Mietspiegel-Index:Karlsfeld teuerste Kommune? Mieterverein zweifelt - aus gutem Grund

Neue Mitte

So teuer wie Grünwald oder Pullach? Das ist die Neue Mitte in Karlsfeld wohl nicht. Doch die Gemeinden im Münchner Süden gingen in die Studie des Hamburger Unternehmens nicht ein, weil sie zu klein sind.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Angeblich ist die 22 000-Einwohner-Gemeinde Karlsfeld im Mietspiegelvergleich die teuerste Kommune Deutschlands. Experten zweifeln diese Studie an.

Von Thomas Radlmaier, Karlsfeld

Die Wirklichkeit kann warten. Zuerst eine Gedankenspinnerei: Münchens Schickeria zieht nicht mehr in den Süden der Stadt, sondern nach Karlsfeld. Die Gemeinde hat sich zum Ort der Schönen und Reichen gemausert. Edelschlitten rollen über die Münchner Straße. Und am Karlsfelder See bauen sich die Spieler des FC Bayern ihre Villen. "Grünwald war gestern", schreibt eine Frau in eine Kommentarspalte auf Facebook und setzt dahinter einen Zwinkersmiley.

Schließlich ist das alles ein Riesenschmarrn. Aber in den vergangenen Tagen sind die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion in Karlsfeld verschwommen.

Der Mietspiegel-Index hat Karlsfeld als "teuerste Kommune Deutschlands" bekannt gemacht

Das Hamburger Beratungsunternehmen "F+B" hat einen Medienhype um Karlsfeld ausgelöst, indem es seinen Mietspiegelindex 2018 veröffentlichte. Darin wertete es die Mietspiegel von 350 deutschen Städten und Gemeinden aus. Die überraschende Nachricht: "München erstmals seit 1998 durch den kleinen Nachbarn Karlsfeld von Rangplatz 1 verdrängt." Demnach zahlen Mieter in Karlsfeld für eine "typische Normalwohnung mit einer Fläche von 65 Quadratmetern, mittlerer Ausstattung und Lage" 53 Prozent mehr als im deutschen Durchschnitt, nämlich einen Quadratmeterpreis von 10,62 Euro kalt.

München liegt auf Platz zwei mit 10,45 Euro. Dachau rangiert auf Platz fünf mit 9,60 Euro, weit vor Großstädten wie Köln, Hamburg oder Frankfurt am Main. Die Statistik hat Karlsfeld als "teuerste Kommune Deutschlands" bekannt gemacht. Am Donnerstag interviewte ein Fernsehteam die Menschen vorm Supermarkt und auf der Straße. Bild lichtete eine Wohnanlage ab und titelte: "Wer hier wohnt, hat Kohle." Viele fragten sich: Was muss dieses Karlsfeld für ein Schickimicki-Ort sein?

Der Mieterverein hält den Vergleich zwischen München und Karlsfeld für schwierig

Bernd Wanka wohnt in Karlsfeld. Bekannte haben ihn in den vergangenen Tagen oft gefragt, wie es sich denn so lebt in der teuersten Gemeinde Deutschlands. Als er das erzählt, lacht er. Wanka, der für die CSU im Gemeinderat sitzt, ordnet das Ergebnis des Indexes so ein: "Die haben sich eine Musterwohnung herausgepickt", sagt er. In dieser Kategorie sei Karlsfeld vielleicht nach oben gerutscht. Aber auf die breite Masse betrachtet würden die Mieten wohl noch unterhalb des Münchner Niveaus liegen.

Wanka ist nicht der einzige, der an der Studie zweifelt. Der Münchner Mieterverein etwa hält den Vergleich zwischen München und Karlsfeld wegen der Datenbasis für schwierig. Hintergrund ist, dass die Hamburger Forscher jeweils die aktuell gültigen Mietspiegel herangezogen haben. Der Münchner Mietspiegel ist von 2017, die Daten dafür stammen aus dem Jahr 2016. Dagegen hat die Gemeinde Karlsfeld ihren Mietspiegel erst im vergangenen Jahr veröffentlicht. "Ein Nettokaltmietpreis von 10,45 Euro pro Quadratmeter für München mag ein Durchschnittswert sein", sagt der Geschäftsführer des Mietervereins, Volker Rastätter. Dieser Wert spiegle aber nicht das wider, was Mieter gerade in zentralen Bezirken tatsächlich bezahlten. "Nettokaltmieten von mehr als 16 Euro pro Quadratmeter sind hier mittlerweile an der Tagesordnung." Und auch in Karlsfeld dürfte es schwer sein, bei Neuvermietungen die Grenze von elf Euro pro Quadratmeter zu unterschreiten.

"Karlsfeld hat schon angezogen"

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Forscher haben sich auf Städte und Gemeinden begrenzt, in denen mindestens 20 000 Menschen wohnen. Gemeinden im traditionell teuren Münchner Süden wie Grünwald oder Pullach fallen damit raus. Ein Sprecher von "F+B" bestätigt, dass jeweils der zuletzt verfügbare Mietspiegel in den Index einfließe. Aber es gehe auch nicht darum, zu zeigen, dass Karlsfeld um ein paar Cent teurer sei als München. Die Botschaft ist: "München und das Umland spielt bei den Mieten in Deutschland in der ersten Liga."

An dieser Aussage zweifelt wiederum niemand. Alexander Sedlmair ist Geschäftsführer eines Maklerbüros mit Sitz in Karlsfeld. Er hat eine höhere Nachfrage nach Wohnraum in der Gemeinde festgestellt. "Karlsfeld hat schon angezogen", sagt er. In der Vergangenheit sei die Gemeinde immer "die kleine Schwester von Dachau" gewesen. Doch das sei vorbei. Sedlmair beobachtet in der ganzen Münchner Region die Entwicklung, dass die Menschen wegen der hohen Preise in immer kleineren Wohnungen leben. "Früher hatte man drei Zimmer zu zweit, heute hat man zwei Zimmer zu zweit." Der Preis sei derselbe. "Die Leute zahlen das." Mit der Folge: "Die Geringverdiener können sich das oft nicht mehr leisten."

Dass Krankenschwester, Pfleger, Friseure oder Hebammen auf dem überhitzten Markt in den Städten keine Chance haben, treibt auch Gemeinderat Bernd Wanka um. "Diese Menschen werden aus der Stadt gedrängt", sagt er. In fünf bis zehn Jahren gehe dann überhaupt nichts mehr. Auch deshalb ist er der Meinung, dass man den Index zumindest in seiner Gesamtheit ernst nehmen sollte. "Es zeigt, dass wir dran bleiben müssen."

Die Kommunalpolitik in Karlsfeld versucht, dem Trend auf dem Mietmarkt entgegen zu wirken. Wanka verweist auf 79 Sozialwohnungen, die bald fertiggebaut werden. Außerdem wolle man ein neues Genossenschaftsprojekt anstoßen und denke über ein Einheimischenmodell nach. Zudem will die Gemeinde Investoren bei Wohnbauvorhaben im Sinne der sozialgerechten Bodennutzung dazu verpflichten, 30 Prozent des neu geschaffenen Wohnbaurechtes für sozial gebundenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

"Die Politik muss die Mieterhöhungsspirale außer Kraft setzen"

Klar ist für Wanka, dass die Gemeinde nicht unbegrenzt wachsen kann. "Wir können auch nicht einfach Wohnungen auf den Markt kloppen", sagt er. Schließlich müsse die Gemeinde auch die Infrastruktur im Auge behalten. Die Grundschule an der Krenmoosstraße sei jetzt schon am Anschlag. Wanka glaubt deshalb, dass es Aufgabe der Landespolitik ist, "sich gegen die Entwicklung zu stemmen". Es brauche zum Beispiel mehr Arbeitsplätze in ländlichen Regionen, damit nicht alle in die Stadt ziehen wollen.

Volker Rastätter vom Münchner Mieterverein geht einen Schritt weiter. "Die Politik muss die Mieterhöhungsspirale außer Kraft setzen", sagt er. Wichtig wäre, die Mietspiegelbasis zu verbreitern. Denn momentan sei der "Mietspiegel ein Mieterhöhungsspiegel". Schließlich würden darin nur Mieten einfließen, die in den vergangenen vier Jahren neu abgeschlossen oder erhöht worden seien. "Eine weitere wichtige Hilfe wäre ein Mietenstopp für fünf bis sechs Jahre, um die Vertreibung von Mietern zu stoppen."

Doch auch wenn die Mietpreise immer weiter steigen - in Karlsfeld gibt es Menschen, die dem neuen Mietspiegelindex etwas Positives abgewinnen können. In einer lokalen Facebook-Gruppe schreibt ein Mann, ihm würden einfach nur die Worte fehlen. "Aber immerhin sind wir jetzt bekannt."

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