Jugendzentrum:Schöne Utopie

Seit zehn Jahren läuft das Projekt Freiraum in Dachau. Nicht einmal die Gründer hatten damit gerechnet, dass ihr selbstverwaltetes Jugendzentrum das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt prägen würde

Von Thomas Altvater, Dachau

Es ist eine wahrgewordene Utopie und mittlerweile sogar eine Erfolgsgeschichte. Als die ersten Jugendlichen vor zehn Jahren für das Projekt Freiraum in Dachau kämpften, rechneten sie mit allem. Dass ihre Idee, ein selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum zu schaffen, an der Stadtpolitik scheitern würde. Oder dass sie bereits nach einem halben Jahr pleite gehen und schließen würden. Doch es kam anders. Nun feiert der Dachauer Freiraum seinen zehnten Geburtstag - und das, obwohl damals, bei der großen Eröffnungsfeier noch nicht einmal die Toiletten funktionierten.

"Als ich von der Idee hörte, war ich zuerst einmal sehr skeptisch", erinnert sich Tobias Schneider, der seit 2004 das Dachauer Kulturamt leitet und die Entstehung des Freiraums von Anfang an begleitete. Das Konzept, einen von Jugendlichen in Eigenregie verwalteten Veranstaltungsort zu schaffen, war für die Gründer eine Utopie - und auch für Schneider nur schwer vorstellbar. "Wir waren drei verschiedene Gruppen, die Punks, die Reggae-Leute und die Sprayer", erzählt Michael Gottschalk, einer der Gründer. Einen geeigneten Ort, an dem sich die jungen Menschen ausprobieren und austauschen konnten, gab es damals nicht. Zuerst trafen sie sich in ihren Wohnzimmern, die schnell zu eng wurden. Anfangs spielten die 20 jungen Idealisten sogar mit der Idee einer Hausbesetzung. "Aber das wäre in Bayern sehr schwierig bis unmöglich gewesen", sagt Gottschalk.

Um auf ihr Projekt aufmerksam zu machen, veranstalteten die Jugendlichen dann vor ungefähr elf Jahren ein Winterfest und sammelten mehr als 1 000 Unterschriften. Sie zeigten, wie wichtig ihnen eine solche Einrichtung ist. Und tatsächlich, die Stadt sprach mit den jungen Leuten. "Meine anfängliche Skepsis ist relativ schnell verflogen", sagt Schneider. In den darauffolgenden Monaten stellte die Stadt den Jugendlichen ein Gebäude zur Verfügung, in dem sie keine Miete zahlen mussten. Mit viel Eigenleistung und Unterstützung der Stadt entstand daraufhin der Freiraum.

Alles bauten die Jugendlichen selbst. Die Wände wurden für den Schallschutz isoliert, Theke und Bühne eingerichtet, eine Musikanlage installiert. Bereits innerhalb eines Jahres etablierte sich der Freiraum in Dachau. "Das war und ist ein Alleinstellungsmerkmal in der ganzen Region", erklärt Gottschalk den Erfolg des Projekts. Jeder findet im Freiraum seinen Platz. Sprayer und Künstler arbeiten dort gemeinsam an ihren Projekten im sogenannten Sketch-Circle, im Punkrockcafé hört man gemeinsam Musik. Partys und Konzerte gehören ebenso zum Programm wie Vorträge und Lesungen. Als Initiator des Runden Tisch gegen Rassismus in Dachau setzt der Freiraum auch immer wieder politische Zeichen. "Wichtig ist uns dabei, dass es keine sozialen Grenzen gibt", sagt Gottschalk. "Bei Konzerten zahlt jeder fünf Euro Eintritt und wer kein Geld hat, der kommt auch irgendwie rein."

Auch wenn der Freiraum seit mittlerweile zehn Jahren ein fester Bestandteil der Dachauer Kulturszene ist, unter Besuchern und Mitarbeitern herrscht ein ständiger Wechsel. "Es kommen immer neue Leute dazu, mittlerweile kann man sogar schon von drei Generationen sprechen", sagt Schneider, der den Freiraum regelmäßiger besucht. Ungefähr 100 Leute im Alter von zwölf bis 45 Jahren engagieren sich derzeit für das Projekt. Gerade für Jugendliche sind die Angebote im Freiraum besonders attraktiv. "Sie können sich ausprobieren, auch einmal Fehler machen und lernen, Verantwortung zu übernehmen", erklärt Gottschalk. Im Plenum diskutieren sie neue Ideen, sprechen über Veranstaltungen, Konzerte, Aktionen und stimmen hinterher darüber ab. Basisdemokratie ist einer der Grundpfeiler der Arbeit im Freiraum.

"Es ist so wichtig für die Stadt, dass im Kulturbereich immer neue Leute nachkommen", sagt Schneider. Viele der Engagierten sind tatsächlich auch neben ihrer Arbeit für den Freiraum in der Dachauer Kulturszene tätig. Im Freiraum konnten sie eigene Ideen verwirklichen und erste Kontakte knüpfen. Die Erfahrung der ehrenamtlichen Arbeit für das Jugendzentrum hilft ihnen nun. "Aus den Leuten ist etwas geworden, gerade auch, weil sie Teil des Freiraums sind", erklärt Gottschalk.

Große Gewinne wollen die Beteiligten mit dem Projekt Freiraum nicht erwirtschaften. Ziel des Freiraums ist es, sich selbst zu finanzieren. Das stellt die Organisatoren mittlerweile vor ein großes Problem. Man einigte sich mit der Stadt, in jedem Jahr nicht mehr als zehn Konzerte zu veranstalten. Schnell zeigte sich, dass sowohl das Engagement als auch der Bedarf für weit mehr Veranstaltungen ausreichen würden. Das wollte der Freiraum nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er hielt sich nicht an die Vereinbarung mit der Stadt und organisierte mehr Konzerte als abgemacht. "Wir haben damit einen Fehler gemacht", gesteht Gottschalk. Es folgten erste Beschwerden eines Anwohners. Ihn störten vor allem die lärmenden Besucher auf dem Weg zu den Veranstaltungen. Daraufhin investierten die Verantwortlichen weiter in den Lärmschutz.

Im Herbst 2016 kam es schließlich zu einer Gerichtsverhandlung. "Das hat schon an unserer Substanz genagt", erzählt Gottschalk. Nun halte man sich wieder an die alte Vereinbarung, versichert er. "Aber das erschwert natürlich unsere Planungen, wir können jetzt nicht mehr so gut mit den Einnahmen und Ausgaben rechnen." Mitte vergangenen Jahres kam es zu einer erneuten Klage gegen den Freiraum. "Tatsächlich sieht es gerade nicht so gut aus", erklärt Gottschalk. Doch dabei blieb es nicht. In den vergangenen Jahren wurde der Freiraum immer wieder Ziel politischer Anfeindungen. Unbekannte beschmierten die Wände des Gebäudes oder warfen ein Schweineherz in den Briefkasten.

Doch das schreckt Gottschalk und den engagierten Kreis um ihn herum nicht ab. Der Freiraum müsse auch die kommenden zehn Jahre bestehen: "als soziales und antifaschistisches Engagement, gerade beim momentanen Rechtsruck in Deutschland". Gottschalk wünscht sich weitere ähnliche Projekte "ohne Profithintergrund" für Dachau. Der Freiraum ist ein gutes Beispiel, dass das funktioniert. Auch Tobias Schneider möchte den Freiraum weiter besuchen können, "gerade wenn man sieht, dass das für die Menschen ein wesentlicher gesellschaftlicher und sozialer Anker ist".

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