Karlsfeld/Allach:Erste Hilfe gegen den Kollaps

Lesezeit: 3 Min.

Die Angst vor noch mehr Verkehr beherrscht den Bürgerdialog zur Sanierung des Allacher Tunnels. MVV-Angebote, gezielte Umleitungen oder geänderte Schichtmodelle bei MAN, BMW und Co. sollen das Schlimmste verhindern

Von Anita Naujokat, Karlsfeld/Allach

"Wir sind als Betreiber der Autobahn um jeden froh, der nicht auf der Autobahn fährt." Dieser Satz aus dem Munde von Jochen Eid mag ungewöhnlich anmuten, zeigt aber, dass die Niederlassung Südbayern der Autobahn GmbH des Bundes dankbar für jede Nische ist, welche die Belastungen während der Sanierung des Allacher Tunnels und des Umbaus zur Seitenstreifen-Freigabe der A 99 zwischen den Dreiecken München-Allach und München-Feldmoching abmildern. Und seien es nur 20 Verkehrsteilnehmer, die vom Auto aufs Rad umstiegen, ließe sich noch ein Radweg an der nördlichen Eversbuschstraße neben dem Absetz- und Versickerungsbecken der Autobahn realisieren. "Wir sind da kooperationsbereit", versicherte Eid, Geschäftsbereichsleiter Planung. Mit großer Verkehrsbelastung rechnen auch Karlsfeld und der Landkreis Dachau.

Die Bürger hatten die Möglichkeit, mit Fachleuten in den Dialog zu treten, um telefonisch oder online per Chat ihre Fragen, Anregungen, Wünsche und Kritiken, Ängste und Sorgen wegen der jahrelangen Einschränkungen und Veränderungen im eh schon engen Lebensumfeld loszuwerden, die so ein anspruchsvolles Projekt mit sich bringt. Acht Jahre Bauzeit von 2025 an, aufgeteilt in eine zunächst dreijährige Phase, um die Betriebstechnik auf die Tunneldecke zu bauen und die Seitenstreifen temporär befahrbar zu machen, im Anschluss vier bis fünf Jahre mit wechselseitigen Sperrungen jeweils einer Röhre, um den Tunnel zu sanieren. Und das auf einer Strecke mit täglich 132 000 Fahrzeugen. Der Durchschnitt auf anderen bayerischen Autobahnen liege bei 50 000, so Verkehrsingenieur Jan Böhringer.

Wenn es für Pendler mal wieder etwas länger dauert auf der Straße, liegt es oft am Nadelöhr im Münchner Norden: der Allacher Tunnel, rechts die südlich davon verlaufende Bahnstrecke. (Foto: UrbanUncut/Autobahn Südbayern/oh)

Die Telefone in der Dialog-Veranstaltung liefen heiß. 81 Fragen sind während der Sendung auf den zugeschalteten Anrufbeantworter eingegangen, 20 waren schon vorher per E-Mail gestellt worden. Rund 300 Zuschauer verfolgten den Livestream. 26 000 Einladungen hatte die Autobahn Südbayern dafür zuvor in die Briefkästen stecken lassen. Anwohner, auch die in umliegenden Kommunen wie Karlsfeld, befürchten noch mehr Staus und Schleichverkehr, Schäden an Gebäuden wegen des hohen Grundwasserstands, Risiken für Mensch und Tier durch die Baustelle, Eingriffe in die Natur.

Die Allacher Lohe werde nicht angerührt versicherten Anna Strehl, Projektingenieurin aus dem Planungsteam, und Elke Rausch, Fachfrau für Naturschutz und Umwelt. Insgesamt werden 2,15 Hektar Fläche neu versiegelt und 3,13 Hektar anderweitig verbaut. Dem stünden etwas mehr als vier Hektar Ausgleichsfläche gegenüber, zum großen Teil an der Baustrecke. 0,83 Hektar, also etwas größer als ein Fußballfeld, setzen die Planer in 13 Kilometern Entfernung in Krailling als Teil eines größeren Naturschutzprojekts um. Und ganz praktisch: Queren können Spaziergänger die Tunneldecke auch während der Bauzeit immer. Idas-Bläuling und Zauneidechse werden aber zeitweise umziehen müssen, sie würden die Bauzeit nicht überstehen.

Veränderte Schichtzeiten in Großbetrieben wie der MTU könnten das Verkehrsaufkommen entzerren. (Foto: Toni Heigl)

Von der temporären Freigabe der Seitenstreifen auf dem fast sieben Kilometer langen Abschnitt erhoffen sich die Verantwortlichen eine Erhöhung der Kapazität von stündlich 5500 Fahrzeugen auf 6800. Nicht abrücken wollen sie während der Sanierung des einen Kilometer langen Tunnels von der kompletten Sperrung jeweils einer Röhre, der sogenannten 4-plus-0-Variante. Parallel zwei zusätzliche Fahrspuren (4-plus-2-Variante) in der zweiten Röhre für den Verkehr offen zu halten, wäre ein zu hohes Sicherheitsrisiko für Bauarbeiter, aber auch Verkehrsteilnehmer, sagte Böhringer. Man brauche eine freie Röhre auch als Rettungs- und Fluchtweg. Zudem verlängere eine Wanderbaustelle die Bauzeit.

Was die Verkehrsverlagerungen während der Bauzeit betrifft, setzen er und die Fachleute nicht nur auf gezielte Umleitungen als die eine große Maßnahme, um ein Worst-Case-Szenario zu verhindern, sondern auf viele kleine, wie eine Entzerrung der morgendlichen und abendlichen Spitzenzeiten, das Umsteigen auf andere Verkehrsmittel, Home-Office, Fahrgemeinschaften. So führe man nach dem Modell in Regensburg Sondierungsgespräche mit den großen Arbeitgebern MAN, MTU, BMW oder Allianz Arena, um Schichtzeiten zu verändern, aber auch mit Kommunen und der Münchner Verkehrsgesellschaft. "Wir hoffen auf eine Vielzahl von Angeboten", sagte Eid. Vielleicht stecke darin ja auch die Chance, das allgemeine Verkehrsverhalten grundsätzlich zu ändern. Verkehr lasse sich nämlich doch beeinflussen, das habe Corona gezeigt, und ohne einen Lockdown zu wollen, ermutige es, ihn während der Bauzeit auch zu beeinflussen.

Ein Erklärfilm und die gesamte Dialog-Veranstaltung können jederzeit über die Webseite https://www.tunnel-allach.de verfolgt werden. Dort werden demnächst auch die gestellten Fragen und Antworten dokumentiert sein.

© SZ vom 21.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: