Karlsfeld:"Zuhören und nicht verurteilen!"

Karlsfeld: Hat ein offenes Ohr für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen: Daniel Schmid vom Jugendhaus Karlsfeld.

Hat ein offenes Ohr für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen: Daniel Schmid vom Jugendhaus Karlsfeld.

(Foto: privat)

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden an Depressionen, erzählt Erzieher Daniel Schmid vom Jugendhaus Karlsfeld. Im Interview erklärt er, was Eltern tun können.

Interview von Anna Schwarz, Karlsfeld

Nahezu jedes dritte Kind und jeder dritte Jugendliche unterliegt einem Risiko für psychische Auffälligkeiten, das geht aus der dritten Copsy-Studie hervor, der hierzulande größten Langzeitstudie zur psychischen Gesundheit von Sieben- bis 17-Jährigen während der Pandemie. Knapp 30 Prozent der Befragten weisen demnach Krankheitszeichen für Ängstlichkeit oder depressive Symptome auf. Zum Vergleich: Vor der Pandemie lag das Risiko für psychische Auffälligkeiten deutlich unter 20 Prozent. Besondere Risikofaktoren sind Familien, in denen Armut oder beengte Wohnverhältnisse vorherrschen, dort ist die Krankheitswahrscheinlichkeit um das Doppelte bis Dreifache erhöht.

Zum Thema "Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen" organisiert die gemeindliche Jugendarbeit Karlsfeld an diesem Donnerstag, 10. März, einen digitalen Infoabend von 19 bis 20.30 Uhr für Eltern, Erziehende und weitere Interessierte. Dabei sprechen Experten von der Aktionsgemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker, ihrer Freunde und Förderer München sowie Diplom-Pädagogin Eva-Maria Drerup von der Interkulturellen Familienberatungsstelle Dachau. Mit dem Infoabend möchte die Jugendarbeit Eltern helfen, die eine psychische Erkrankung bei ihrem Kind befürchten. Daniel Schmid arbeitet seit rund sechs Jahren als Jugend- und Heimerzieher im Jugendhaus Karlsfeld und erzählt im Interview, mit welchen Problemen die Heranwachsenden aktuell besonders zu kämpfen haben.

SZ: Ins Jugendhaus kommen Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 21 Jahren. Was macht Ihnen aktuell am meisten zu schaffen?

Daniel Schmid: Depressionen haben bei unseren Jugendlichen definitiv zugenommen, bei zwei von ihnen haben wir sogar suizidale Absichten mitbekommen. Wegen der Pandemie-Einschränkungen hatten viele das Gefühl zu vereinsamen: Sie wollten mit anderen rausgehen oder sich treffen - aber das ging ja nicht. Außerdem lebt unser Klientel oft als Familie zu viert in einer kleinen Wohnung. Einige hatten für das Homeschooling nicht mal einen Computer, sondern nur das Handy und mussten als Geschwister in einem Zimmer lernen. Wie sehr diese Zeit an ihrer Psyche genagt hat, merken wir jetzt: Zurück im Jugendhaus sind jetzt alle viel aufgedrehter!

Verständlich. Im ersten Pandemiejahr war das Jugendhaus sogar einige Monate geschlossen.

Genau, wir haben deshalb Bastel-Sets zum Abholen angeboten oder über unseren Instagram-Kanal Challenges organisiert, also wer schafft zum Beispiel die meisten Kniebeugen. Manchmal haben Jugendliche auch bei uns geklopft, wenn sie es daheim nicht mehr ausgehalten haben. Dann haben wir uns zu einem Eins-zu-eins-Plausch verabredet und sind einmal um den See spaziert.

Jugendliche haben Ihnen dabei auch erzählt, dass sie depressiv sind oder eine depressive Phase haben...

Ja, sie formulieren es dann eher so, dass sie sehr allein und traurig sind, Angst vor der Schule haben und anstatt dessen lieber den ganzen Tag im Bett liegen würden. Ich versuche dann mit ihnen rauszuarbeiten, was ihnen guttut, damit sie wieder aus ihrem Loch herauskommen: Den meisten hilft es sehr, wenn sie wieder gleichaltrige Freunde treffen. Andere habe ich schon zum Psychotherapeuten begleitet.

Wie soll ich als Elternteil darauf reagieren, wenn mein Kind zum Beispiel Depressionen oder eine Essstörung hat?

Wichtig ist: Erstmal zuhören und nicht verurteilen! In der heutigen Zeit bleibt oft wenig Zeit zum Reden, wenn beide Eltern berufstätig sind und die Kinder in eine Ganztagsschule gehen. Deshalb sollte man sich bewusst Zeit nehmen für das Kind und fragen: Was ist eigentlich bei dir los? Welche Ängste und Gefühle hast du? Dann kann man sich zum Beispiel Hilfe beim Jugendamt holen, außerdem gibt es Seelsorger-Nummern für Jugendliche und Eltern oder das Kinder- und Jugendtelefon.

Was sind absolute No-Gos in dieser Situation?

Wenn Eltern die Depression des Kindes mit Sprüchen abtun, wie: "Morgen wird's schon wieder besser" oder "Sei doch einfach glücklich". Besser ist es zu fragen: Was macht dir Freude? Natürlich muss man nicht sofort zum Psychotherapeuten gehen, aber es ist sicher eine Möglichkeit, wenn es sehr akut wird.

Wie kann ich psychischen Krankheiten vorbeugen?

Das klappt durch Resilienz aufbauen, um sich aus schwierigen Situationen selbst wieder heraus zu helfen. Sehr wichtig ist es für Jugendliche, dass sie Bezugspersonen haben, an die sie sich wenden können. Das müssen nicht unbedingt die Eltern sein, sondern zum Beispiel die Oma oder der Nachbar. Aber daran fehlt es einigen Jugendlichen: Sie sagen mir, dass sie niemanden haben, mit dem sie über ihre Probleme reden können. Wichtig sind außerdem Sport und Spielen, weil es bei uns allen Glückshormone freisetzt.

Eine anonyme Teilnahme bei der kostenlosen Infoveranstaltung ist möglich. Anmeldung unter 08131-39 08 06 an oder per E-Mail an Jugendhaus@karlsfeld.de, der Zugangslink wird zugeschickt.

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