Dachau:Rockige Geschichtsstunden

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Beim Konzert der Post-Rock Band "Besides" im Kloster Karmel Heilig Blut hören auch Teilnehmer der Internationalen Jugendbegegnung zu. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im 40. Jahr der Internationalen Jugendbegegnung treten wieder viele Zeitzeugen auf - und zum Jubiläum spielt die russische Punkband Pussy Riot.

Von Helmut Zeller, Dachau

Gott mag keinen Punk. Also so genau weiß man das nicht, aber evangelische Theologen, die sich in besonderer Nähe zum Herrn wähnen, offenbar schon. Jedenfalls protestierten 2012 einige energisch gegen die Nominierung der Punkband Pussy Riot für den Wittenberger Lutherpreis "Das unerschrockene Wort". Begründung: Ein "Punk-Gebet" in einer Kirche sei Gotteslästerung. Die Gruppe hatte in einer Moskauer Kirche die Verbindung von orthodoxer Kirche und Staat in Russland und Präsident Wladimir Putin kritisiert. Zwei Bandmitglieder wurden danach zu Haftstrafen verurteilt. Die Jury entschied sich dann gegen die russische Punkband - vielleicht ganz gut so, hätte die sonst doch entscheiden müssen, ob sie einen Preis entgegennehmen will, der nach einem unerschrockenen Antisemiten benannt ist.

Vielleicht war die Sorge der Lutheraner damals auch etwas übertrieben. Denn das Konzert mit der polnischen Post-Rock Band "Besides", das am Samstag das Kopfsteinpflaster im Innenhof des Karmel-Klosters in Dachau erbeben ließ, haben die Ordensschwestern, mit Freude sogar, und wohl auch Gott gut überstanden. Pussy Riot, die am 6. August zum 40. Jubiläum der Internationalen Jugendbegegnung auftreten, spielen aber ohnehin nicht in einer evangelischen Kirche, sondern im Max-Mannheimer-Haus.

Jedes Jahr kommen hunderte junge Menschen aus aller Welt in Dachau zusammen

Die Internationale Jugendbegegnung, die sich gegen Politik und einem nicht geringen Teil der Bevölkerung mühsam behaupten musste, feiert ein in ganz Deutschland einmaliges Jubiläum. "40 Jahre unermüdliches Diskutieren, Lernen und Gestalten lokaler Erinnerungsarbeit. Seit vier Jahrzehnten kommen in Dachau jedes Jahr hunderte junge Menschen aus aller Welt zusammen, um miteinander und voneinander aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen. Die Gestaltung dieser gemeinsamen Zukunft beginnt im Kleinen, im Begegnen des Anderen, fernab von hoher Politik und Diplomatie. "Die Themen Nationalsozialismus, Entwicklung von Erinnerungsarbeit und moderne Formen von Diskriminierung sind dabei zentral", heißt es in der Pressemitteilung des Kreisjugendrings und des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit. Ein internationales Team junger Ehrenamtlicher hat auch in diesem Jahr, für die Zeit vom 30. Juli bis zum 12. August, ein vielfältiges Programm zusammengestellt.

Vier Jahrzehnte Erinnerungsarbeit

Das Jubiläumsfest findet im Garten des Internationalen Jugendgästehauses Dachau am Samstag, 6. August, statt. Um 14 Uhr wird die Ausstellung zur Geschichte der Internationalen Jugendbegegnung, "Vier Jahrzehnte Erinnerungsarbeit in Dachau" eröffnet. Nach Graffiti Workshop, Affentheater-Konzert und Abendessen tritt um 20 Uhr die Punkband Pussy Riot auf - mit deren Mitgliedern können die Besucher bereits am Nachmittag über "Kunst und Widerstand in Russland" diskutieren.

Am Sonntag, 7. August, stehen zwischen 15 und 17.30 Uhr die Zeitzeugen-Gespräche auf dem Programm, die jedes Jahr im Mittelpunkt der Jugendbegegnung stehen. In diesem Jahr kommen: Ernst Grube, Ruth Melzer, Josef Pröll, Eva Umlauf und Gisela Joelsen. Sie sprechen mit den Teilnehmern über ihre Erfahrungen im Nationalsozialismus - und nach 1945. Josef Pröll etwa, dessen Eltern im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis waren, kann viel darüber sagen, wie die Kinder von "KZ-lern", wie es damals hieß, ausgegrenzt und benachteiligt wurden, während die Nazis, Mitläufer, Profiteure und Täter, in großer Zahl in die demokratische Gesellschaft integriert wurden. Oder der Theresienstadt-Überlebende Ernst Grube, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau: Die Nazis verfolgten ihn, weil er Jude war - die Bundesrepublik, weil er Kommunist war. Und Eva Umlauf, die als Kind Auschwitz überlebte, und über die Verfolgung und ihr Leben danach beeindruckend erzählen kann.

Der erste Dachauer KZ-Häftling Franz Klein

Als besonderes Angebot findet am 4. August ein Rundgang mit Gästeführerin Nina Schiffner statt: "Die ersten Verhaftungen in Dachau - der Kommunist Franz Klein". Schiffner erzählt dabei über ihren Großvater Franz Klein. Als Kommunist und Leiter der KPD Dachau war er der erste verhaftete Dachauer, der 1933 in das neu eröffnete KZ verschleppt wurde. 22 Monate musste Franz Klein im KZ verbringen, bevor er entlassen wurde. Nur durch Glück entging er einer zweiten Verhaftung. Nach dem Krieg war er der letzte kommunistische Stadtrat in Dachau - bis zum Verbot der KPD 1956. Beim Rundgang werden auch authentische Orte aus Franz Kleins Leben gezeigt. Der kostenlose Rundgang beginnt um 14 Uhr in der Burgfriedenstraße in der Dachauer Altstadt.

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