Kinder-Leierkasten Dachau:Die Hoffnung steckt in Büchern

Margrit Gysin fasziniert mit ihrem Theaterstück über Gewalt in Familien, über das Schicksal des kleinen Thomas - und erzählt die Geschichte einer Befreiung auch durch Literatur.

Bärbel Schäfer

- Eigentlich habe sie eine ganz andere, eine schöne Geschichte spielen wollen, sagt Margrit Gysin, bevor sie sich zwischen Stapeln von Büchern auf die kleine Bühne setzt. Dann holt sie das große "Buch von allen Dingen" hervor, hinter dessen ehrwürdigen Lederdeckeln eine ziemlich traurige Geschichte über Gewalt in der Familie und falsch verstandenen Glauben steckt. Margrit Gysin, die große Dame des Schweizer Figurentheaters, gastiert diesmal nicht bei den Dachauer Theatertagen, die am Mittwoch, 17. Oktober, beginnen, sondern auf Einladung des Vereins Frauenhaus Dachau im Ludwig-Thoma-Haus. Der Leierkasten von Frank Striegler, Impresario der Theatertage, war Co-Veranstalter. Sabine Zarusky vom Frauenhaus hatte das Gysin-Stück auf den Theatertagen im vergangenen Jahr gesehen und fand es ideal für die Veranstaltungsreihe der Hilfsorganisation in Dachau.

Sie zeigt gerade im Thoma-Haus die vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen initiierte Wanderausstellung "Blick dahinter - Häusliche Gewalt gegen Frauen". Um dieses Thema geht es auch in der Geschichte von Guus Kuijer, die von der Mannheimer Regisseurin Andrea Gronemeyer in ein anrührendes Figurentheater für Kinder von neun Jahren an und Erwachsene gefasst wurde. Der niederländische Autor beschreibt seine eigene unglückliche Kindheit in den 1950er Jahren. Der religiös verbohrte Vater schlägt die Mutter vor den Augen der Kinder, prügelt Gottesfurcht in den neunjährigen Thomas hinein - und treibt ihm den Glauben aus. Der Bub flüchtet sich, allein gelassen, in eine fantastische Welt, in der er Dinge sieht, die anderen verborgen bleiben. Er liebt das Mädchen Elisa mit ihrer knarzenden Beinprothese und spürt die Magie der Nachbarin Frau van Amersfoort, einer "Hexe". Sie öffnet dem Buben nicht nur die Welt der Bücher, sondern auch die Augen, was in seiner Familie schiefläuft. Margrit Gysin spielt diese tragische Geschichte mit der notwendigen Anteilnahme, ohne in weinerliche Theatralik abzudriften. Sie ist Schauspielerin und Puppenführerin zugleich, schlüpft in die Rollen der Familienmitglieder und führt mit der Handpuppe Thomas einen unentwegten Dialog. Im dicken, immer wieder aufgeblätterten Buch finden sich wunderbare Illustrationen, welche die Aufgabe eines Bühnenbildes übernehmen.

Gysin hält die fragile Balance zwischen Tragik und Komik, bleibt neutrale Beobachterin, wenn der Vater ausrastet und die ältere Schwester sich zum Paffen ins Treppenhaus flüchtet. Im Gegenzug kostet sie skurrile Situationen aus, etwa als die dicke Tante Bea zu Besuch kommt. Sie weckt einen Hauch von Verständnis, als sie die Ängste des Vaters unter der tyrannischen Oberfläche hervorkehrt.

Was vor allem für Kinder wichtig ist: Gysin nimmt niemals die Hoffnung auf ein gutes Ende. Als der Vater den Jungen fragt, was er später einmal werden möchte, sagt dieser: "Später werde ich glücklich." Die Glaubensfrage aber lässt das Stück offen. Zwar erscheint Jesus dem kleinen Thomas in verzweifelten Situationen, hört ihm wie ein Freund zu und zeigt Verständnis: "Auch ich habe einen strengen Vater gehabt." Helfen aber kann er nicht. Die Botschaft: Das Glück kommt erst, wenn man keine Angst mehr hat. Und so sind es die ältere Schwester, Thomas und die Mutter, die sich schließlich selbst helfen und dem Vater die Stirn bieten bis dieser kapituliert. Die Ausstellung "Blick dahinter - Häusliche Gewalt gegen Frauen" ist noch bis einschließlich 9. November täglich von 11 bis 19 Uhr im Thiemann-Gewölbe des Ludwig-Thoma-Hauses zu sehen.

Margrit Gysin gastiert am Donnerstag, 4. Oktober, um 15.30 Uhr mit ihrem Stück "Kamillentee für Brumm" im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus. Eine Veranstaltung des Kinder-Leierkastens. Karten unter Telefon: 08131/55 195.

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