Die Ängste sind groß bei den Bewohnern des Mehrgenerationenhauses der Maro-Genossenschaft in der Nähe des Karlsfelder Bahnhofs. Im Gemeinschaftsraum sitzen einige zum Krisengespräch zusammen, es gibt Schokokuchen und Wasser, auch die 71-jährige Jutta Ben Khemais und ihr Mann Mohsen diskutieren mit. Die Frau mit den roten Haaren sagt: „Als wir eingezogen sind, haben wir gedacht, dass wir hier für immer bleiben können.“ Doch seit Monaten sind die Bewohner verunsichert, denn im März hat die Maro-Genossenschaft Insolvenz angemeldet. Seitdem haben sie Angst, ihr Zuhause zu verlieren. Sie fürchten, dass ihr erspartes Geld für immer verloren ist, meist sind es mehrere zehntausend Euro. Dafür hätten sie ihr Leben lang gespart, sagt Jutta Ben Khemais: „Wenn wir jetzt rausmüssen, wissen wir nicht wohin.“
Mit ihrem Konzept, bezahlbares und nachbarschaftliches Wohnen zu ermöglichen, rannte die Maro-Genossenschaft in den Rathäusern der Region in den vergangenen Jahren offene Türen ein. Seit ihrer Gründung hat sie insgesamt 246 Wohnungen geschaffen, darunter Mehrgenerationenhäuser sowie Demenz- und Pflege-Wohngemeinschaften in Bayern. Doch ein Projekt in Landsham im Kreis Ebersberg brachte die Maro finanziell ins Wanken: 2018 wurde die Baustelle wegen massiver Mängel stillgelegt, in der Folge stritten Auftraggeber und Baufirmen vor Gericht. Daraufhin wurde eine Finanzierungszusage zurückgezogen, seitdem klafft eine finanzielle Lücke von rund fünf Millionen Euro bei der Genossenschaft.
„Wir haben Angst, dass dieses Geld jetzt weg ist“
Der Innenhof im Mehrgenerationenhaus ist mit einer Holzfassade gestaltet, es gibt hier einen Gemeinschaftsgarten, eine Tischtennisplatte, eine Werkstatt und ein Lastenfahrrad, das alle nutzen können. „Wir sind hier wie eine große Familie“, sagt Theodora Legatou, die Bewohner kochen zusammen, bepflanzen den Garten, teilen gerettete Lebensmittel und ein Rentnerpaar gibt Nachhilfe. Vor rund einem Jahr sind die 52 Bewohner in die 17 Wohnungen eingezogen, die jüngste ist sieben Monate, der älteste 77 Jahre alt. Nicht nur für die alleinerziehende Mutter Angelina Cataneo war der Einzug ein Schritt, der mit einer großen Hoffnung verbunden war.
Elf Jahre lang hat sie nach einer größeren Wohnung für sich und ihre beiden Söhne gesucht. Dann entdeckte sie das Mehrgenerationenhaus. Um den Genossenschaftsanteil von 40 000 Euro zu berappen, hat die 41-Jährige einen Kredit aufgenommen, den sie 20 Jahre lang abbezahlen müsse, wie die Frau mit braunem Dutt und grauem Pullover erzählt: „Wir haben Angst, dass dieses Geld jetzt weg ist“, auch ihre Küche und Waschmaschine seien noch nicht abbezahlt. Ihr Appell an die Politik: „Bezahlbarer Wohnraum sollte vom Staat mehr gefördert werden.“




Im Schnitt haben die Bewohner vor ihrem Einzug zwischen 40 000 und 82 000 Euro an Genossenschaftsanteil für ihre Wohnung investiert. Zudem zahlen sie pro Monat einen Mietpreis von 12 oder 13 Euro pro Quadratmeter – je nachdem, ob sie in einer der sechs frei finanzierten oder in einer geförderten Wohnung leben. Ben Khemais hat sich die rund 40 000 Euro hart zusammengespart: Er erzählt, dass er zum Teil vier Jobs hatte, um das Leben seiner Familie zu finanzieren, etwa als Hausmeister, Zeitungsausträger, in einer Druckerei und in einem Schnellrestaurant. Er hofft, dass die Zerschlagung der Genossenschaft doch noch abzuwenden ist.
Dafür setzen die 2100 Genossenschaftsmitglieder gerade alle Hebel in Bewegung. Sie haben eine Petition gestartet, bitten auf ihrer Website um Spenden und erhoffen sich eine Lösung durch die Politik. In einem Brandbrief schreibt der Maro-Vorstand: „Wir benötigen die Hilfe des Freistaats“, und weiter: „Helfen würde vielleicht auch, wenn sich eine staatliche Institution (auf Zeit) an der Maro beteiligen und eine signifikante Einlage leisten würde.“
Das Mehrgenerationenhaus steht auf einem Grundstück der Gemeinde
Im Gemeinschaftsgarten wachsen Kräuter, Salat und Radieschen, welche die „Garten-AG“ angepflanzt habe, erzählt Matthias Busl im grauen T-Shirt und Gartenschuhen. Er schubst seine Tochter Johanna auf der Schaukel an, die dreijährige Schwester Noemi steht daneben. Als er mit seiner fünfköpfigen Familie in das Mehrgenerationenhaus einzog, habe er nicht damit gerechnet, dass der Maro bald die Pleite drohen würde: „Seitdem herrscht eine gewisse Unsicherheit, was jetzt auf uns zukommt“, vor allem was aus den Genossenschaftsanteilen wird.
Doch zumindest ein Gespräch mit dem Karlsfelder Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) habe ihm Hoffnung gemacht: „Er hat gemeint, dass uns die Gemeinde nicht im Stich lässt.“ Schließlich steht das Mehrgenerationenhaus auf einem Grundstück der Kommune, die Maro-Genossenschaft bezahlt dafür Miete, also den Erbbauzins. Auf Anfrage äußert sich Kolbe jedoch zurückhaltend: „Solang der Insolvenzantrag der Maro-Wohnbaugenossenschaft noch in vollem Gange und der Insolvenzplan noch offen ist, kann die Gemeinde keine Aussagen über den weiteren Verlauf und das Vorgehen für die Zukunft des Mehrgenerationenhauses treffen.“
„Die Handlungsmöglichkeiten des Freistaats sind sehr begrenzt“
Die Karlsfelder Bewohnerinnen halten in diesen Zeiten zusammen, sie haben mehrere Abgeordnete angeschrieben, den Petitionsausschuss des Landtags, Landrat Stefan Löwl, den Ministerpräsidenten sowie den Dachauer Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath (alle CSU). Einige hätten sich betroffen gezeigt, sagt Haussprecherin Cataneo, konkrete Rettungsvorschläge hätten sie aber nicht gehabt.
Auf SZ-Anfrage schreibt Seidenath, dass er von der Maro-Idee sehr überzeugt sei und sich mit Abgeordneten zusammengeschlossen habe, in deren Stimmkreisen ebenfalls Projekte der Genossenschaft liegen: „Ziel ist die Rettung der Maro eG. Aus beihilferechtlichen Gründen sind die Handlungsmöglichkeiten des Freistaats allerdings sehr begrenzt“, schreibt Seidenath, denn staatliche Subventionen könnten den Wettbewerb verzerren. Allerdings versichert er auch: „Aus dem Kollegenkreis wurde und wird derzeit versucht, mit dem Vorstand der Bayerischen Landesbank Kontakt aufzunehmen und diesen um eine wohlwollende Prüfung zu bitten.“
Den Bewohnern hilft indes nur noch Galgenhumor. Jörg Andlauer sagt: „Wenn nötig kleben wir uns hier fest.“ Ihr Humor ist wohl das Einzige, was ihnen bleibt, um weiter optimistisch zu sein und für die Rettung der Genossenschaft und ihrer Existenzen zu kämpfen.