50 Jahre Versöhnungskirche:Kraft aus der Tiefe

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Vor 50 Jahren entstand die Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Ihre Architektur spiegelt die Erinnerung an das Leid der KZ-Häftlinge und den Wunsch nach Versöhnung. Etwa 100 Menschen, darunter viele Überlebende, feiern das Jubiläum.

Von Johannes Korsche, Dachau

Wer die Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau besucht, geht über eine breite Freitreppe hinab. Nach unten wird sie enger, die letzten Meter bis zum Gebäude gleichen dem Eingang in eine Höhle. Man gehe in die Tiefe, sagte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in seiner Predigt anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes. Dieses Hinab-Gehen sei für die Versöhnungskirche im doppelten Sinne prägend. Denn einerseits begibt man sich auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslager in die Tiefe menschlichen Leides, andererseits sei Versöhnung nur möglich, "wo wir in die Tiefe gehen und eben nicht vergessen oder verdrängen". Die Besucher werden so zu "Botschaftern der Versöhnung".

Diese Worte hallen in dem kahlen Kirchenraum nach. Dass sie nicht ungehört verhallen, und die Kirche das Versprechen, das in ihrem Namen liege, eingelöst habe, liege auch an dem besonderen Bau der Kirche, wie Bedford-Strohm sagte. Und an Veranstaltungen wie der am Freitagabend. Denn neben dem Gottesdienst waren auch Gespräche mit Menschen, die für die Geschichte der Versöhnungskirche eine wichtige Rolle spielen, Teil des Programms.

Mitglieder des Jugendzentrums Freiraum Dachau berichten von Angriffen auf ihren Verein. (Foto: Toni Heigl)

Der Gottesdienst feierte gleich zwei Anlässe: das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 und die Grundsteinlegung für die Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte genau 20 Jahre danach. Für Bedford-Strohm war es deshalb "ein Tag der Dankbarkeit". Dirk de Loos, niederländischer Widerstandskämpfer, der 1944 nach Dachau verschleppt wurde, hatte den Bau der Kirche angestoßen. Auf dem Gelände des ehemaligen KZ solle eine evangelische Kirche "die Verbundenheit mit allen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bezeugen". Die Versöhnungskirche habe die Aufgabe, zur Umkehr zu mahnen, zur Solidarität mit Verfolgten aufzufordern und Wege zur Versöhnung und zum Frieden unter den Völkern aufzuzeigen.

Zwei Jahre nach der Grundsteinlegung wurde der Bau des Architekten Helmut Striffler fertig gestellt. Etwa 100 Menschen besuchten den Gottesdienst, auch die Bierbänke, die vor der Kirche im Innenhof standen, waren besetzt. Gekommen waren unter anderem die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), die tschechische Konsulin Lydie Holinková und Johannes Striffler, der Sohn des Architekten, der am 2. Februar dieses Jahres gestorben ist.

Die Befreiung Deutschlands falle in die österliche Freudenzeit, stellte Pfarrer Björn Mensing in seiner Begrüßung fest. Deswegen beginne der Gottesdienst mit einem gemeinsam gesungenen Lied, das noch vor der Befreiung im Lager auch von manchen Häftlingen gesungen wurde: "Wie kommt nach großem Leid, nun ein so großes Licht", heißt es in einer Zeile. Eine Frage, die wohl an wenigen Orten so viel Kraft entfalten kann, wie auf dem Gelände des ehemaligen KZ. Bewegend war auch der Chor - Lucia Hilz (Sopran), Berhold Schindler (Alt), Manuel Warnitz (Tenor) und Michael Mantaj (Bass) -, als er den Kanon "Herr, sei gnädig" des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy sang.

Pfarrer Mensing, Landesbeauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit, sparte die heutigen neonazistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen nicht aus: Ganz still wurde es in der Kirche, als die 26-jährige Anna Dietze von den Anfeindungen erzählte, mit denen sich die Dachauer Antifa-Gruppe Freiraum noch konfrontiert sieht. Neben Schmierereien an den Hauswänden und verbalen Drohungen seien Mitglieder des Freiraums auch handgreiflichen Übergriffen ausgesetzt. Für sie als Dachauerin, so Dietze, sei daher die Zusammenarbeit mit der Versöhnungskirche sehr wichtig. Ihre Rede fand großen Beifall.

Im zweiten Teil des Abends führte Diakon Klaus Schultz kurze Interviews mit Gästen, die eine besondere Verbindung zur Versöhnungskirche und der Erinnerungskultur in Dachau haben. Pieter Dietz de Loos, Präsident des Comité International de Dachau (CID), erzählte, er habe von seinem Vater, dem Initiator des Kirchenbaus, vor allem gelernt, dass er nicht Rache, sondern Versöhnung und Dialog suchen solle. Deshalb sei diese Kirche für seinen Vater eine Lebensaufgabe gewesen.

Johannes Striffler sprach von den architektonischen Herausforderungen, die der Bau an seinen Vater gestellt hatte. Hubertus von Pilgrim, der das Todesmarsch-Mahnmal schuf und zwei Reliefs an der rechten Wand, berichtete von der Zusammenarbeit mit dem Architekten. Schwester Elija Boßler, die seit 1966 im Kloster Karmel in der Gedenkstätte lebt, gab einen Einblick in die Entwicklung der Ökumene und erzählte kurzweilig von dem "immer herzlichen" Verhältnis zu den evangelischen Pfarrern.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, sprach von der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus und dem fortgeführten Rassismus der Nachkriegszeit. 1980 hatte ein von ihm organisierter Hungerstreik mit elf weiteren Bürgerrechtlern eine Wende eingeleitet. Die Teilnehmer kamen damals in den Räumen der Versöhnungskirche unter. Zwei Jahre später wurde der Massenmord an Sinti und Roma mit mehr als einer halben Million Opfer von der Bundesregierung als Völkermord anerkannt.

Ernst Grube, Überlebender von Theresienstadt und Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, leitete aus den NS-Verbrechen die Aufforderung ab: "Mit den heutigen Nazis gibt es keine Versöhnung, keine Toleranz. Die muss man bekämpfen." Der Auschwitz-Überlebende und CID-Vizepräsident Max Mannheimer sagte, die Versöhnungskirche habe durch Mahnen und Erinnern weitgehend Schuld abgetragen.

Den Empfang im Innenhof der Kirche nutzten viele Besucher für Gespräche. Vera von Leers, die für den Gottesdienst aus München gekommen war, fand vor allem die Zeitzeugen "wundervoll". "Der Humor von Max Mannheimer ist schon besonders", sagte sie. Nach gut drei Stunden leerte sich die Versöhnungskirche. Die Besucher stiegen wieder hinauf, allerdings nicht ohne zuvor in der Versöhnungskirche tief berührt worden zu sein.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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