Es sind Rentnerinnen, die nicht mehr ins Kino oder Restaurant gehen, über Tage gar nichts oder nur noch Brot essen, weil das Geld für nicht viel mehr als die Miete reicht: Sie suchen beim VdK Karlsfeld und dessen stellvertretenden Vorsitzenden Johann Willibald Hilfe. Er sagt: "Die Rentner verzichten auf das, was für andere normal ist. Essen gehen ist für sie unmöglich." Der Sozialverband hilft ihnen dabei, etwa Bürgergeld zu beantragen. In diesem Jahr feiert die Karlsfelder Ortsgruppe ihr 75-jähriges Bestehen, mittlerweile sind über 1000 Mitglieder dabei, 2010 waren es noch 626, sagt Willibald. Als Grund vermutet er: "Es gibt so viele arme Rentner", gleichzeitig sei der Wohnraum teuer und knapp, nicht nur in Karlsfeld, sondern im ganzen Landkreis.
Das Thema bezahlbarer Wohnraum beschäftigt den VdK Karlsfeld seit Jahrzehnten, aber in den vergangenen Jahren habe sich das Problem noch verschärft, sagt der 67-Jährige mit dem grauen Vollbart, Brille und Karohemd: "Es gibt Rentner, die 40 Jahre lang gearbeitet haben und nur 800 Euro Rente bekommen. Und davon zahlen sie noch 600 bis 700 Euro Miete. Das ist ein Irrsinn." Doch oft verschweigen Seniorinnen oder Senioren, dass sie arm sind und finanzielle Unterstützung brauchen - aus Scham, sagt Willibald, der für die CSU im Karlsfelder Gemeinderat saß und seit 17 Jahren VdK-Mitglied ist. Oft brauche es drei bis vier Treffen, bis sich ihm die Rentnerinnen und Rentner in Geldnot öffnen.
"Jeder Rentner müsste mindestens zwischen 1200 und 1500 Euro bekommen"
Meist kämen sie zu Vorträgen des Vereins, die monatlich in Karlsfeld stattfinden, Themen sind dort etwa Barrierefreiheit, Vorsorgevollmacht und Zahnpflege im Alter. Hier gehen Senioren mit ihren Problemen immer wieder auf Willibald und die rund 15 Ehrenamtlichen des VdK Karlsfeld zu. Danach führen diese Erstgespräche und finden heraus, was die Betroffenen benötigen. Einige hätten aber ein schlechtes Gewissen, sich Hilfe zu holen, sagt Willibald: "Das ist das Hauptproblem, dass die Gelder nicht beantragt werden. Ich sage den Menschen dann, dass ihnen das Bürgergeld zusteht."
Hilfe beim VdK Karlsfeld suchen vor allem ehemals Selbstständige, die zu wenig in die Rentenkasse eingezahlt haben, sagt Willibald, aber auch Frauen, die sich viel um die Kindererziehung gekümmert haben: "Da bleibt dann meist nur wenig Rente übrig." Der Karlsfelder spricht sich deshalb für eine "vernünftige Rentenerhöhung" aus: "Jeder müsste mindestens zwischen 1200 und 1500 Euro bekommen, sodass es eben zum Leben reicht."
Karlsfeld ist auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit "noch nicht am Ziel"
Aber auch Menschen mit Behinderung melden sich bei den VdK-Ehrenamtlichen in Karlsfeld. Johann Willibald hat selbst eine Gehbehinderung und seit Jahrzehnten einen Schwerbehindertenausweis, vor sechs Jahren hatte er einen schweren Schlaganfall und spricht mit langsamer Stimme. Bei seinem früheren Arbeitgeber war er bereits Behindertenbeauftragter, heute hilft er Menschen mit Behinderung etwa dabei, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen oder als Angestellte Kündigungsschutz zu bekommen.
Soziale Themen sind ihm wichtig. Wegen der Wohnungsnot im Landkreis spricht er sich etwa dafür aus, dass Menschen, die alleine in einem sehr großen Haus wohnen, ihren Wohnraum auch vermieten. Auf den Einwurf, dass das einige Kollegen aus seiner CSU wohl anders sehen dürften, antwortet Willibald: "Bei den Schwarzen war ich zu rot und bei den Roten zu schwarz." Er habe immer die inzwischen verstorbene Landtagspräsidentin Barbara Stamm bewundert, die das "soziale Gewissen der CSU" gewesen sei. Im gleichen Satz betont Willibald aber, dass der VdK parteipolitisch und konfessionell neutral ist.



Gemeinsam mit dem Verein kämpft Johann Willibald auch für das Thema Barrierefreiheit. Der Weg zum Gespräch in der SZ-Redaktion in der Dachauer Altstadt sei eine "Katastrophe" gewesen, sagt er, immer wieder sei er an dem Kopfsteinpflaster hängen geblieben. Auch in Karlsfeld sei man auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit "noch nicht am Ziel". Er nennt etwa zu hohe Bordsteinkanten, um mit dem Rollstuhl darüberzufahren und drei- bis viergeschossige Häuser, darunter auch Arztpraxen, in denen es keinen Aufzug gibt. Auch Mülltonnen auf dem Gehweg versperrten Menschen im Rollstuhl oft den Gehweg: "Es wäre besser, wenn die Tonnen direkt bei den Leuten zu Hause abgeholt werden würden", sagt Willibald.
Als sich der VdK Karlsfeld am 1. April 1949 gründete, waren die Themen teils noch andere. "VdK" stand damals für "Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands". Zur Gründungsversammlung trafen sich 22 Männer und Frauen im Alten Wirt an der Münchner Straße in Karlsfeld, "mit dem Ziel soziale Gerechtigkeit für sich und andere einzufordern", hat Willibald in einer Chronik zusammengefasst: "Der VdK macht die Anliegen der in Karlsfeld wohnenden Kriegsopfer zu den seinigen."
Warum sich der Sozialverband nach dem Zweiten Weltkrieg gründete
Deutschlandweit waren die Folgen des Zweiten Weltkriegs der Grund für die Entstehung des Sozialverbands. Auch deutsche Soldaten hätten physische und psychische Schäden erlitten, unzählige Witwen und Waisen seien vor dem Nichts gestanden, schreibt der Sozialverband, das Profil sei damit klar gewesen: "Wir helfen Kriegsopfern, Kriegswitwen und Waisen sowie den damaligen Flüchtlingen."
Für die kommenden Jahre hofft Johann Willibald, dass sein Verein, der sich über Mitgliederbeiträge finanziert, weiterhelfen könne wie bisher - damit die Barrieren und Probleme für Betroffene ein wenig kleiner werden.