Süddeutsche Zeitung

Integratives Theater:Die Popcornmaschine

In der integrativen Theaterwerkstatt spielen Schüler der Bergkirchener Mittelschule gemeinsam mit behinderten Mädchen und Jungen der Johannes-Neuhäusler Schule Schönbrunn. Sie erproben die Wirkung von Sprache, Mimik und Gestik - und sie planen öffentliche Auftritte.

Von Petra Schafflik

Die zierliche Sechstklässlerin macht den Anfang. Sie überlegt kurz, stellt sie sich vor die Gruppe, lässt einen Arm hin und herschwingen und sagt immer wieder nur "plop". Nach und nach kommen die übrigen Schüler dazu, führen eine kurze Bewegung aus, lassen einen Laut erklingen. Bald wird im vielschichtigen Mit- und Nebeneinander gestampft, gewackelt, werden Hände gekreist oder Arme angewinkelt, erklingt ein Durcheinander verschiedenster Töne. Binnen weniger Minuten entsteht im nüchternen Klassenzimmer eine komplexe Darbietung, die an die beweglichen, maschinenähnlichen Skulpturen des Schweizer Künstlers Jean Tinguely erinnert. "Popcornmaschine" heißt diese Übung, mit der Schüler in einem kooperativen Theaterprojekt ihre Eigen- und Fremdwahrnehmung schulen. Das Besondere: Theater spielen hier Schüler der Bergkirchener Mittelschule gemeinsam mit behinderten Mädchen und Jungen der Johannes-Neuhäusler Schule Schönbrunn.

Dabei ist das Miteinander von Schülern mit und ohne Handicap nichts Neues an der Bergkirchener Schule. Seit zwei Jahren schon wird eine Partnerklasse mit behinderten Kindern im Schulhaus unterrichtet. Durch verschiedenste Aktivitäten, vor allem durch regelmäßige gemeinsame Schulstunden mit einer regulären Grundschulklasse, werden diese Mädchen und Jungen ins Schulleben integriert. Die kooperative Theater-AG ist nun ein weiterer Baustein in Sachen Integration. Seit den Herbstferien treffen sich jede Woche acht Schüler, je vier der Mittelschule und der Förderschule, um in der Theater-AG gemeinsam Spaß zu haben am eigenen Spiel. Angeleitet werden die Kinder von Katrin Siegl, die in Bergkirchen die offene Ganztagsschule leitet, von Sonderschullehrerin Ingrid Karlitschek und Förderlehrerin Eva Colomé.

Gemeinsam werden von den Schülern die Ausdrucksformen des eigenen Körpers erkundet. Im Vordergrund steht dezidiert nicht, ein konkretes Stück einzustudieren. "Die Arbeit beginnt im Kleinen, mit schauspielerischen und theaterpädagogischen Übungseinheiten", sagt Siegl. Dazu zählen Körperarbeit, Atemübungen oder auch gruppendynamische Spiele. Die acht Teilnehmer sollen selbst aktiv werden, sollen ausdenken, ausprobieren, reflektieren, eigene Ausdrucksmöglichkeiten entwickeln und dabei fast nebenbei erfahren, wie Theater funktioniert.

Was konkret in dieser kooperativen Arbeitsgemeinschaft geschieht, zeigt sich beim Werkstattbesuch. Schon zum Aufwärmen stellen die sechs Mädchen und zwei Jungen ihr Gefühl für Tempo auf die Probe. Abwechselnd schreiten sie "langsam wie eine Schnecke" oder "schnell wie ein Gepard" durch den Raum von Ziel zu Ziel, begrüßen sich gegenseitig höflich - in Zeitlupe oder Zeitraffer - je nach Ansage. Auch die "Popcornmaschine" muss einiges leisten: Nachdem die bewegte und lärmende Körperskulptur installiert ist, gilt es auf Kommando, verschiedene Geschwindigkeiten anzuschlagen. Kooperation, Aufmerksamkeit, Eigen- und Fremdwahrnehmung sind gefordert. Schließlich erprobt die achtköpfige Theatergruppe, in der Schüler im Altern von elf bis 16 Jahren mitwirken, den Effekt der Anonymität hinter einer Maske. Identische weiße Kunststoff-Gesichter stülpen sich alle über, tauchen auf diese Weise verfremdet hinter einem schwarzen Bühnenvorhang ab und dann überraschend einzeln wieder auf. Im Schutz der Masken spielt es sich befreiter, werden Hemmschwellen abgebaut, erklärt Lehrerin Karlitschek.

Noch geht es in der integrativen Theaterwerkstatt darum, die Wirkung von Sprache, Mimik und Gestik zu erproben, Techniken zu entdecken, die eigenen Möglichkeiten auszuloten. Doch wer sich für eine Theater-AG anmeldet, will natürlich auch vor Publikum spielen. Aber nicht ein Theaterstück wollen die Kinder einstudieren, sondern eine Collage von Einzelszenen entwickeln, in denen die Mitwirkenden ihre Themen, ihre Ideen, ihre Stärken ganz individuell einsetzen können. Was genau geplant ist, wird noch nicht verraten. Fest steht aber schon, dass eine Abschluss-Vorstellung beim Schulfest in Bergkirchen, beim Dorffest im Franziskuswerk Schönbrunn und in den Klassen der Mittelschule präsentiert werden soll. "Wir freuen uns schon", sagt Bergkirchens Schulleiter Albert Sikora.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2015
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