Karlsfeld:Gemeinderat lässt Flüchtlinge unter fragwürdigen Bedingungen arbeiten

Flüchtlinge in Karlsfeld

Keine Helme, keine Sicherheitsstiefel, kaum oder gar kein Lohn: Flüchtlinge bei der Arbeit am Bahngelände in Karlsfeld.

(Foto: Johann Willibald/oh)
  • 450 Euro für 120 Stunden Arbeit oder gleich null Euro für 56 Stunden: In Karlsfeld sollen Flüchtlinge unter mehr als fragwürdigen Umständen beschäftigt worden sein.
  • Der Verantwortliche Andreas Turner sagt, es sei eine Menge schief gelaufen, sieht bei sich aber kein Fehlverhalten.
  • Im Gemeinderat soll Turner schon vorher durch seine eigenwillige Rechtsauffassung aufgefallen sein.

Von Gregor Schiegl

Bäume und Sträucher wuchern aus dem Kies, es gibt einen Bunker aus bröckelndem Beton, Lauben und alte Eisenbahngärten, Randstadtidylle zwischen Schotterhügeln und Lärmschutzwand. Bis vor kurzem gehörte das Gelände der Bahn, inzwischen hat es Markus Fleischmann gekauft, ein Immobilienverwalter aus Passau. Früher hat er selbst in Karlsfeld gewohnt. Aus dieser Zeit kennt er noch Andreas Turner. "Eine Seele von einem Menschen", sagt er über seinen Jugendfreund. Der Bündnis-Gemeinderat will hier eine Schrebergartensiedlung mit zehn Hütten anlegen - für Flüchtlinge und mit tatkräftigem Einsatz von Flüchtlingen. Eine Graswurzelinitiative mit Vorbildcharakter. So verkauft er es jedenfalls.

Doch binnen weniger Wochen hat es der hemdsärmlige Kommunalpolitiker geschafft, Anwohner, Behörden, ja selbst einen Großteil der Flüchtlinge gegen sich aufzubringen. Die meisten, die er beschäftigt hat, sind aus dem Projekt ausgestiegen - ohne Lohn oder nur sehr wenig. Manche hatten nicht mal eine Arbeitserlaubnis. Dem Helferkreis Karlsfeld liegt eine Liste vor mit den Arbeitszeiten und den Summen, die Turners Beinahe-Angestellte erhalten haben. 450 Euro für 120 Stunden Arbeit oder null Euro für 56 Stunden. Die Flüchtlinge können wenig tun. "Die haben ja nicht mal einen Rechtsbeistand", sagt Peter Schure vom Helferkreis.

Gartenanlage

Markus Fleischmann, Raiput Abdul-Rehman und Andreas Turner glauben an ihr Projekt. Andere verzweifeln daran

(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Liste wurde Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) übermittelt, der über Turners Machenschaften ganz und gar nicht amüsiert ist. "Das ist ein Vorgang, der mir nicht ganz sauber erscheint." Mehr will er jetzt noch nicht sagen, man müsse die Einzelheiten genau prüfen. Es sei eine Menge schief gelaufen, räumt Turner ein. "Das tut mir ja auch leid für die Leute." Ein eigenes Fehlverhalten sieht der Bündnis-Gemeinderat nicht. In seiner Welt ist er derjenige, der den Leuten wirklich hilft. Oder es wenigstens versucht - gegen alle Widerstände. Dass das irgendwie nicht so richtig klappen will, ist die Schuld der anderen.

Nach seiner Darstellung hätte es so laufen sollen: Die Flüchtlinge arbeiten an den Kleingärten, die sie später für eine symbolische Summe von einem Euro pachten. Dafür arbeiten sie erst mal kostenlos, schließlich - so argumentiert Turner - handele es sich um ungelernte Kräfte, die erst mal qualifiziert werden müssten. Wenn es an den Bau der Hütten geht, sollten die Flüchtlinge ihren Mindestlohn von 8,50 Euro erhalten und eine Festanstellung in seinem Betrieb. Deswegen sieht Turner auch kein Problem darin, dass er in der Vorbereitungsphase Leute beschäftigt hat, die noch gar keine gültige Arbeitserlaubnis hatten.

Im Gemeinderat gilt Andreas Turner als enfant terrible. Gesetze, Zuständigkeiten und Verfahrensweisen, überhaupt alle Usancen, die in so einem politischen Gremium gang und gäbe sind, sind Turner offenbar fremd. Als bei einer Ausschreibung der Gemeinde ein Firmenangebot vorlag, das er zu teuer fand, schlug er schon mal vor, den Auftrag einem Bekannten zu geben, der mache das billiger. Ein andermal zieh er den Gemeinderat in öffentlicher Sitzung der Verschleuderung von Steuergeldern, weil der sich einst vom Großsteuerzahler Eon über den Tisch habe ziehen lassen. CSU und SPD tobten. Belege blieb Turner schuldig, eine Entschuldigung auch.

"Hier geht es um Rassismus, sonst nichts"

Seine eigenwillige Rechtsauffassung führte auch dazu, dass die Untere Naturschutzbehörde vor einigen Wochen einen Baustopp verfügte. Mit einem Minibagger und der Hilfe von bis zu 20 Flüchtlingen hatte Turner 2000 Quadratmeter Fläche gerodet. Bis heute ist er der Überzeugung, es handele sich um "Bahnland", in dem weder die Gemeinde noch sonst wer etwas zu melden habe. Dem ist aber wohl doch nicht so.

Auf dem planierten Gebiet sei ein Gehölz in den Plänen vermerkt, sagt der Pressesprecher des Landratsamts, Wolfgang Reichelt. "Das darf man nicht so einfach wegholzen. Da hätte man einfach mal bei seiner Gemeinde nachfragen müssen." Grundeigentümer Fleischmann will vor dem Verwaltungsgericht gegen den Baustopp klagen. Die Untere Naturschutzbehörde prüft nun, wie stark der Eingriff ist, welche Ausgleichsmaßnahmen möglich sind und ob das Vorhaben mit den Schutzbelangen der Natur doch unter einen Hut zu kriegen ist.

Fleischmann hält das für vorgeschoben. Anwohner hatten das Landratsamt gebeten einzugreifen. Ein Anwohner schrieb an Turner, ob er bei den "Asylantengärten" nach den Flüchtlingsattacken in Würzburg und Ansbach die Sicherheit der Nachbarn gewährleisten könne. Für Markus Fleischmann ist die Wortwahl entlarvend: "Hier geht es um Rassismus, sonst nichts."

Gerhard Mahnke wohnt direkt an der Baustelle. Die ganze Nachbarschaft sei in heller Aufruhr, erzählt er, keiner habe ihnen gesagt, was da geplant sei. Ja, er fürchte Ärger, wenn die jungen Flüchtlinge hierher kämen. Aber die täten ihm auch leid, die armen Kerle. Sie hätten den ganzen Tag in der Sonne geschuftet und geschwitzt. Die Nachbarn hätten ihnen Wasser gegeben. Und überhaupt, was sollten denn 19-Jährige mit einem Schrebergarten?

Einige wurden bezahlt, andere nicht

Der Pakistaner Raiput Abdul-Rehman ist Turners erster richtiger Angestellter, ein Gartenbauer aus Pakistan. Er sagt, er fände es schön, einen Ort zu haben, wo er draußen sein und schöne Blumen pflanzen kann. Auf seinem angeknacksten Smartphone zeigt er Bilder von sich mit seiner Freundin beim Garteln, aus den Blumen spitzt ein Gartenzwerg. Die anderen Flüchtlinge, so haben sie es im Helferkreis erzählt, dachten, sie arbeiteten für Geld, so wie man das eben macht in Deutschland. Turner sagt, davon sei nie die Rede gewesen, das habe er denen, die Englisch können, auch gesagt. Und sich darauf verlassen, dass sie es den anderen weitersagen.

Nach dem Baustopp habe er den enttäuschten Flüchtlingen trotzdem Geld gegeben, weil es ja jetzt mit den Hütten erst mal nichts wird. Denen ohne Arbeitserlaubnis habe er aber nichts gezahlt, das dürfe er leider nicht, er habe bei der Ausländerbehörde nachgefragt. "Ich würde mich damit einer Straftat schuldig machen."

Das Misstrauen gegen die selbsternannten Wohltäter sitzt tief. "Die Verbindung Turner-Fleischmann erscheint mir sehr suspekt", sagt Verkehrsreferent Johann Willibald (CSU) unverhohlen. Er hat eine Anfrage in der Gemeinderatssitzung gestellt, in der sich Turner erklären soll. Es gibt noch viele offene Fragen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: