Internationale Jugendbegegnung:Freundschaft überwindet Leid

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Natan Grossmann und Regisseurin Tanja Cummings, die sein Leben verfilmt hat. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Natan Grossmann überlebt Auschwitz und beginnt eine Freundschaft mit dem Sohn des Mannes, der die Judenverfolgung führend organisierte.

Von Richard Möllers, Dachau

"Der Film ist gut", sagt Natan Grossmann am Ende des Abends, "er hat nur einen großen Fehler: Die Namen meiner Hunde Napoleon und Rasputin werden nicht im Abspann erwähnt, obwohl sie im Film vorkommen." Er blickt grinsend in das Gesicht der Regisseurin Tanja Cummings, die ihm auf der Bühne eines Seminarraums im Max-Mannheimer-Haus gegenübersitzt. Das Publikum lacht. Natan Grossmann ist es mit einem kleinen Witz gelungen, die bedrückte Stimmung deutlich aufzuhellen.

Am Dienstagabend wird zur 35. Internationalen Jugendbegegnung in Dachau der Dokumentarfilm "Linie 41" im Max-Mannheimer-Haus gezeigt. Der Film erzählt die bewegende Geschichte des Holocaust-Überlebenden Natan Grossmann, der sich nach mehr als 70 Jahren nach Polen aufmacht, um dort mehr über das Schicksal seines Bruders zu erfahren. Auf den Spuren der dunklen Vergangenheit trifft er auch auf den Sohn des damaligen Nazi-Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt Łódź In Polen. Die Begegnung der beiden Männer führt zu einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Opfer der Nationalsozialisten und dem Sohn eines Täters.

Im Alter von 14 Jahren wird Natan Grossmann in das zweitgrößte Ghetto der Nazi-Zeit in Łódź eingesperrt. Dort wird sein Vater erschlagen, sein Bruder Ber verschwindet spurlos, und seine Mutter verhungert, weil sie ihre Essenrationen an ihren Sohn weitergibt, damit dieser überleben kann. Natan selber zieht sich Erfrierungen zu, kommt später für kurze Zeit ins Konzentrationslager nach Auschwitz-Birkenau und überlebt aufgrund einer Verkettung glücklicher Umstände.

"Dieser Mann hat Charakter"

Tanja Cummings, die Regisseurin des Dokumentarfilms, beginnt 2007 mit der Recherche über die polnische Stadt Łódź. Sie trifft Natan Grossmann und macht sich gemeinsam mit ihm und einem Kamerateam auf die Suche nach Natans älterem Bruder Ber, dessen Schicksal nach seinem Verschwinden 1942 völlig unklar war. Auf der Spurensuche in Polen treffen sie weitere Überlebende des Holocaust, bis sie schließlich auf Jens-Jürgen Ventzki stoßen. Er ist der Sohn des damaligen Nazi-Bürgermeisters der polnischen Stadt. Auch er hat sich auf die Suche nach der dunklen Vergangenheit der Nazi-Methoden gemacht.

"Mein Vater hat hemmungslos gelogen", gibt er zu, als immer mehr Indizien dafür sprechen, dass Werner Ventzki nicht nur in Folgeprozessen als Zeuge, sondern auch gegenüber der eigenen Familie alles Geschehene geleugnet hat. "Dieser Mann hat Charakter. Er stellt sich der unangenehmen Wahrheit und setzt so seinen eigenen Vater auf die Anklagebank", sagt Natan Grossmann. Dieser tiefe Respekt dürfte auch der Hauptgrund für die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Natan Grossmann als Opfer und Jens-Jürgen Ventzki als Sohn eines Täters sein, die beide inzwischen verbindet. 2015 fahren sie gemeinsam zu einem Gedenktag nach Auschwitz und beweisen so, das Versöhnung und Annäherung trotz des Geschehenen möglich sind.

Auch über seinen Bruder Ber bekommt Natan Grossmann ernüchternde Gewissheit: Um einen Aufstand zu organisieren, ging Ber Grossmann mit 19 Jahren nach Chełmno, vermutlich in der Annahme, sich am Widerstand gegen das NS-Vernichtungslager Kulmhof beteiligen zu können. Aber dort erwartete ihn der sichere Tod. "Das ist auf gewisse Art und Weise eine Erleichterung für mich, weil ich jetzt weiß, dass ich mir keine Hoffnungen mehr zu machen brauche", sagt Grossmann.

Humor und Leichtigkeit hat er sich nicht nehmen lassen

Warum lebt er trotz allem jetzt in München? Die im Ghetto zugezogenen Erfrierungen können nach dem Krieg nur in der bayerischen Landeshauptstadt ausreichend behandelt werden. Und wie es der Zufall will, lernt er in München seine Frau kennen, mit der er seit mehr als 50 Jahren zusammenlebt. "Das ist die beste Wiedergutmachung, die Deutschland mir geben konnte" sagt er. Das junge Publikum lacht und bewundert diesen Mann, der auch in so hohem Alter und trotz seines Leidens Humor und Leichtigkeit nicht verloren hat.

Die internationale Jugendbegegnung lädt ein zu weiteren öffentlichen Veranstaltungen am Wochenende: Darunter das Fest der Begegnung am Samstag, 5. August, von 17.30 Uhr an, das Gebet der Begegnung, Sonntag, 6. August um 13.30 Uhr sowie das Zeitzeugencafé ebenfalls am Sonntag, 6. August, von 15 Uhr an. Die Veranstaltungen finden im Max-Mannheimer Haus statt.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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