Süddeutsche Zeitung

Dramatische Finanzlage in Karlsfeld:Vor tiefen Einschnitten

Der Schuldendberg wächst, der Haushalt könnte bald aus den Fugen geraten. Die Gemeinde muss die freiwilligen Leistungen kürzen.

Von Gregor Schiegl

Auf die Karlsfelder kommen harte Zeiten zu. "Es wird tiefe Einschnitte bei den freiwilligen Leistungen geben", sagt Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). Durch das laufende Jahr wird die Gemeinde finanziell noch glimpflich kommen, danach dürfte es aber eng werden. "Die Haushaltsplanungen sind mittelfristig nicht genehmigungsfähig", sagt der Rathauschef. "Da müssen wir dringend was machen." Andernfalls müsste die 20 000-Einwohner-Gemeinde ihre Ausgaben fortan von der Rechtsaufsicht des Landratsamts genehmigen lassen, der Handlungsspielraum der Kommune wäre dadurch dramatisch eingeschränkt.

Finanzreferent Holger Linde (CSU) sagt im SZ-Interview, er halte diese Gefahr für sehr real: "Ich kann nicht sagen, ob es 2017/18 sein wird. Aber wenn es so weiter geht, kommt das." Die Gemeinde dürfte laufende Bauprojekte zwar weiter finanzieren und müsste auch kommunale Einrichtungen nicht automatisch zusperren, erläutert Wolfgang Reichelt, Sprecher des Landratsamts. Neue Investitionen müssten aber von der Rechtsaufsicht genehmigt werden. Zudem müsste die Gemeinde ein "schlüssiges Konzept" erarbeiten, wie sie innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückkehren wolle. "Wenn so etwas passiert, ist das schon ein außerordentlicher Vorgang", sagt Reichelt.

Der Bürgermeister macht den Staat für die Misere verantwortlich

Für die Misere macht Kolbe den Staat verantwortlich. Er bürde den Kommunen immer mehr Lasten auf: 5,4 Millionen Euro für Kinderbetreuung - das sei für Karlsfeld nicht mehr zu stemmen. Dazu immer neue Brandschutzbestimmungen, "das ist doch alles ein Irrsinn!" Und womöglich folgen bald auch noch finanzielle Lasten durch anerkannte Flüchtlinge, für die ebenfalls die Gemeinden sorgen müssen. "Wenn man die Kommunen kaputt machen will, muss man nur so weitermachen", schimpft Kolbe. "Das regt mich wahnsinnig auf." Bittere Pointe: Karlsfeld darf auf staatliche Mittel aus einem Topf für notleidende Kommunen hoffen.

Dass die Gemeinde in finanzieller Schieflage ist, ist seit Jahren bekannt; aus den laufenden Einnahmen kann sie nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben bestreiten geschweige denn freiwillige Aufgaben wie den Hallenbadbetrieb oder Vereinszuschüsse. In den vergangenen Jahren war es der Gemeinde immer wieder gelungen, durch Schiebungen, dem Griff in die Rücklagen und dem Verkauf von Grundstücken Kreditaufnahmen zu vermeiden. Wie ernst die Lage wirklich ist, sei durch diese Maßnahmen immer wieder verschleiert worden, kritisiert Linde im SZ-Interview. Nicht nur den Bürgern, selbst manchen Gemeinderäten und Mitarbeitern der Rathausverwaltung sei der Ernst der Lage noch nicht bewusst.

Der Gemeinderat will auch über höhere Steuern reden

Bis 2019 Jahren dürfte Karlsfelds Schuldenberg auf mehr als 30 Millionen Euro anwachsen. Verantwortlich dafür sind der Neubau der Grundschule, der etwa 25 Millionen Euro kosten soll, der Neubau des Kinderhauses westlich der Bahn für vier Millionen Euro, sowie Straßensanierungsmaßnahmen. Linde hält weitere Kreditaufnahmen für unvermeidlich. "An einen Stillstand nach 30 oder 32 Millionen Euro glaube ich nicht." Weil die Gemeinde dringend Geld braucht, wurden in den vergangenen Jahren einige Gebühren moderat erhöht. Jetzt müssen die Schrauben härter angezogen werden. Selbst eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer soll demnächst im Gemeinderat diskutiert werden. Die Grundsteuer A für Land- und Forstwirte ist seit 43 Jahren auf demselben Stand; die Grundsteuer B, die Hausbesitzer und mittelbar auch Mieter treffen würde, wurde zuletzt vor knapp 20 Jahren angehoben; die Gewerbesteuer liegt seit 36 Jahren bei 320 Prozentpunkten und damit einige Zähler niedriger als in den Nachbarkommunen Dachau und München.

Der Wirtschaftsförderer der Gemeinde, Peter Freis, warnt allerdings vor einer Gewerbesteuererhöhung. "Diesen Schritt halte ich in der derzeitigen Lage für gefährlich. Die Gewerbesteuer ist für viele Betriebe ein wesentlicher Standortfaktor." Zahlreiche Firmen in Karlsfeld würden gerne expandieren, können es aber derzeit nicht, weil die Flächen dafür fehlen; das geplante neue Gewerbegebiet lässt noch auf sich warten. Käme jetzt eine Gewerbesteuererhöhung hinzu, wäre das für Firmen, die sich mit dem Gedanken tragen, wegzuziehen, womöglich "der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt."

Finanzreferent Holger Linde plädiert deshalb für andere, kreative Lösungsmodelle. So regt er an eine, Privatisierung des gemeindlichen Hallenbads zu prüfen, das der Kommune derzeit noch jedes Jahr ein Defizit von mehr als 600 000 Euro im Jahr beschert.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2016/sjan
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