Jubiläum:Lebensbilder

Alfred Ullrich

Alfred Ullrich will sich nun stärker dem Thema Druckgrafiken widmen. Einige seiner aktuellen Arbeiten zeigt er derzeit im Dachauer Forum.

(Foto: Niels P. Jørgensen/Alfred Ullrich / VG Bild Kunst, Bonn 2018)

Der Künstler und Aktivist Alfred Ullrich feiert seinen 70. Geburtstag mit einer Führung durch seine Ausstellung im Dachauer Forum

Von Julia Haas, Dachau

Die drei Drucke, die an einer Wand im Dachauer Forum hängen, sind alle schwarz. Zumindest fast. Künstler Alfred Ullrich hat für die Ätzungen auf Kupfer drei verschiedene Hintergrundfarben benutzt: gelb, rot und blau. Wer genau hinsieht, erkennt, dass jedes der schwarzen Bilder eine andere Nuance hat. "Hinter der Oberfläche ist noch was", sagt Ullrich.

So ist es auch bei ihm selbst. Er ist nicht nur einfach Künstler. Alfred Ullrich ist Sinto. Sein Bart ist mittlerweile fast weiß, seine Haare trägt er etwas länger als andere Männer es mit fast 70 tun, seine braunen Augen strahlen, wenn er von seinen Projekten spricht. Es nicht sein Aussehen, das ihn von anderen unterscheidet. Es ist seine Vergangenheit. 15 seiner Verwandten wurden 1939 in Konzentrationslager verschleppt: seine Mutter, ihr erster Sohn, ihre Geschwister, ihre Eltern. Nur die Mutter überlebte und bekam 1948 einen zweiten Sohn: Alfred Ullrich.

Seine Herkunft ist ein Teil von ihm, den er auch künstlerisch verarbeitet. Ein kleiner Teil seiner Werke hängt derzeit im Dachauer Forum. Seit elf Jahren arbeitet er schon mit der katholischen Einrichtung für Erwachsenenbildung zusammen, organisiert Ausstellungen mit Künstlern. Aus Anlass seines 70. Geburtstag an diesem Sonntag, 8. Juli, stellt er selbst dort aus. Wie 70 fühlt sich Ullrich zwar noch nicht. "Trotzdem muss ich jetzt mal anfangen, ein paar meiner Ideen zu konkretisieren", sagt Ullrich. Er habe da zwei, drei Themen, die er schon lange angehen wollte, vor allem ästhetisch-technischer Natur. Bisher sei alles ein wenig spielerisch für ihn gewesen, jetzt sei es an der Zeit, seinen druckgrafischen Interessen nachzugehen.

Spielerisch würde ein Außenstehender sein bisheriger Lebenswerk wohl nicht nennen. Immerhin ist Ullrich nicht nur Künstler, sondern auch Aktivist. 2001 warf er unter dem Titel "Pearls before Swine" Perlen vor den Standort eines Schweinemastbetriebs; auf dem Gelände befand sich früher das Konzentrationslager Lety. 2006 kritisierte er den schlechten Zustand der öffentlichen Toiletten am früheren Rastplatz für Sinti und Roma gegenüber der Würmmühle in Dachau. "Den Platz fährt keiner an, weil es da so dreckig ist", hat er aus der Roma-Community erfahren. Nachdem Ullrich auf den schlimmen Zustand aufmerksam gemacht hatte, kamen die Toiletten über Nacht weg. Das Schild "Landfahrerplatz - kein Gewerbe", das zuvor am Eingang des Platzes stand, entfernte das Straßenbauamt schließlich 2011, nachdem Ullrich sich für diesen Schritt eingesetzt und Unterstützer gefunden hatte. "Auf mich allein hat der Bürgermeister damals nicht gehört", sagt er. Landfahrer ist ein Wort aus dem Sprachgebrauch der Nazis und wird von Sinti und Roma als diskriminierend empfunden. Wenn es nach Ullrich gegangen wäre, hätte das Schild nicht unbedingt entfernt werden müssen. Stattdessen hätte man auch eine Hinweistafel anbringen können, die den Ursprung des Wortes erklärt.

Erklären will Ullrich auch mit seinen Werken. Im ersten Stock des Dachauer Forums hängen bunte Drucke von platt gedrückten Pfanddosen. "Ex und hopp", erklärt Alfred Ullrich, früher habe es ja kein Dosenpfand gegeben. Ex und hopp sei aber auch biografisch zu verstehen - und historisch. "Die Geschichte wurde zugunsten des Wiederaufbaus lange nicht reflektiert", sagt er. "Die Vergangenheit wurde einfach entsorgt - ex und hopp."

Seine eigene Vergangenheit ist für Ullrich dagegen noch sehr präsent. Seine Mutter trennte sich vom Vater, einem Deutschen, und zog 1952 mit dem Sohn zurück nach Wien. Bis zu seinem neunten Lebensjahr lebte Ullrich mit ihr und einer Schwester in einem Planwagen nördlich der Donau im heutigen Floridsdorf. Wie ist so eine Kindheit bei den Sinti? Ullrich erinnert sich gern daran, zum Beispiel wie sie mit den Wagen durchs Burgenland reisten. "Wir saßen den ganzen Tag auf Bäumen und aßen Herzkirschen oder badeten in den Flüssen." Die seien damals noch ganz klar gewesen. Weil die Mutter hausieren ging, um die Familie zu ernähren, kümmerten sich die Kinder oft selber ums Essen. "Man musste die Fische vorsichtig streicheln und schnell hinter den Kiemen packen." Ullrich zeigt die Bewegung mit der Hand. Die Älteren hätten das gut gekonnt, er selbst sei noch nicht flink genug gewesen.

Vor einiger Zeit war der Künstler bei einem mazedonischen Sinto in München zum Essen eingeladen, es gab Huhn. "Das hat genauso geschmeckt wie bei meiner Mutter früher, mit viel Gemüse", schwärmt Ullrich. Er mag die Gastfreundschaft der Sinti und Roma. Auch Musik und Tanz bestimmten seine Kindheit, früher habe er nachts oft aus dem Planwagen gelugt und den anderen zugesehen, seine Mutter sang nur noch selten für die Kinder - nur an sorgenfreien Tagen. Später zog die Familie dann in eine Wohnung in die bürgerliche Josefstadt. "Manche Kinder, durften nicht mit uns spielen", sagt Ullrich. Als Heranwachsender entdeckte er die alternative Szene für sich, die Jazzclubs. "Aber irgendwann wurde mir Wien zu eng", erklärt der Noch-69-Jährige. Die Last der Vergangenheit hätte ihn erdrückt. Er beginnt zu reisen, von einem Ort zum nächsten. Solange bis sein Pass ausläuft und er vorübergehend bei Freunden in München unterkommt. Über Bekannte findet er eine Stelle in einer Werkstatt für manuelle Druckverfahren. Die Arbeit als Kupferdrucker ist aufwendig und langwierig und bindet ihn an einen Ort. Seine eigenen Radierungen und Drucke sind dagegen experimenteller. Zum Ausgleich arbeitet er außerdem als Bühnenbildner und fährt mit Theater- und Film-Teams durch die Gegend.

Seinen Traum von der eigenen Werkstatt erfüllt er sich 1980, er zieht auf einen Bauernhof nach Biberbach. "Unabhängig von anderen zu arbeiten war immer mein Ziel", sagt Ullrich. Erst viel später erfährt er, dass zwei seiner Onkel im Dachauer Konzentrationslager ums Leben kamen. "Ich habe erst beim Ummelden meines Autos gemerkt, dass Biberbach zu Dachau gehört", erzählt Ullrich. Seine Vergangenheit spielte lange keine aktive Rolle in seiner Kunst. "Sie ist sicher eingeflossen, aber unausgesprochen. Die Grafik war immer das, was ich zwischen mich und die Gesellschaft stellen kann." Irgendwann sei die Familiengeschichte aber doch mit eingeflossen. "Meine Geschichte ist mein Kapital, aus der ich etwas machen kann", sagt Ullrich. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass in den Konzentrationslagern nicht nur Juden, sondern auch viele Sinti und Roma umgebracht worden sind. Doch auch die Traumatisierung der Überlebenden ist ihm ein wichtiges Anliegen und dass sich in der heutigen Zeit noch immer diskriminierende Klischees halten. "Nach zahlreich Anläufen hat meine Mutter erst mit über 80 eine kleine Entschädigung erhalten", sagt Ullrich. Vorher sei sie als Kriminelle abgestempelt worden.

Einen Raum weiter im Dachauer Forum hängen Drucke mit Blumenmuster in Rot, Gelb und Grün. "Aus den Spitzenvorhängen meiner Mutter", sagt Ullrich. Als er schon in Biberbach auf dem Bauernhof lebte, bestückte sie damit noch die Fenster. "Sinti und Roma waren früher die Versandhändler von heute, haben Stoffe durch das Land gefahren", so der Künstler. Er hat die Gardinen auf eine Kupferplatte gelegt, mit Autolack besprüht, geätzt und den Stoff dann wieder verschoben. Seine Drucke und Radierungen seien schon immer farbenfroh gewesen. Auch sein Hemd trägt er selbstsicher in sattem Rot. Der Mut zur Farbe ist auch ein Erbe seiner eigenen Herkunft, glaubt er.

Alfred Ullrich führt an diesem Sonntag, 8. Juli, um 17 Uhr in seine Ausstellung im Dachauer Forum, Ludwig-Ganghofer-Straße 4, Dachau, ein. Zu sehen sind die Drucke und Collagen noch bis 26. Juli.

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