Süddeutsche Zeitung

Interview mit Bruno Schachtner:Ein Haufen Kunst

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Der "Lebens-Baum" von Bruno Schachtner war jahrelang zentraler Bestandteil des Jugendgästehauses. Jetzt wurde er beschädigt

Interview von Gregor Schiegl

Zum Inventar des Dachauer Jugendgästehauses gehören seit vielen Jahren auch zwei mannshohe Türme aus Glas, Holz und Papier. Es sind Arbeiten des Dachauer Künstlers Bruno Schachtner, die er der Einrichtung als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat. Der "Lebens-Baum", so der Titel der Arbeit, ist eine Reflexion Schachtners über seine eigene Geschichte als Dachauer, "vom Nichtwissen über den Leerraum bis zu den Anfängen" einer bewussten künstlerischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte und der eigenen Familie. Dargestellt ist dies in abstrakter Form durch geschichtetes Papier, aber auch durch Hohlkörper, die mit Papier, Steinen und Maiskörnern gefüllt sind und die vier Elemente versinnbildlichen. "Es ist eine intuitive Ansammlung von Materialien in zwei Türmen", erklärt der Künstler. Bei Renovierungsarbeiten wurden beide Türme beschädigt, und im Haus versetzt. Nun will er die Türme von Jugendlichen zerstören lassen, um aus den Trümmern ein neues Werk zu schaffen, Arbeitstitel: "ein Haufen Kunst".

SZ: Herr Schachtner, es gibt Künstler, die ihre Kunstwerke zerstören und dies von vornherein als Teil des Kunstwerks begreifen. Ist es in Ihrem Fall auch so?

Bruno Schachtner: Nein, es ist der Moment der Verzweiflung - der Verzweiflung und des Ärgers.

Was ist passiert?

In den Fensternischen des Jugendgästehauses hingen bisher immer die Plakate "Für eine Zeit Dachauer" mit den Fotos verschiedener Überlebender. Als man den Saal renoviert hat, wurden die Plakate entfernt und bei dieser Gelegenheit wurden auch die Türme verschoben. Die hat man dann in die Nischen an der Außenwand gestellt, wo sie nun in der prallen Sonne stehen. Vom Träger gab es kein Angebot, den Schaden zu beheben.

Davor standen die Türme mitten im Saal, sodass man sie von allen Seiten gut sehen konnte.

Genau, und das war auch nie ein Problem. Selbst bei der jährlichen internationalen Jugendbegegnung, wenn das Haus voll war, sind alle damit zurechtgekommen, dass man darum herum gehen muss. Es war natürlich beabsichtigt, dass auch die Gäste, die Überlebenden das Werk sehen und sich damit auseinandersetzen können. Es hat nie gestört und ist auch nicht kaputtgemacht worden. Jetzt, nachdem die Türme weggerückt wurden, sind zwei helle Quadrate auf dem Boden geblieben.

Ein eigenes Kunstwerk, f ast wie ein Sinnbild fürs Vergessen.

Ja, genau, das ist es. Ich weiß gar nicht, wie sie die schweren Türme da weggebracht haben, vielleicht mit einem Stapler. Es ist nicht so, dass sie jetzt völlig kaputt wären, aber die Sonne in der Fensternische hat schon deutlich eingewirkt auf das Holz und das Papier. Man könnte sagen: Das Wetter hat daran gearbeitet. Wäre es drinnen im Saal, könnte ich daran weiterarbeiten, aber das ist aussichtslos. Die Träger des Jugendgästehauses wollen die Sachen einfach nur loswerden.

Ist das nur Ihr persönlicher Eindruck oder hat Ihnen das jemand so gesagt?

Nein, niemand wurde darüber informiert, weder der Förderverein noch ich. Als ich nachgefragt habe, hieß es nur, man habe renoviert. Und sonst: keinerlei Begründung. Es fragt auch keiner nach, was das Werk kosten würde, wenn man es kaufen wollte, das wäre ja auch noch möglich. Aber dazu fällt niemandem etwas ein.

Wie lange bemühen Sie sich denn jetzt schon darum, das Problem zu lösen?

Ein paar Monate, etwa ein halbes Jahr. Auch die von mir gestalteten Plakate in den Sitznischen, mit den Bildern der Zeitzeugen, sind weg. Beim Tag der Befreiung war das immer auch die besondere Erinnerung. Jetzt, wo die Zeitzeugen nach und nach sterben, wäre es noch wichtiger, die Plakate dort sehen zu können. Den Zustand der Türme interessiert auch niemanden: keine Verwaltung, keine Politik, keinen Förderverein. Oder soll ich mich genieren, weil vielleicht einer sagt: Was, das soll Kunst sein? - Aber ich behaupte das, auch wenn es eine Anmaßung ist. Als Künstler ist man mit seinem Werk immer emotional eng verbunden.

Und haben Sie sich das mit der Zerstörung dann wirklich gut überlegt?

Nein, aber das ist meine eigene Auseinandersetzung: Resigniere ich oder mache ich weiter? Wie mache ich weiter? Hält das die Öffentlichkeit aus? Halte ich es aus, auf Dauer zu behaupten, das sei Kunst und gegebenenfalls die Konsequenzen daraus zu ziehen?

Das ist eine Provokation, oder?

Ja, aber ich hoffe, sie hat auch einen positiven Effekt. Es ist notwendig zu provozieren, sonst schläft unsere Gesellschaft ein. Unser Wohlstand macht uns müde. Ich will mich nicht zu wichtig nehmen, aber ich will auch nicht resignieren.

Die Zerstörung - und den Wiederaufbau - wollen Sie aber anderen überlassen?

Ich will alle, insbesondere Jugendliche, einladen, nach der Zerstörung mit Hammer, Hacke und Messer, etwas Neues aufzubauen, dann können auch Werkzeuge, Pinsel und Sprayfarben, zum Einsatz kommen. So ist es dann auch nicht nur ein Projekt für die Jugend.

Das Ergebnis der Projektbeschreibung lautet: "ein Haufen Kunst".

Genau, die beiden Türme würden zerhauen und zerschlagen. Wo und wie, diese Frage ist dann der nächste Schritt, in welchem Raum und auch wie das abzusichern ist - das meine ich ernst. Ich muss sehen, wie ich mich dann auch selber wieder einbringe. Das zersplitterte Glas kann man wieder verwenden, auch das Holz und Papier. Holz hauen wir zusammen, Papier zerreißen wir oder zünden es an und dann schauen wir mal, was man daraus wieder bauen kann. Im Grunde passiert bei unserer Arbeit das Gleiche, das wir schon seit Generationen mit unserem Globus machen: Erst machen wir alles kaputt und dann fangen wir wieder von vorne an. Eine gewisse Wiederholung von Aggression: Kaputtmachen und Neugeburt.

Sind Jugendliche denn im "Kaputtmachen" besser als andere?

Man sollte es Jugendliche machen lassen, weil sie mehr Fantasie haben als Erwachsene. Dann ist es erstens Jugendarbeit und zweitens ein Hinweis an die gesamte Gesellschaft, auf eine Auseinandersetzung: Warum vernachlässigen wir die Kunst so?

In den Siebzigerjahren war Kunst oft hochpolitisch, Stichwort Beuys, davon merkt man heute auch in der Künstlerstadt Dachau wenig.

Sehen Sie diese Aktion als Chance, Kunst politisch neu aufzuladen?

Ja. Es ist auch die Sache der Künstler, dass sie sich in ihren engen Kasten Kunst zurückziehen und sich nicht darum kümmern, ob das, was sie machen, die Bevölkerung überhaupt interessiert. Die Auseinandersetzung mit der Allgemeinheit fehlt völlig, alles findet im geschlossenen Raum statt, wirkt wie eine geschlossene Gesellschaft, immer die gleiche Suppe. Dass etwas passiert, wie zu Zeiten Beuys, könnte jetzt wirklich hilfreich sein.

Für den "Haufen Kunst" braucht man ja dann auch wieder einen Ort. Welcher sollte das denn sein?

Das wäre im nächsten Schritt zu klären: Eine Einladung an die KVD, an die Stadt Dachau, an die Öffentlichkeit, für dieses Werk einen Standort zu finden. Wenn sich niemand findet, müssen wir es endgültig entsorgen. Ich glaube nicht, dass eine Galerie das haben will.

Die "Lebens-Bäume" sind auch ein politisches Artefakt: Die Erinnerung, die Zeitgeschichte - wenn man das kurz und klein schlägt, was sagt das über Dachau aus?

Das muss jeder mit sich selber ausmachen, da bin ich neugierig auf die Reaktionen. Es könnte eine interessante Auseinandersetzung werden. Daraus ergeben sich Fragen: Warum machen wir es kaputt? Wie machen wir es kaputt? Und wie soll es danach weitergehen? Es müsste eigentlich ein Skandal werden, aber was willst du in dem Provinznest mit einem Skandal? (Lacht.)

Und wenn das Jugendgästehaus jetzt doch noch einlenkt, was dann?

Dann würde ich die zwei Türme dort weiter belassen. Ich bin auch dafür, es Besuchern und Freunden der Internationalen Jugendbegegnung zu überlassen, den Korpus weiter zu bearbeiten, sodass sich das Kunstwerk fortlaufend selbst aktualisiert. Das fände ich schön.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2021
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