20-jähriges Bestehen:Handicap 'n' Roll

Das Grüne Klapprad ist eine integrative Band, in der Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam musizieren. Die Mitglieder sind so einzigartig wie ihr Sound

Von Anna-Elisa Jakob, Hebertshausen

- Der Probenraum ist ein wahrgewordenes Klischee. Im Keller des Einfamilienhauses stehen Gitarre und Schlagzeug zwischen Werkzeug und Schlittschuhen, Teppiche im kühnen Mustermix dämmen die Akustik, Kabel auf dem Boden, freie Rohre an der Decke vervollständigen das Flair um die erwarteten Hobbymusiker.

Wenn Klischees brechen, irritiert das. Die Band Das Grüne Klapprad spielt seit zwanzig Jahren genau dafür, in diesem Probenraum in Hebertshausen. Auf Bühnen im Landkreis und über dessen Grenzen hinaus treten sie auf. Mal spielen sie Rock, mal Country, mal Volksmusik. Um Brücken zu schlagen und neue Welten zu eröffnen, wie es auf der knallgrünen Website heißt. Unter der Leitung des Musikpädagogen Florian Fischer musizieren Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam, komponieren, treten vor Publikum auf die Bühne. Am kommenden Samstag feiert die Band ein Jubiläumsfest mit einem Konzert im Pfarrheim Hebertshausen.

Das Grüne Klapprad

Gestatten: Die Band "Das Grüne Klapprad" in ihrem Proberaum.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Als die Musiker an diesem Abend zur Probe eintreffen, wird angeregt geplaudert, man spricht über den vergangenen Auftritt auf dem Maifest in Dachau. Die Hocker, auf denen die Musiker Platz nehmen, sind genauso willkürlich zusammengestellt wie der Rest des Raumes, sie sind unterschiedlich hoch, eine Sammlung an Einzelstücken. In diesem kleinen Detail spiegelt sich die Philosophie der Band: Die verschiedenen Charaktere mit ihren Talenten genau wie mit ihren körperlichen und geistigen Behinderungen in der Musik zu vereinen, ohne ihnen ihre Einzigartigkeit zu nehmen.

Das Grüne Klapprad

Initiator Florian Fischer sagt: "Das Anstrengende ist, immer geduldig zu bleiben." Doch es lohnt sich. Die Gruppe hat eine eigene CD herausgebracht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Da ist zum Beispiel Torsten. Er ist einer der beiden Schlagzeuger, hält selten still. Sobald ein Rhythmus erklingt, klatscht er mit und wippt mit dem Fuß. Als die Technik zum Soundcheck nicht sofort anspringt, überbrückt er die Pause mit Geschichten und Anekdoten aus seinem Alltag. Er ist heute gut gelaunt, weil für ihn ein ganz persönliches Jubiläum bevorsteht. Seit vierzig Jahren wohnt er im Franziskuswerk Schönbrunn, das werde gefeiert, erklärt er. Und dann gibt es das Duo in der ersten Reihe: Paddy und Franziska, beide am Xylofon. Sie nennt ihn "Schatz", er streichelt zwischendurch ihren Arm - und führt ihre Hand sanft über die Klangstäbe, wenn sie aus dem Takt gerät. Sie lächelt. Weil es zwar durchaus um die Leistung jedes einzelnen Musikers geht, aber nicht um Konkurrenz, sondern um das fertige Stück, um die gemeinsame Teilhabe an der Musik.

Das Grüne Klapprad

Die Musiker sind Menschen mit und ohne Behinderung.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Florian Fischer versucht, die Technik im Kellerraum zum Laufen zu bringen. Der 43-Jährige ist Leiter und einer der Initiatoren der Band. Bevor die Musiker eintreffen, erklärt er die neueste Ausstattung der Gruppe. Bis 2011 war das Franziskuswerk Schönbrunn Träger der Band, Fischer schrieb damals die Facharbeit seiner Ausbildung als Heilerziehungspfleger über die Arbeit mit den Musikern. Seit diesem Jahr betreibt er das Projekt als private Musikschule und ist an Sponsoren gebunden. Doch so bleibe dem Grünen Klapprad der größtmögliche kreative Freiraum.

"Die neue Technik setzen wir ein, um Musik besser beschreiben zu können", erklärt er. Mit einem Mehrspurgerät zum Beispiel kann man die Tonspur jedes einzelnen Instruments aufnehmen und später analysieren. Die Technik vereinfacht die Abläufe, bringt die Musiker näher zusammen und hilft, Musik auf Augenhöhe gestalten zu können.

Später kombiniert die Band so einen gemeinsamen Song. Das geschieht vielleicht nicht in Manier von Rockstars, dafür aber sehr demokratisch und nicht weniger kreativ. Auf dem Tablet stellen alle gemeinsam eine Reihe von Akkorden zusammen, Florian Fischer spielt sie vor, die Band entscheidet per Handzeichen, was gefällt und was nicht. Torsten klatscht sofort mit. "Das übe ich seit Jahren, zwei Mal in der Woche in meiner Wohngruppe", sagt er. Andreas, einem der Percussionisten, ist die Freude über die gemeinsame Probe anzumerken. Er schwärmt von dem letzten Auftritt, kann es kaum erwarten, bis die Musik beginnt: "Fangen wir an", motiviert er die anderen. Schlagzeuger Matthias sitzt links hinten, wirkt still und beginnt nicht sofort zu spielen, dann fällt auch noch etwas mit einem lauten Geräusch auf den Boden. Gitarrist Sigi Heigl, ansonsten Elektroingenieur, ist der Ruhepol der Gruppe: "Das passt schon", beschwichtigt er sofort und wird diesen Satz noch ein paar Mal im Laufe des Abends wiederholen. Die körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen der Musiker stellen die Band immer wieder vor Herausforderungen, in der Probe oder auf der Bühne. "Das Anstrengendste ist, immer geduldig zu bleiben", sagt Fischer. Bis die Band einen Song spielen kann, dauere es in der Regel ein bis zwei Jahre. An manchen Tagen ist es schwer, sich zu konzentrieren, einzelne Musiker fallen auch mal aus, dann muss improvisiert oder von Neuem begonnen werden.

Die Band hat eine eigene CD gestaltet. Darauf sind zehn Songs, die Fischer selbst komponiert hat. Aufgenommen wurde sie mit einem mobilen Tonstudio, das Fischer gerade im Nebenraum aufgebaut hat: Ein simpler Holzstuhl inmitten von schweren Decken, die über drei Stäbe gespannt sind. In der Mitte das Aufnahmegerät und ein Mikrofon. "Der Vorteil ist: die Klangkabine ist barrierefrei, die kann man überall aufbauen", erklärt Fischer stolz. Eine Menge an Kreativität, Leidenschaft und Arbeit stecken hinter dem Grünen Klapprad. Neben Schlittschuhen und verstaubten Teppichen hat Fischer eine neue Welt für die Band erschaffen, mit der Hoffnung, Inklusion aktiv gestalten zu können. Mit ihrer Musik trägt die Band all das nach außen, einzigartig und frei von Klischees.

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