Wirtschaftspolitik:"Wenn wir über China reden, dann reden wir über uns"

Wirtschaftspolitik: Der langjährige China-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", Kai Strittmater, warnt vor dem "digitalen Totalitarismus", der unter der neuen Führung immer weiter vorangetrieben wird.

Der langjährige China-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", Kai Strittmater, warnt vor dem "digitalen Totalitarismus", der unter der neuen Führung immer weiter vorangetrieben wird.

(Foto: Toni Heigl)

Die Mittelstands-Union informiert über die Zukunft der Beziehungen mit dem Wirtschaftsriesen. Auch in den Landkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck unterhalten mittelständische Unternehmen Geschäftsbeziehungen.

Von Helmut Zeller, Bergkirchen

Am Ende wirken die meisten der mehr als 40 Besucher im Gasthof Groß in Bergkirchen wie erschlagen. Vorher hat der eine oder andere an den Tischen noch lustige Anekdoten von seinen Reisen nach China erzählt. Dann sprach der SZ-Journalist und langjährige China-Korrespondent Kai Strittmatter - jetzt ist den Gästen der Mittelstands-Union (MU) der CSU eher mulmig zumute. Christine Unzeitig, MU-Vorsitzende in Dachau, blickt in die Runde. Sie findet das gut so. Sie und ihre Fürstenfeldbrucker Kollegin Gabriele Dietrich wollten heute Abend die Besucher aufrütteln und dazu bringen, sich der Frage zu stellen: "Was kommt auf uns zu?"

Darauf hat Strittmatter, der 20 Jahre seines Lebens in China verbracht hat, in seinem fulminanten Vortrag nachdenklich stimmende Antworten gegeben, die in der Feststellung gipfeln, dass der "digitalisierte Totalitarismus" der kommunistischen Staatsführung die größte Herausforderung der freien westlichen Welt darstellt - nach dem Klimawandel.

Beziehungen bestehen seit Ende der 1990er Jahre

Warum sie denn gerade zu China eine Veranstaltung machten, wurden Dietrich und Unzeitig in den zurückliegenden Wochen gefragt. Was das mit dem Mittelstand in den Landkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck zu tun habe? "China ist in unsere Mitte getreten. Wenn wir über China reden, dann reden wir über uns", sagt Strittmatter. Es sind nicht nur Automobilhersteller und Konzerne wie Siemens oder BASF, viele mittelständische Unternehmen, auch in Dachau und Fürstenfeldbruck, pflegen Wirtschaftsbeziehungen mit China. Eine Liste der betreffenden Betriebe in beiden Landkreisen haben MU oder auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) jedoch nicht.

Die Amper-Plastik R. Dittrich GmbH & Co. KG, ein innovatives Unternehmen mit einer hochmodernen Fertigungsstätte für Spritzgussprodukte in der Stadt Dachau, unterhält schon seit Ende der 1990er Jahre Geschäftsbeziehungen mit chinesischen Partnern. Die Firma beschäftigt 140 Mitarbeiter, zwei sprechen fließend Chinesisch, der Betrieb wurde kürzlich mit dem "Partnerstein" ausgezeichnet, für eine vorbildliche Work-Life-Balance in der Unternehmenskultur.

Im Fünfjahresplan der KP steht alles drin

Inhaber und Geschäftsführer Enrico Stocker glaubt schon, wie er sagt, dass die Beziehungen zu China noch eine ganze Ecke härter werden. Aber wirklich bange ist ihm nicht. Er hat seinen Betrieb strategisch vielfältig aufgestellt: 20 Prozent des Umsatzes bringt das China-Geschäft; die könnten aber bei einem Ausfall rasch kompensiert werden, denn "Amper-Plastik" arbeitet auch mit Unternehmen in Europa und hauptsächlich in Deutschland zusammen.

Seit der Corona-Pandemie mit der Unterbrechung der Lieferketten, den Teuerungen bei Importen chinesischer Produkte gelte, so Stocker, die Devise "local for local", der zufolge Einkaufs-, Produktions- und Absatzmärkte räumlich nahe beieinander liegen sollen. Bei größeren Investitionen in neu entwickelte Produkte in China wird der Unternehmer aber Vorsicht walten lassen. Die Entwicklung irritiert ihn, wie er sagt, überhaupt nicht. Das sei doch alles längst schon im Fünfjahresplan der kommunistischen Partei von 2021 bis 2025 nachzulesen gewesen, über den sogar das Branchenblatt seines Wirtschaftszweigs berichtet habe.

"China marschiert ins Zentrum der Welt"

Strittmatter hat da am Weitblick der deutschen Politik auch so seine Zweifel. Aber immerhin sind jetzt Union, Grüne, FDP aufgewacht - Teile der SPD würden noch schlafen. Nachdem Mao das Land in Ruinen gelegt hatte, Millionen Menschen seinem Terror zum Opfer gefallen waren, begann Ende der 1980er Jahre ein Reformkurs, China öffnete sich. "Es war das spannendste Land", sagt Strittmatter.

Wirtschaftspolitik: Die Mittelstands-Union hat zur Diskussion in den Gasthof Groß nach Bergkirchen eingeladen.

Die Mittelstands-Union hat zur Diskussion in den Gasthof Groß nach Bergkirchen eingeladen.

(Foto: Toni Heigl)

Das ist vorbei. Xi Jinping, seit 2012 Generalsekretär der chinesischen KP, treibt den Umbau in einen totalitären Überwachungsstaat, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, voran. Dazu passt, dass der überwunden geglaubte Persönlichkeitskult zu Maos Zeiten wieder auflebt: Die Bildnisse von Xi Jinping sind allgegenwärtig und nehmen auf den Titelseiten der Tagespresse einen immer größeren Platz ein. Der Dachauer Unternehmer hat den aktuellen Fünfjahresplan gelesen: Darin stehe doch schon, dass China als Großmacht nach der Welt greift. "China", sagt Strittmatter, "marschiert ins Zentrum der Welt" - die KP, die ihre Macht immer behalten und ausgebaut hat, will die künftige Weltordnung bestimmen. Insofern sei China noch viel herausfordernder als Russland.

Strittmatter begrüßt Baerbocks Auftritte in China

Offiziell liest sich das dann so: "Wir schenken der Welt Chinas Weisheit." Darauf kann der Mittelstand in Dachau und Fürstenfeldbruck gerne verzichten, denn die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft würde auch auf ihn zurückschlagen. "Da wird es gefährlich", betont Strittmatter, der die globale Weltordnung im Blick hat und über das verklärte Chinabild aufklärt, das noch immer nicht überwunden ist. Wie kann ein Konzern wie BASF zehn Milliarden Euro zum gegenwärtige Zeitpunkt in China investieren? Noch 2022 waren die deutschen Investitionen so hoch wie noch nie.

Wie kann Bundeskanzler Scholz (SPD) ein Teil des Hamburger Hafens chinesischen Unternehmen bei seinem Staatsbesuch, im Schlepptau Vertreter der deutschen Konzerne, veräußern? Deshalb begrüßt Strittmatter auch die Auftritte der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in China, die klare Kante gezeigt habe. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe zu Recht von einem "derisking" gesprochen.

"Vielleicht läuft das alles anders herum: Vielleicht verändert China uns"

Unzeitig betont, damit kein Missverständnis entstehe, man wolle die wirtschaftlichen Beziehungen zu China nicht unterbinden. Aber man müsse Vorsicht walten lassen. Der Abfluss an Knowhow und Informationen sei ernorm, sagt Strittmatter. Aber er will, wie er sagt, auch chinesische Studenten weiter ins Land lassen. Nur dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass sie bei ihrer Rückkehr das "demokratische Virus" in ihre Heimat bringen würden.

Auf der Leinwand im Gasthof Groß prangt ein Foto: Ein Werbeplakat des Modelabels Gucci und daneben Hammer und Sichel der chinesischen KP - manche meinen nach der Veranstaltung, so schlimm werde es schon nicht werden, andere stellen zögernd die Frage, ob der Zug nicht ohnehin schon abgefahren sei? Strittmatter hatte im Hinblick auf den Einfluss, den China auf deutsche Unternehmen schon genommen hat, gemeint: "Vielleicht läuft das alles anders herum: Vielleicht verändert China uns."

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