Zweifelsfall immer Vorfahrt einräumen. Ob diese Lösung, die in Innenstädten recht verbreitet ist, auch in einem Gewerbegebiet zulässig ist, steht aber auf einem anderen Blatt.
Weitgehend verstummt sind dagegen die Klagen der Eltern der Grundschulkinder. Sie hatten große Bedenken gehabt, ob ihre Sprösslinge den Weg von der Krenmoosstraße ins Gewerbegebiet auch zu Fuß sicher meistern würden. Die Verkehrswacht der Polizei hat die Route über die Carolinenbrücke als Schulweg festgelegt, die Kinder kommen auf dieser sicher über die stark befahrene Bajuwarenstraße, der wohl mit Abstand gefährlichsten Stelle auf der ganzen Strecke.