Karlsfeld:Kleine Masse, große Klasse

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Die Serenade im Bürgerhaus mit dem Karlsfelder Sinfonie Orchester unter Leitung von Bernhard Koch muss jetzt mit weniger Musikern auskommen als noch vor zwei Jahren. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Karlsfelder Sinfonieorchester ist in der Corona-Krise zum Kammerorchester geschrumpft. Der Qualität tut das keinen Abbruch

Von Adolf Karl Gottwald, Karlsfeld

Das Karlsfelder Sinfonieorchester hat überlebt! Ganz spurlos ist die Corona-Pandemie an diesem beliebten Orchester allerdings nicht vorübergegangen. Bernhard Koch, sein vorzüglicher Dirigent, berichtet, dass einige Orchestermitglieder - in einem Jahr ohne Proben und ohne Perspektive - die Motivation fürs Üben verloren haben und nun nicht mehr mitspielen wollen. Er konnte aber auch darauf hinweisen, dass jetzt auch neue Musiker dazugekommen sind. Koch bedankte sich herzlich beim Publikum, das ihm und seinem Orchester treu geblieben ist, zum Weitermachen motiviert und dieses auch ermöglicht.

Die traditionelle Sommerserenade - leider im Bürgerhaus und nicht wie in den ersten Jahren stimmungsvoll im Freien - war der erste Auftritt nach langer Zeit. Aber was war das für ein Konzert! Im Karlsfelder Sinfonieorchester - jetzt eher ein Kammerorchester - entdeckte man viele neue Gesichter und vermisste nicht wenige, ohne die man sich bislang ein Musizieren gar nicht vorstellen konnte. Aber - das ist das Entscheidende - das Orchester spielte sehr gut, und das Programm war bestens auf schlanken Orchesterklang abgestimmt. Die Vorhänge der Bühne im Bürgerhaus haben schon lange nicht mehr so gute Musik und so gutes Musizieren zum Schlucken bekommen. Sie schluckten viel, doch was sie dem Publikum im coronabedingt locker bestuhlten Saal übrig ließen, war eine Freude, ja, bewundernswert.

Das Programm begann mit einer Suite aus Händels Oper "Rinaldo", deren schönstes und immer wieder herzbewegendes Stück die bekannte Arie "Lascia, ch'io piange ..." (Lass zu, dass ich mein grausames Schicksal beweine) ist. Händel hat diese Musik ursprünglich als Sarabande für seine erste Oper "Almira" geschrieben, und jetzt erklang sie in der Orchestersuite wieder als Sarabande. Die Wiedergabe war ergreifend. Händels Diener berichtet, er habe den Meister des öfteren nachts am Schreibtisch komponierend angetroffen, wobei Händel geweint habe. Händel war also oft von seiner eigenen Musik ergriffen, und diese Wirkung ist nach mehr als 300 Jahren auch heute noch zu spüren.

Eine Sinfonia in G von Johann Christian Bach leitete zum Hauptwerk des Abends über, zu dem Joseph Haydn zugeschriebenen Konzert für Oboe und Orchester. Diese Sinfonia erklang freundlich, war gut gespielt und gut zum Anhören. Vor allem das "singende Allegro", für das der jüngste Sohn von Johann Sebastian Bach berühmt war, kam schön zur Geltung. Im Programmheft wurde Johann Christian Bach als "Vater" der Wiener Klassik bezeichnet. Fragt man sich, woher die Wiener Klassik ihre unvergleichliche Brillanz hat, müsste man feststellen: "Vom Vater hat sie es nicht."

Das Oboenkonzert, das anschließend Ekaterine Tsenteradze aus Georgien überwältigend gut spielte, stammt wohl nicht von Joseph Haydn, die Musik ist aber so gut, dass sie von Haydn hätte sein können. Da hört man sofort überaus klare, sprechende Themen und Motive sowie ihre glänzende Verarbeitung, wie sie damals nur in Wien möglich war. Ekaterine Tsenteradze spielte unerhört präzise und musikalisch lebendig. Der Ton der Oboe - der Barockoboe und auch noch der Wiener Oboe - hat oft etwas Klagendes, der bekannte Publizist Schubart schrieb sogar "Gänsemäßiges"; jetzt aber hörte man einen schlanken, selbst in den schwierigsten Passagen eleganten Ton. Die Aufführung dieses Oboenkonzerts war gewiss der erste Höhepunkt des Karlsfelder Sinfonieorchesters nach der der Corona-Pause.

Trotz der schwierigen Lage fürs Proben und auch für die Aufführung wartete das Orchester unter der Leitung von Bernhard Koch mit einer musikalischen Besonderheit auf. Es spielte eine Sinfonia des portugiesischen Komponisten und Beethoven-Zeitgenossen J. Domingos Bomtempo, der als "portugiesischer Beethoven" bezeichnet wird. Vielleicht wäre Beethoven auf der kompositorischen Stufe dieser Sinfonia stehen geblieben, wenn er von Bonn aus nach Portugal und nicht nach Wien gegangen wäre; denn nur in Wien konnte er "Wiener Klassiker" werden. Die Musik erklang wie Beethoven ohne Wien, also etwa wie seine Musik aus seiner Bonner Zeit. Eine Entdeckung war es allemal. Die schönste Entdeckung und Erfahrung dieses Abends aber bleibt die Gewissheit: "Das Karlsfelder Sinfonieorchester hat überlebt."

© SZ vom 20.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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