Inklusion:Im siebten Himmel

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Der geistig behinderte Thomas ist im Edeka-Markt Bergkirchen fest angestellt. Das ist in ganz Bayern noch eine Seltenheit. Der Bezirk Oberbayern zeichnet jetzt Inhaber Daniel Schermelleh mit dem Inklusionspreis aus

Von Sophia Rossmann, Bergkirchen

Der Edeka-Markt sieht aus wie jeder andere auch. Und trotzdem ist er ein besonderer. Daniel Schermelleh erhält an diesem Dienstag den Inklusionspreis des Bezirks Oberbayern. Für eine "Selbstverständlichkeit", wie er sagt. Der Betreiber von drei Edeka-Märkten in der Region beschäftigt Menschen mit geistiger Behinderung nicht nur so nebenbei, sondern in einem richtig unbefristeten Arbeitsverhältnis. Und das am freien ersten Arbeitsmarkt. Eine Besonderheit unter den 43 Bewerbungen, die die Jury überzeugte.

Als vor mehr als einem Jahr der Integrationsfachdienst München-Freising auf Schermelleh zukam und fragte, ob er Nicolle, eine junge Frau mit geistiger Behinderung, ein Praktikum anbieten könne, zögerte er nicht: "Kostet mich ja nichts, und zu verlieren habe ich auch nichts." Mittlerweile hat sich die Beschäftigung von Behinderten als große Bereicherung für die Märkte herausgestellt. "Natürlich gibt es Höhen und Tiefen, sie brauchen mehr Anleitung und Betreuung, aber wenn das ganze Team mitzieht, geht das auch", sagt Schermelleh.

Thomas arbeitet seit Juli im Edeka-Markt in Bergkirchen. Er ist geistig behindert. Das wirkt sich so aus, dass Thomas unter Druck zu Fehlern neigt und Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren. Auch Rechnen und Schreiben fällt ihm schwer. Doch die Arbeit hilft ihm, ruhiger und routinierter zu werden. Seine Behinderung sieht man ihm fast nicht an: ein typischer 22-Jähriger mit Brille und schmaler Figur. Am Ende seines Praktikums stellte ihn Schermelleh fest an. "Seitdem bin ich im siebten Himmel", sagt Thomas und strahlt:

"Meinen Eltern ist ein Stein vom Herzen gefallen."

Bis zur Festanstellung war es ein langer Weg. Nach dem Abschluss der Johannes-Neuhäusler-Schule in Schönbrunn, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Behinderung, nahm Thomas an einem berufshinführendem Programm des Integrationsfachdienstes München-Freising teil. Das heißt vier Tage im Betrieb arbeiten, ein Tag Schule. In der Zeit hat Thomas in vielen Unternehmen gearbeitet. Aber trotz großer Versprechungen am Anfang, wollte ihn keines übernehmen. Die letzte Option, die Behindertenwerkstatt, hätte Thomas als " Katastrophe" empfunden. Er hätte sich dort heillos unterfordert gefühlt.

Viele Unternehmen scheuen sich davor, Menschen mit geistiger Behinderung aufzunehmen. Schermelleh kann das nicht nachvollziehen. "Erst langsam fangen wir an umzudenken", sagt er. Seine Kunden nehmen Nicolle und Thomas durchweg positiv auf. Diese Wertschätzung und das Vertrauen seitens des Chefs wirkt sich äußerst fördernd auf die Entwicklung der beiden aus. Thomas kümmert sich immer selbstständiger um Aufgaben wie Obst einräumen, Lagerbestände kontrollieren, eben alles, was in so einem Markt anfällt. Nur Kassieren, dass darf er noch nicht. Diese einfachen Aufgaben fallen ihm sogar oft leichter im Vergleich zu anderen Kollegen. Für Schermelleh auch ein Vorteil.

Das Münchner Technologieunternehmen VerbaVoice wird neben Schermelleh ebenfalls mit dem Inklusionspreis zum diesjährigen Thema "Inklusive Arbeitswelt: mit Vielfalt zum Erfolg" ausgezeichnet. Das Preisgeld von 2500 Euro möchte Schermelleh der Lebenshilfe in Freising spenden. Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, das sei nichts Besonderes, es sollte etwas Normales sein, sagt der Kaufmann abschließend. "Auch Behinderte haben eine Chance verdient. Wer's möglich machen kann, soll's möglich machen." Am Ende des Gesprächs geht Thomas wieder an die Arbeit. Im Gang begrüßt er ganz überschwänglich einen Kollegen mit Handschlag. Thomas wird hier geachtet, er ist integriert und fühlt sich sichtlich wohl. "Wir sind doch auch Menschen, wir mit Behinderung."

© SZ vom 25.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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