Karlsfeld:Beste Randlage

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Für ein Dorf zu groß, für eine Stadt zu klein: Karlsfeld, eingeklemmt zwischen Kreisstadt und Landeshauptstadt, passt nirgendwo richtig hin. Würde mit dem Stadtrecht alles besser werden? Selbst der SPD-Bürgermeisterkandidat Pobel, Urheber der Idee, redet lieber nicht mehr davon.

Von Gregor Schiegl

Wie ein Straßendorf sieht Karlsfeld nach dem Umbau der Münchner Straße nicht mehr aus. (Foto: DAH)

Im Juni 2011 bekam die Gemeinde Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck neue Ortsschilder. Der 25 000-Einwohner-Ort wurde offiziell zur Stadt - der 317. und bis dato letzten in Bayern. Erst einen Monat zuvor war Puchheim (ebenfalls Fürstenfeldbruck) zur Stadt erklärt worden. Auch Gröbenzell (noch mal Fürstenfeldbruck) sollte Stadt werden. Die Bürger der 19 000-Seelen-Gemeinde erteilten derlei Ambitionen allerdings eine Abfuhr. Man wollte lieber "Gartenstadt" bleiben: ländlich, überschaubar, heimelig.

Die Parallelen zu Karlsfeld sind evident. Auch Karlsfeld steuert auf die 20 000-Einwohner-Marke zu und spricht gerne von sich als "Gartenstadt". 2008 , man erinnere sich, trat SPD-Bürgermeisterkandidat Reinhard Pobel an, mit der Idee, die 19 000-Einwohner-Gemeinde zwischen Dachau und München zur Stadt ernennen zu lassen. Die Zeit sei reif dafür. Die Bürger waren es offenbar nicht. Pobel fuhr mit knapp 35 Prozent der Stimmen jedenfalls ein Ergebnis ein, das er selbst als "ernüchternd und enttäuschend" bezeichnete. Jetzt kandidiert er erneut. Von einer Stadterhebung ist keine Rede mehr. Das Video, mit dem er 2008 noch für die Stadt Karlsfeld warb, ist aus Youtube verschwunden.

Für Außenstehende ist das verwunderlich. Viele kennen den Ort nur von der stadtautobahnähnlichen Bundesstraße 304, die den Ort auf vier Spuren durchschneidet. Manche wissen gar nicht, dass Karlsfeld eine eigene Gemeinde ist, weil das Siedlungsgebiet nahtlos an München mit seinen Großbetrieben MTU und MAN anschließt. Und sieht man an den Wohnblöcken am Ortsausgang Richtung Dachau, die so gewaltig sind, dass sie bei den Karlsfeldern "Schlachtschiffe" heißen, nicht die Anonymität der Großstadt schon beispielhaft in Beton gegossen?

Neuerdings steht an der Münchner Straße auch ein riesiges Einkaufszentrum. Der Ort brauche Urbanität und auch "eine gewisse Massivität", analysierte CSU-Fraktionssprecher Stefan Handl jüngst. Die CSU ist eine treibende Kraft hinter der städtebaulichen Umwälzung, auch und gerade an der Münchner Straße. Der Karlsfelder Volksseele mutet sie damit einiges zu.

Wenn von einer "Gartenstadt Karlsfeld" die Rede ist, liegt die Betonung immer ganz klar auf "Garten". So etwas wie den Central Park hätte man auch gerne in Karlsfeld, aber bitte keine Hochhäuser. Und bloß keine Flachdächer. Wegen eines achtstöckig geplanten Wohnhauses im Ortszentrum "Neue Mitte" sprachen manche Kritiker schon wutschäumend von einem "Klein-Manhattan". Das Große, das Massive ist in Karlsfeld verpönt. Klein soll es sein, kuschelig. Es gibt eine große Sehnsucht nach Heimat, nach Geborgenheit und Verwurzelung in einer sich rasant wandelnden globalisierten Welt.

Und doch kann sich auch die Gemeinde Karlsfeld nicht aus der Welt ducken, sie muss die Dinge weiterentwicklen, immer am Ball bleiben im großen Spiel. Wenn die Rahmenbedingungen sich ändern, muss sie darauf reagieren. Bürgermeister und Gemeinderäte haben es nicht immer leicht, diese Zwänge zu erklären.

Eine Stadterhebung brächte Karlsfeld nicht die Revolution, sondern zunächst nur andere Briefköpfe auf den offiziellen Schreiben. Olching versprach sich einen Imagegewinn, der sich auch wirtschaftlich niederschlägt. Bislang jedoch ist in der jungen Stadt davon nicht besonders viel festzustellen. Dennoch lohnt es sich darüber nachzudenken, was Karlsfeld sein will, weil es entscheidend für die Ausgestaltung der politischen Agenda ist: Eine Stadt muss ein gewisses kulturelles Angebot vorhalten - und zwar über das hinaus, was die Vereine leisten, zum Beispiel. Die CSU bewegt sich in diese Richtung.

Tatsächlich ist Karlsfeld in vielerlei Hinsicht längst eine Stadt, schon aufgrund ihrer Größe. Karlsfeld hat gut 19 000 Einwohner, Miesbach hat gerade 11 000 und Ebersberg keine 12 000 - und das sind sogar Kreisstädte. Dazu kommt die Bevölkerungsstruktur. Mehr als 27 Prozent der Karlsfelder haben einen ausländischen Pass (Stand 2013), die Katholiken sind mit knapp 8400 Mitgliedern eine Minderheit. Mehr als 2900 Karlsfelder sind evangelisch, die größte Gruppe stellen die mehr als 8500 Karlsfelder, die sich einer anderen oder gar keiner Konfession zuordnen. Der soziologische Befund ist klar: In Karlsfeld wohnt eine städtische Bevölkerung.

Das lässt sich auch an der Wahlbeteiligung ablesen. In den Dörfern gehen in der Regel mehr Menschen zum Wählen als in den Städten. Bei den Landtagswahlen 2013 war Dachau mit knapp 66 Prozent Schlusslicht, Karlsfeld wurde mit rund 67 Prozent vorletzter. Die treuesten Wahlbürger gab es im ländlichen Odelzhausen: Dort gaben mehr als 80 Prozent ihre Stimme ab. Den Rückzug aus dem politischen Raum ins Private beklagen nicht nur Gemeinderäte, sondern mittlerweile sogar Bürgerinitiativen, die Unterschriften sammeln wollen. Vielen Karlsfeldern ist es völlig Banane, was in ihrem Ort geschieht - sofern es sie nicht direkt und unmittelbar betrifft. Wenn Karlsfeld eine Stadt ist, dann eine Satellitenstadt mit Tendenz zur Schlafstadt.

Dabei wird Karlsfeld in vielen Bereichen längst wie eine Stadt regiert. Seit 15 Jahren leistet sich die Kommune eine eigene Streetworkerin. Es ist noch gar nicht solange her, da galt Aufsuchende Jugendarbeit sogar als etwas, das man nur in Großstädten braucht, in Hamburg, Köln oder Berlin. Da wo es richtig Zoff gibt. Inzwischen ist bekannt, dass Streetwork sich vor allem bei der Prävention bezahlt macht. In den Sozialraumanalysen des Landkreises schneidet Karlsfeld immer erstaunlich gut ab - im Gegensatz zu den Dorfgemeinden, wo die Welt angeblich noch in Ordnung ist.

Selbst die Existenz des Gehölzlehrpfads könnte man als Beleg anführen: Auf dem Land nimmt man die Natur wie sie ist, in der Stadt wird sie zum Anschauungsobjekt, das pädagogischen vermittelt werden muss. In der Stadt werden die Naturräume zu einer schwindenden Ressource, die verteidigt werden muss. Die wiederkehrenden wütenden Auseinandersetzungen um Gewerbegebiete contra Grünzüge in Karlsfeld zeigen diese Konfliktlinie immer wieder auf. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, das langsame, aber stetige Wachstum Karlsfelds, ist mit dem Erhalt der Naturräume paradoxerweise nur vereinbar, wenn die Verstädterung fortschreitet. Wenn an zentraler Stelle eine massive Verdichtung stattfindet, um Grünzüge zu erhalten. Wenn mehr Stadt in der "Gartenstadt" entsteht. Die planerische Grundlage hat die Gemeinde dafür bereits mit ihrem neuen Flächennutzungsplan gelegt.

Dennoch kann Karlsfeld aus vielerlei Gründen nicht als Stadt gelten. Was vor allem fehlt, ist die Zentralität. Karlsfeld ist eingeklemmt zwischen der Großen Kreisstadt Dachau und der Landeshauptstadt München. Es gibt kein ländliches Umfeld. Im neuen bayerischen Landesentwicklungsprogramm (LEP) wird Karlsfeld daher wie ein überdimensioniertes Kuhkaff behandelt. Eine weiterführende Bildungseinrichtung, wie etwa das geplante vierte Gymnasium, dürfte es nach dem LEP in Karlsfeld auch in Zukunft nicht geben. Da ärgert sich selbst die Karlsfelder CSU über die Staatsregierung. "Wir fallen durchs Raster", beklagt CSU-Fraktionssprecher Stefan Handl.

Karlsfeld ist ein schwieriger Stadt-Land-Hybrid. Das hat zur Folge, das die Infrastruktur nach städtischen Maßstäben immer noch deutlich unterentwickelt ist. Die Versorgung mit Einzelhandel hat sich durch das Einkaufszentrum verbessert und wird sich weiter verbessern, wenn 2016 die Neue Mitte fertiggestellt wird. Doch fehlen weiterhin viele Fachärzte. Nicht einmal einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt will man der Großgemeinde zubilligen. Für Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU), in dessen Gemeinde schon heute mehr als 4000 Senioren leben, ist das ein "Unding", das ihm regelmäßig die Zornesröte ins Gesicht treibt.

Es gibt sogar zentrale Einrichtungen, die Karlsfeld über die Jahre eingebüßt hat: Die Postfiliale in der Krenmoosstraße wurde vor drei Jahren geschlossen, vor gut einem Jahrzehnt verabschiedete sich die Polizei aus ihrer Dienststelle in der Hochstraße. Karlsfeld steht vor dem Problem, dass es kaum eine "richtige" Stadt werden kann, andererseits aber auch keine Landgemeinde mehr ist - und das schon viel länger als mancher Karlsfelder sich das wohl eingestehen will.

2010 fragte der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Runge, wie denn eigentlich die Chancen stünden, wenn Münchner Umlandgemeinden - explizit wurde auch Karlsfeld genannt - dem Beispiel Olchings und Puchheims folgten, ob sie denn dann auch Städte würden? Das Innenministerium wollte dazu keine pauschale Aussage treffen: "Eine Bewertung zu den Aussichten möglicher Anträge auf Stadterhebung kann erst nach einer mit den notwendigen Unterlagen versehenen Anfrage durch die jeweilige Gemeinde abgegeben werden." In Karlsfeld ist das derzeit kein Thema. Es gibt wichtigere Probleme.

So bleibt es bis auf weiteres bei der Konsensformel von der Gartenstadt. Es ist keine Zustandsbeschreibung Karlsfelds als vielmehr die Utopie, man könne in einer Stadt-Randgemeinde dauerhaft wie im Schrebergärtchen leben, nur eben mit etwas mehr Komfort. Bezeichnenderweise ist Karlsfelds Bürgermeister Fritz Nustede seit dem Ende seiner Amtszeit Vorsitzender der Gartengemeinschaft Dachau. Dort funktioniert dieses Modell.

© SZ vom 04.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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