Kandidaten für Tassilo-Preis:Nägel im Pflaster

Mit seiner Ausstellung "Perfekte Gegenwart" will Nico Kiese zeigen, wie schwierig es ist, in der Welt der Kunst Fuß zu fassen.

Sophie Burfeind

Abgeschlagene Narzissenblüten aus Bronze liegen verstreut auf alten Münchner Gehwegplatten. Einige der Pflastersteine sind gebrochen - zerschlagen von einem massiven Hammer. Neben einem Haufen von großen Bronzenägeln, denen Narzissenblüten aufgesetzt sind, liegt er am Boden. Der Künstler Nico Kiese hat versucht, die Narzissenblütennägel in den Beton des Pflasters einzuschlagen. Ein Projekt, das zum Scheitern verurteilt ist. Oder nicht? Nach vielen Versuchen gelingt ihm das schier Unmögliche und von diesem Moment an thront die Gehwegplatte mit dem eingeschlagenen Nagel auf einem mannsgroßen barocken Sockel als Zeichen des Sieges: Auch das vermeintlich Unmögliche wird möglich, wenn man nicht aufgibt.

Kandidaten für Tassilo-Preis: "Ich brauche die Kunst": Nico Kiese in der "Firstlines Gallery".

"Ich brauche die Kunst": Nico Kiese in der "Firstlines Gallery".

(Foto: privat)

Natürlich geht es dem 29-jährigen Künstler in seiner Ausstellung "Perfekte Gegenwart" in der Firstlines Gallery im Glockenbachviertel in München nicht um die Demonstration eines Kraftakts. Vielmehr möchte er zeigen, wie schwierig es ist, als Künstler Erfolg zu haben - sinnbildlich, seinen Nagel in das harte Pflaster der Kunstwelt zu schlagen. Nico Kiese hat mit dieser Installation ein Sprichwort umgesetzt, das ihm viel bedeutet. Dessen Kernaussage lautet: "Das Brot ist die Nahrung des Körpers, die Narzisse ist die Nahrung der Seele." Damit will er Folgendes zum Ausdruck bringen: "Man braucht nicht nur Nahrung für den Körper, damit man überlebt. Man muss auch etwas für den Geist bekommen." Die abgeschlagenen Narzissenblüten stehen für die zahlreichen, vergeblichen Versuche, Eingang in die Welt der Kunst zu finden. Dennoch möchte er weiterhin kreativ sein. "Ich brauche die Kunst, um glücklich zu sein."

Künstlerisch aktiv ist der geborene Weichser, der zunächst die Fachoberschule für Gestaltung in Giesing besuchte, bevor er 2005 an der Akademie der Bildenden Künste in München ein Bildhauer-Studium begann, schon seit seiner Jugend. Im Jahr 2006 hatte er seine erste Ausstellung; 2009 beteiligte er sich an der Ausstellung "Vorgarten", die in der KVD-Galerie und der Neuen Galerie in Dachau zu sehen war. Als Fortsetzung ist die Vorgarten-Reihe momentan in Warendorf bei Münster zu sehen. Seit dem Frühjahr 2010 ist Nico Kiese Mitglied der KVD und wurde vom stellvertretenden Vorsitzenden Johannes Karl für den Tassilo-Preis vorgeschlagen. In Dachau werden Werke von ihm vom Donnerstag, 21. Juni, an in der KVD-Galerie in der Ausstellung "Stillraum" zu sehen sein.

Der schön klingende, aber paradoxe Ausstellungstitel "Perfekte Gegenwart" soll bewusst Fragen aufwerfen. "Es kann keine perfekte Gegenwart geben", sagt Nico Kiese und klatscht in die Hände - zum Zeichen, dass die Gegenwart bereits vergangen ist. Dennoch gebe es besondere Augenblicke, in denen die Zeit stehen zu bleiben scheine und konserviert wirke. Wie er es mit dem Bild "Bamberg" demonstriert: Dabei blickt der Betrachter aus einer alten Fabrikhalle durch ein großes, kuppelartiges Fenster nach draußen. "In dieser alten Abrissfabrik war seit Ewigkeiten keiner mehr drin. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, alles war Ruhe, wie ein eingefrorener Moment." Mit einer Fotografie eines Bierdeckelhauses in der alten Schwabinger Sieben kurz vor ihrem Abriss hält er einen persönlichen Moment fest. Mit dem Bild könne er sich stets in dessen Stimmung zurück versetzen. "Present Perfect bedeutet ja, dass etwas gerade vergangen ist, aber noch Einfluss auf die Gegenwart hat", erklärt er.

Ironisiert wird die "Perfekte Gegenwart" in einer Installation zweier galoppierender Porzellanpferde, die vor einem Campingfernseher stehen und sich Pferdevideos anschauen. So wie sich die festgefrorenen Porzellanpferde Pferde in der Wildnis anschauen, so verhalte es sich mit den Menschen: "Man sitzt daheim in seiner Wohnwabe und schaut in den Kasten." Anstatt die Welt selbst zu erleben, beschränkten viele sich auf die verfälschte Realität der Medien und auf den eigenen Stillstand. Und das noch dazu freiwillig.

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