Graue Wolken dräuen am Himmel, am Freitag ist Regen angesagt. Das Thermometer zeigt 23 Grad, aber weil es so schwül ist, fühlt es sich viel wärmer an. Die neun Kinder des Karlsfelder BRK-Kindergartens „Zwergerlstube“ kreischen, als sie ins Wasser laufen, mit 18 Grad ist es ungewöhnlich frisch. Bis zum Bauch geht es rein, mit den Armen machen die Sechsjährigen ausholende Bewegungen. Der Karlsfelder See wird zur Schwimmschule, und alle schauen zu. Ein Fernseh-Team hält entzückt mit der Kamera drauf.
Die Wasserwacht hat eingeladen, um ihre Kampagne „Bayern schwimmt“ zu bewerben, das tut sie schon zum sechsten Mal und sie tut es mit größter Dringlichkeit. Der Landesvorsitzende Thomas Huber steht in Rettungsweste am Rednerpult, in alarmierendem Orange, die Schwimmfähigkeit der Kinder habe „pandemiebedingt gelitten“, sagt er. Zwar habe es eine „Aufholjagd nach Corona“ gegeben, allein 2023 hätten etwa 13 000 Kinder an Anfängerschwimmkursen der Wasserwacht teilgenommen, aber die Versäumnisse alle aufzufangen, sei „schier unmöglich“.
„Es gibt nichts Schöneres, als in einem bayerischen See zu schwimmen.“
Und es gibt ein noch viel größeres Problem: Mehr als die Hälfte aller öffentlichen Schwimmbäder in Bayern ist sanierungsbedürftig, 223 der 867 Bäder sogar „dringend“, das Karlsfelder Hallenbad ist so marode, dass es im vergangenen Jahr endgültig geschlossen werden musste. Bald soll es abgerissen werden. „Mir tut es in der Seele weh“, sagt Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). Er hat hier selbst Schwimmen gelernt.
Die Wasserwacht stellt nun erstmals das Thema „Schwimmen lernen am See“ in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Es sei „eine klare Antwort auf das Bädersterben“, sagt Huber. Und es ist ein dramatischer Kurswechsel. In der Vergangenheit habe man solche Ansätze kritisch gesehen, räumt Huber ein, Seen hätten ein „natürlich erhöhtes Gefahrenpotenzial“. Die Schirmherrin der Kampagne, Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), verrät, dass sie, ebenso wie Christian Huber, nicht im Hallenbad, sondern auch in einem See schwimmen gelernt habe, besser gesagt in einem Löschweiher, manchmal mit Frosch auf dem Rücken. Man sieht: Es geht.
Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) schwärmt, es gebe „nichts Schöneres, als in einem bayerischen See zu schwimmen“. Dass die Kommunen ihre Bäder trotz staatlicher Förderprogramme nicht halten können, findet sie zwar bedauerlich, aber: „Schwimmen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

„Ohne die Ehrenamtlichen würde Bayern baden gehen“, sagt Ilse Aigner, Schwimmen sei essenziell, die Zahl von rund 80 Badetoten im vergangenen Jahr zeige dies in dramatischer Weise. Auch im Karlsfelder See sind immer wieder Menschen ertrunken, und eine Gruppe macht dem Karlsfelder Bürgermeister besonders große Sorgen: „Es gibt viele Flüchtlingskinder bei uns, die nicht schwimmen können.“
„Der Bedarf wäre da“, sagt der Leiter der Dachauer Wasserwacht, Oliver Welter, auf Nachfrage, aber wann und wo es Kurse an Seen geben werde, könne er für den Dachauer Bereich noch nicht sagen. Um fünf Kindern das Schwimmen am See beizubringen, brauche man mindestens die doppelte Zahl an Betreuern wie im Schwimmbad. Und das Wetter müsse ja auch noch mitspielen. Da fallen schon die ersten Regentropfen an diesem Tag.
Die kleinen Schwimmer sind von ihrer Schwimmstunde im See begeistert. Dass ein paar Steine im Fuß piksen: nicht so schlimm, und vor den Fischen fürchten sie sich auch nicht. Von der Betreuerin erfährt man dann noch, dass die Zwergerlstube eine der ganz wenigen Kindergärten ist, in der die Kinder schon im Vorschulalter schwimmen lernen. Und zwar im Dachauer Hallenbad.