Süddeutsche Zeitung

Interkuturelle Beziehung:Liebe ohne Grenzen

Lesezeit: 3 min

Judith und Elia Gad sind seit Jahren ein Paar, sie ist Deutsche, er Ägypter. Über Missverständnisse und den Willen, zu verstehen

Von Anna Elisa Jakob, Dachau

Angenommen, man lädt jemanden zum Tee, der Tisch ist voll, doch dann möchte niemand etwas trinken. Eine eindeutige Situation fühlt sich plötzlich falsch an. Wer hat hier etwas missverstanden - die Gäste oder der Gastgeber? Judith und Elia Gad sind seit sechs Jahren verheiratet, sie ist aus Deutschland, er aus Ägypten. Kennengelernt haben sie sich in einer Ferienfreizeit, als Judith 17 war und Elia gerade zum Germanistikstudium nach Deutschland gezogen war. Die Sache mit dem Tee liegt nun schon einige Jahre zurück, damals waren die beiden gerade nach Ägypten gezogen und Judith wollte Kollegen ihres Mannes kennenlernen.

Als diese den Tee ablehnten, trug sie die Kanne zurück in die Küche, fühlte sich fremd und missverstanden. Damals war ihr noch nicht klar, dass es in Ägypten für den Gast als höflich gilt, mehrmals abzulehnen, und für den Gastgeber, mehrmals anzubieten. Als Judith arabisch lernte, wusste sie zwar, dass man sich dort einen blumigen Tag wünscht, anstatt einfach einen guten Morgen. Doch welche Unterschiede die Tonalität machte, die fremden Metaphern, die kleinen Gesten - all das lernte sie erst durch die vielen Missverständnisse im Alltag. Als man ihr in Ägypten sagte, sie hätte ein Gesicht wie der Vollmond, war sie über den Vergleich mit einem "Mondgesicht" wenig erfreut. Bis ihr Elia erklärte, dass der Mond in einem Wüstenland nun mal sehr geschätzt werde - "Sonne und Hitze haben wir ja genug".

Sieben Jahre lang lebten die beiden in Ägypten, heute wohnt das Paar in Karlsfeld. Als sie in den Räumlichkeiten des Dachauer Forums zu erzählen beginnen, sind zwar nicht viele Leute da, aber sie teilen ähnliche Geschichten. Zwei von ihnen leben selbst in "binationalen Beziehungen", machen sich an diesem Abend viele Notizen. Denn Judith und Elia sprechen nicht allein über ihre persönliche Beziehung, sondern versuchen über Hindernisse und Chancen von Partnerschaften zu reden, in denen mehrere Kulturen aufeinandertreffen.

Die beiden haben an einem Buch über interkulturelle Paare mitgewirkt, immer wieder erzählen sie ihre Geschichte auf Seminaren. Was Kultur bedeutet, das erklären sie anhand der Form einer Zwiebel. Im Innern steckt das eigene Weltbild, also die Vorstellung, wie man alleine und in Gemeinschaft lebt. Dann kommen Werte, Religionen, Normen und Überzeugungen. Ganz außen und sichtbar liegt das Verhalten: Wie löse ich Konflikte? Wie gelassen bin ich? Wie begegne ich meinem Gegenüber? "Indem man in die andere Kultur so tief eintaucht, hinterfragt man auch die eigene vielmehr", erkennt Judith.

Elia arbeitet für eine Reiseagentur, übersetzt fremdsprachige Bücher, kennt die Theorien über verschiedene Kulturen und Bräuche - und schüttelt trotzdem ungläubig den Kopf, wenn Judith neben ihm über gewisse Situationen spricht. Denn was Judith als Gastgeberin mit der Teekanne erlebte, erfuhr er andersherum, als er das erste Mal zu Gast bei einer deutschen Familie war - und abends hungrig ins Bett ging, weil er das Abendessen aus Höflichkeit abgelehnt hatte.

Das Wort "Kulturschock" nimmt er bei all diesen Erinnerungen oft in den Mund. Zum Beispiel, als Judith vor ein paar Jahren operiert wurde und er die ganze Zeit bei ihr im Krankenhaus bleiben wollte, wie er es traditionell aus Ägypten kannte. In Deutschland verwies man hingegen auf die offiziellen Besuchszeiten.

Judith ist Sozialpädagogin, hat einige Jahre in einem Kindergarten gearbeitet. Viele Theorien, die das Paar an diesem Abend vorstellt, beruhen auf den Unterschieden in der Erziehung, die verschiedene Kulturen prägen - und letztendlich auch die Beziehung zwischen zwei Menschen. Eine Kultur mit hohem Individualismus, wie sie vor allem in Europa, den USA und Australien gilt, erzieht den Menschen zu größtmöglicher Autonomie. Das Kind soll auch mal alleine sein können, Privatsphäre haben, es werden eigene Entscheidungen gefordert, gelobt und gestraft. In Kulturen mit hohem Kollektivismus, wie es sie in den meisten Gesellschaften der Welt gibt, funktioniert Erziehung vielmehr durch Scham. Ein Kind ist selten allein, Familie und Nachbarn erziehen es im Kollektiv, und so werden auch Entscheidungen getroffen. Probleme löst häufig ein Vermittler, der die Entschuldigung übergibt. In der Beziehung zu Judith musste Elia einen Ersatz für diese vermittelnde Person suchen - und entschied sich für Blumen und Schokolade.

Manche Missverständnisse in ihrer Beziehung hatten allerdings weitreichendere Konsequenzen. Fünf Jahre lagen zwischen Elias erstem Heiratsantrag und dem, als Judith den Antrag schließlich annahm. Das erste Mal hatte er es auf die arabische Art versucht, mit einem romantischen Vers und blumigen Umschreibungen, ohne eine direkte Frage zu stellen. Sie verstand nicht, was er ihr sagen wollte, er war enttäuscht. Heute sind sie sich einig: Der Wille, sich gegenseitig verstehen zu wollen, ist der Schlüssel ihrer langjährigen Beziehung.

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SZ vom 24.02.2020
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