Süddeutsche Zeitung

Jugendkultur im Landkreis:Aufregung um Jugend-Protest

Eine Demo für mehr Jugendkultur verärgert KJR-Chef Ludwig Gasteiger. Sie vermittle den Eindruck, man hätte die Jugendlichen vernachlässigt. Olaf Schräder, Organisator der Demo, kann die Kritik nicht nachvollziehen

Von Thomas Balbierer, Petershausen

Eine kleine Jugend-Demo, die am Freitagnachmittag in Petershausen stattfand, hat Querelen zwischen dem Kreisjugendring (KJR) und dem Zweckverband Jugendarbeit ausgelöst. Der Verband, der mit der Jugendarbeit in sieben Landkreisgemeinden betraut ist, hatte zum Protest für mehr Jugendkultur aufgerufen. Mit der Aktion wollte man darauf aufmerksam machen, "dass Kinder und Jugendliche in ihren Bedürfnissen zur Zeit wenig Beachtung finden", erklärte Olaf Schräder, stellvertretender Verbandschef, im Protestaufruf. Dieser Auffassung widersprach KJR-Geschäftsführer Ludwig Gasteiger im Vorfeld der Demo. "Dass die Belange der Jugend während der Corona-Krise nicht vertreten worden wären und vertreten werden, stimmt nicht", so Gasteiger in einer Presseerklärung. Er verwies auf die digitalen Ersatzangebote des KJR. Beratung habe stattgefunden, betont er. Der Aufruf zur Demo habe den falschen Eindruck vermittelt, "dass die Corona-Maßnahmen nicht sinnvoll gewesen wären", kritisiert der KJR-Chef. Außerdem dürften Jugendzentren seit einer Woche wieder öffnen, weshalb die Demo "im besten Falle zum falschen Zeitpunkt kommt", so Gasteiger.

Der Initiator und Sozialpädagoge Schräder zeigte sich am Rande der Veranstaltung verwundert über die Reaktion. "Ich hätte mir ein Signal der Zusammenarbeit gewünscht", so Schräder. Ihm gehe es darum, mehr Aufmerksamkeit für die Jugend zu erreichen. "Mir würde im Traum nicht einfallen, eine Veranstaltung von Kollegen so zu torpedieren." Er betonte, dass es bei der Aktion nie um den Protest gegen die Corona-Einschränkungen gegangen sei.

Davon konnten sich am Freitagnachmittag auch die Teilnehmer der Mini-Demo überzeugen. Auf der Wiese vor dem Petershausener Jugendcontainer versammelten sich weniger als die 50 angemeldeten Demonstranten - unter ihnen Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie standen unter Einhaltung des Mindestabstands und mit Mundschutz auf einem mit Flatterband abgesperrten Stück Feld und verfolgten die beschauliche Veranstaltung mit Rockmusik, Reden - und Desinfektionsmittel. Über die Einhaltung des Infektionsschutzes wachten Mitarbeiter des Jugendarbeitsverbandes, statt Ordnerwesten trugen sie Wildschwein- und Pinguinkostüme. Die Veranstaltung sei "mehr ein Fest als eine Demo", sagte Olaf Schräder vor den Zuhörern und erklärte, dass die Demo bereits vor der Öffnung der Jugendarbeit in Bayern geplant worden sei. Doch auch danach sei es wichtig, Aufmerksamkeit für die außerschulischen Anliegen der Jugendlichen herzustellen. "Wir wollen, dass Ihr unbequem und laut seid", appellierte der Sozialpädagoge. Den Zwischenruf einer Teilnehmerin, dass Freiheit und Grundrechte eingeschränkt würden, entschärfte Schräder mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit vieler Maßnahmen. Die Organisatoren distanzierten sich wiederholt von den Anti-Corona-Demos.

Seine Generation habe mit "Fridays for Future" bewiesen, dass sie der "Wissenschaft Gehör schenkt", rief der 25-jährige Felix Becker. Der ehemalige Sozial- und Rechtswissenschaftsstudent arbeitet seit Kurzem beim Zweckverband Jugendarbeit und betonte, dass man den Infektionsschutz nicht ignorieren und dennoch Partys, Konzerte und Treffen im Freundeskreis erlauben müsse. Das Ausleben des Alters sei "komplett verweigert" worden. Es sei jedoch wichtig zur Entwicklung von Empathie und Solidarität. Durch Ersatzveranstaltungen wie Autokonzerte und Autokinos seien sozial Schwache, die kein Auto haben, ausgegrenzt worden. "Ein Punkrock-Konzert mit Abstand sollte doch möglich sein", so der 25-Jährige. Kulturveranstaltungen sind in Bayern ab 15. Juni unter strengen Auflagen wieder erlaubt.

Hinter die Forderung nach mehr Jugendkultur stellte sich auch Petershausens Bürgermeister Marcel Fath (FW). Über die Anliegen der Jugend sei auf dem Höhepunkt der Pandemie "kaum gesprochen" worden, es fehle eine starke Lobby. Die Jugend sei "in den Untergrund gezwungen" worden. Fath berichtete von nächtlichen Partys mit Alkohol, Ruhestörungen und Müll in seiner Gemeinde. Das sei ein Signal: "Je mehr Müll, desto schlechter geht es den Jugendlichen." Die jungen Menschen bräuchten eine organisierte Kultur. Am Mittwoch öffnet der Jugendtreff in Petershausen. Die Aussage, die Jugend sei in den "Untergrund" getrieben worden, hält KJR-Geschäftsführer Gasteiger für falsch. "Dass die Jugendzentren schließen mussten und jetzt auch nur unter Einschränkung öffnen können, ist eigentlich selbstverständlich." Jugendkultur könne in der Pandemie "keinen Sonderstatus beanspruchen". Man dürfe Jugendlichen nicht nahelegen, dass Partys und Konzerte jetzt wieder stattfinden könnten, so Gasteiger.

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SZ vom 08.06.2020
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