Kandidaten für Tassilo-Preis:Der Modernisierer

Karl Bruckmayer hat in seiner 20-jährigen Leitung aus der Thoma-Gemeinde einen agilen, zeitgemäßen Theaterverein gemacht und spektakuläre Inszenierungen nach Dachau gebracht.

Walter Gierlich

"Bevor ich Chef geworden bin, hat die Thoma-Gemeinde Thoma gespielt und sonst nichts." Karl Bruckmayer, der 20 Jahre lang Vorsitzender des Vereins war, steht für die Öffnung der Ludwig-Thoma-Gemeinde hin zu weiteren Autoren - zeitgenössischen, kritischen. Bevor er im vergangenen November von seinem Amt zurücktrat, ließ er die Öffnung des Vereins sogar noch in der Satzung festschreiben. In diesem Jahr wird der pensionierte Deutschlehrer Karl Bruckmayer seinen 75. Geburtstag feiern. Aus dem bürgerlichen-braven Verein, den einst schon sein Vater geführt hatte und dem beizutreten ihm als jungem Mann nie in den Sinn gekommen wäre, hat Bruckmayer ein aufregendes Theaterensemble gemacht.

Kandidaten für Tassilo-Preis: Die Rolle als römischer Kaiser Diokletian im Stück "Rosi träumt" von Peter Hacks passte bestens zum ehemaligen Latein- und Geschichtslehrer Karl Bruckmayer, der nach Jahren als Regisseur spät aber erfolgreich, selbst noch die Bühne betrat.

Die Rolle als römischer Kaiser Diokletian im Stück "Rosi träumt" von Peter Hacks passte bestens zum ehemaligen Latein- und Geschichtslehrer Karl Bruckmayer, der nach Jahren als Regisseur spät aber erfolgreich, selbst noch die Bühne betrat.

(Foto: DAH)

In Dachau erinnert man sich an spektakuläre Inszenierungen etwa von Stücken von Franz Xaver Kroetz, Ödön von Horváth, Peter Hacks, Peter Turrini, Thomas Bernhard oder Ernst Toller, aber natürlich auch immer wieder der Werke Ludwig Thomas. Vielumjubelt wurde im vergangenen Jahr die Inszenierung des Bauernmädchendramas "Magdalena", bei der Bruckmayers ehemaliger Schüler am Josef-Effner-Gymnasium (JEG), Wolfgang Möckl Regie geführt hat.

Es sei ein kluger Schachzug der Stadträtin Margarete Kron gewesen, dass sie ihn einst angesprochen habe, ob er nicht die Leitung des Bühnenensembles der Ludwig-Thoma-Gruppe übernehmen wolle. Ausgerechnet ihn, dem der Verein einst allzu spießig erschienen war. Bruckmayer, vor fast 75 Jahren in Neuburg an der Donau geboren, kam 1953 als Schüler nach Dachau. Ab 1975 unterrichte der Altphilologe selbst Latein und Griechisch. Außerdem Deutsch, Geschichte und Sozialkunde. Am Effner-Gymnasium leitete er eine Theatergruppe mit dem Namen "Drunter und Drüber". Die Kulturpolitikerin Margarete Kron, nach welcher der Kron-Maus-Preis benannt ist, den die Überparteiliche Bürgergemeinschaft alljährlich vergibt, wusste das. Sie hatte eine Aufführung im Pfarrheim Sankt Jakob gesehen. Nicht ohne Hintergedanken habe sie ihn angesprochen, ist sich Bruckmayer sicher: Das damalige Ensemble des Vereins war überaltert, und der Lehrer sollte junge Menschen aus seiner Schultheatergruppe zur Thoma-Gemeinde bringen. Das gelang, und es kamen nicht nur junge Darsteller aus dem JEG, sondern auch Schüler aus dem Ignaz-Taschner-Gymnasium.

Die Jungen wollten was Modernes spielen", sagt Bruckmayer, der schon bald nicht nur die Theatergruppe, sondern den ganzen Verein leitete. Dafür hat er vollstes Verständnis: "Theater ist von der gesellschaftlichen Situation abhängig." Mit modernen Stücken sei es zwar bisweilen schwierig, Publikum zu locken, räumt der überzeugte Junggeselle Bruckmayer ein. Aber er bricht dann doch eine Lanze für die Dachauer Theaterbesucher: Als man sich einst an Kroetz wagte, habe es Unkenrufe gegeben. "Doch dann waren die Aufführungen jedes Mal gesteckt voll", erinnert er sich. Nicht ohne Stolz sagt Bruckmayer, dass die Ludwig-Thoma-Gemeinde unter seiner Ägide nicht nur Kroetz, sondern auch Herbert Achternbusch, Turrini und Toller jeweils erstmals in Dachau aufgeführt habe. "Die jungen Spieler muss ich loben, die waren immer bereit, zu experimentieren." Auch der Vereinsvorstand habe sich nicht quergelegt.

Und doch habe man auch immer wieder den Namensgeber Thoma auf den Spielplan gesetzt, nicht zuletzt, weil das Dachauer Publikum danach verlangt habe. Bruckmayer hält ihn ohnehin für einen hochgebildeten Mann und ganz großen Literaten - und beispielsweise seine "Heilige Nacht" für ein grandioses Werk, das nicht von ungefähr eine so enorme Publikumsresonanz findet. Die antisemitischen Ausfälle, die Thoma in seinen letzten Lebensjahren im Miesbacher Anzeiger veröffentlichte, seien nur aus der Zeit zu verstehen, wenn auch nicht zu entschuldigen, wie Bruckmayer ausdrücklich betont. Der Erste Weltkrieg sei das Schlimmste gewesen, was den Menschen in Europa bis dahin widerfahren sei. Und wie viele andere habe auch Thoma in den Juden die Sündenböcke für die Katastrophe gesehen.

Erstmals veranstaltete die Thoma-Gemeinde unter Bruckmayer auch Lesungen: Texte von Brecht, Rilke oder Karl Kraus wurden präsentiert. Bei diesen Leseabenden hatte Bruckmayer neben der Unterhaltung der Zuhörer ein weiteres Ziel: "Dass die Schauspieler sprechen lernen." Eigentlich ist dies das grundlegendes Handwerkszeug für die Bühne, jedoch vermisst er es selbst bei Mimen in berühmten Häusern bisweilen. Obwohl Bruckmayer einräumt, dass er vor seinen Klassen oft wie ein Schauspieler agieren musste, um deren Aufmerksamkeit die ganze Unterrichtsstunde über wach zu halten, betrat er die Bühne lange Zeit nur als Regisseur, um Anweisungen und Tipps zu geben. Als Mime sah er sich nicht. Seine eigene Schauspielkarriere begann erst spät. Aber wer ihn einmal auf der Bühne erlebt hat, spürt sofort die unglaubliche Präsenz Bruckmayers. Und er merkt: Da steht einer, der wirklich sprechen kann.

Im vergangenen Jahr legte er die Geschicke der Ludwig-Thoma-Gemeinde in jüngere Hände. Irgendwann bestehe die Gefahr, dass einem nichts mehr einfalle, sagt er rückblickend: "Ich habe gemerkt, dass man nicht mehr diese kreative Unbefangenheit hat."

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