Süddeutsche Zeitung

Neues Biotop :Hier zieht die Natur ein

Auf einer vier Hektar großen Ausgleichsfläche in Karlsfeld haben Jagdpächter, Landschaftspflegeverein und Untere Naturschutzbehörde ein Biotop für seltene Pflanzen und Tiere geschaffen. Das Projekt gilt als beispielhaft.

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Insekten finden in Karlsfeld nun einen reich gedeckten Tisch. Hasen können sich im Gestrüpp verstecken und Kiebitze am Boden brüten. Vor allem für Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, haben Jagdpächter, Landschaftspflegeverein, Untere Naturschutzbehörde und die Gemeinde nun ein kleines Paradies erschaffen. Rund um das Umspannwerk im Westen von Karlsfeld recken sich Sonnenblumen in die Höhe, blühen seltene Pflanzen, wie die Iris sibirica oder der große Wiesenknopf, die Schmetterlinge flattern, und es summt und brummt geschäftig - und das nicht nur aus den Stromleitungen.

"Wir wollen einen Kontrapunkt setzen zu den Monokulturen, die immer ausgedehnter betrieben werden", sagt Jagdpächter Maximilian Schuster bei der Präsentation des neuen Habitats. Auf etwa einem Hektar hat er besondere Kräuter angepflanzt, die die Tiere lieben und die sie brauchen, um Krankheiten zu heilen. "Wir sind froh, dass wir das machen dürfen", sagt Schuster an Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) gewandt. Im Mai hat er die Pacht übernommen und von der Gemeinde die Erlaubnis erhalten, die Fläche im Sinne von Flora und Fauna mitzugestalten.

Die Ausgleichsmaßnahmen sind tadellos umgesetzt

Das Gelände war ursprünglich Acker. Seit auf dem ehemaligen Grund der Bayernwerk AG westlich der Bahn das Neubaugebiet Nido entstanden ist und die Flächen von Erlbau für Gewerbe ausgewiesen wurden, hat man etwa vier Hektar beim Umspannwerk als Ausgleichsflächen aufgepäppelt. "Die Gemeinde Karlsfeld ist vorbildlich", lobt Sybille Hein von der Unteren Naturschutzbehörde in Dachau. Die Ausgleichsmaßnahmen seien tadellos umgesetzt. Bei anderen Kommunen funktioniere das nicht so gut. Besondere Anerkennung zollte sie der Gemeinde dafür, dass es sich um einen "absoluten Ballungsraum" handle, bei dem der "Druck auf die Flächen" besonders groß sei. Bürgermeister Stefan Kolbe versicherte, dass man darauf großen Wert lege. "Auch die Ausgleichsflächen für das Ludl-Areal sollen in Karlsfeld sein", kündigt er an. Wo genau, das müsse noch ausgehandelt werden. Am Moosgraben und an der Würm seien auch wunderbare Biotope entstanden, so Hein. Es sei gut, dass die Gemeinden heutzutage nicht mehr so leicht riesige Parkplätze auswiesen und alles zubetonierten, sondern auf den Flächenverbrauch achteten.

Bei der Ausgleichsfläche hat man laut Hein zunächst das Erdreich abgeschoben, um eine Mulde zu haben, in der fruchtbare Vegetation wächst. Einige Bereiche sind Magerstandorte, auf anderen hat man spezielles Saatgut ausgebracht, das typisch für die Region ist. "Es war schon eine Herausforderung, denn von der früheren Bewirtschaftung sind überall Pflanzenschutzmittel da", erzählt Esther Veges, Geschäftsführerin vom Landschaftspflegeverband Dachau. Einige Pflanzen, wie die schnell wuchernden Goldruten und den Ampfer, habe man regelmäßig in Handarbeit abstechen müssen, um den seltenen Pflanzen Raum zu geben. "Das ist zeitaufwendig", erzählt Veges. Schwierig sei es auch gewesen, einen Landwirt zu finden, der überhaupt einen Balkenmäher hatte. Anfangs musste einer aus Freising kommen, sagt Sybille Hein. Nahe der Bäume könne man nur mit einem Freischneider arbeiten. In den Randbereichen wird vor dem Winter gar nicht gemäht. Auf diese Weise bietet man Tieren Unterschlupf und trägt zur größtmöglichen Artenvielfalt bei.

Ein Reich für Tiere, nicht für Menschen

"Die Population der Feldhasen geht von Jahr zu Jahr zurück", berichtet Jagdpächter Schuster. Deshalb müsse der Mensch eingreifen. Kiebitz, Lerche und Niederwild sei dem Raub- oder Greifwild inzwischen schutzlos ausgeliefert, erklärte Georg Bichler, der stellvertretende Vorsitzende des Dachauer Jagdverbands. Denn sie könnten sich nicht mehr im Dickicht verstecken. Ohne das Habitat am Umspannwerk, wäre die gesamte Fläche nach der Ernte der Felder kahl. Deshalb sei es so wichtig, "angewandten Naturschutz" zu betreiben und wieder Lebensräume für diese Arten anzulegen. "Die Jagd ist wichtig. Sie stellt das Gleichgewicht her", betont Bichler.

Es wäre gut, wenn die Menschen diese Refugien der heimischen Tierwelt akzeptieren würden und nicht hineingingen, sagt Schuster. Leider kämen nachts manchmal Leute in dieses entlegene Gebiet und entladen dort ihren Müll, klagte er. Bürgermeister Kolbe versprach, eine Schranke anzubringen, damit dies künftig nicht mehr möglich ist. Im nächsten Jahr soll bei der Baumallee zum Allacher Sportgelände ein weiteres Pilotprojekt mit Saatgut für die einheimischen Tiere entstehen, kündigt Schuster an.

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SZ vom 01.08.2019
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