SZ-Serie: Kulturspaziergang, Folge 4:Augustiner Alleskönner

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Das Museum ist leider geschlossen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Das Kloster Indersdorf fungierte in seiner 900-jährigen Geschichte auch als Wirtschaftsbetrieb, Sozialeinrichtung und Forschungszentrum.

Von Sonja Siegmund, Markt Indersdorf

Es sollte ein Jubiläumsfest über das gesamte Jahr 2020 hinweg werden mit Vorträgen, Fotoausstellungen, Kirchen- und Museumsführungen, Mittelalterfest, Picknick im Klostergarten und Wallfahrten. Zum 900-jährigen Gründungsjubiläum des Augustiner-Chorherrenstifts hatte der Festausschuss der Marktgemeinde unter Vorsitz von Bürgermeister Franz Obesser schon 2018 damit begonnen, ein vielfältiges Programm zusammenzustellen. Doch aufgrund der Corona-Pandemie sind bis auf weiteres sämtliche Veranstaltungen einschließlich Gottesdiensten zum Klosterjubiläum untersagt. Nicht untersagt ist indes eine historische Reise durch 900 Jahre Klostergeschichte, die nicht nur Bürger aus der Marktgemeinde interessieren dürfte. Als Lektüre dient die lesenswerte Festschrift, die Hans Kornprobst und zwei Mitautoren auf 380 Seiten verfasst haben.

Das Augustiner-Chorherrenstift Indersdorf zählt zu den bedeutendsten Klosteranlagen Altbayerns. Bis zur Aufhebung 1783 war das Stift geistliches, wirtschaftliches, kulturelles und im 18. Jahrhundert auch wissenschaftliches Zentrum im Dachauer Land. Bis heute prägt das ehemalige Kloster Menschen, die in dieser Umgebung aufgewachsen sind. Hans Kornprobst war seit seiner Kindheit von den wuchtigen Stiftsgebäuden fasziniert. Der 56-jährige Indersdorfer wuchs in Sichtweite auf, war Ministrant in der Klosterkirche und befasste sich schon früh mit Familienforschung. So hat sich der Sparkassenbetriebswirt im Hauptberuf auch die Auswertung von historischen Quellen und Daten angeeignet, was später für seine Chronik wichtig werden sollte. Zudem ist Kornprobst Besitzer einer Sammlung "Indersdorfer Literatur", die er im Laufe von rund 30 Jahren bei Auktionen und in Antiquariaten erworben hat. Viele Jahre war der Indersdorfer als Schatzmeister im Heimatverein aktiv, zu dessen Gründungsmitgliedern er zählt. Zudem initiiert er Ausstellungen im Bereich Heimatgeschichte, verfasst Publikationen und organisiert Führungen im Chorherrenmuseum oder in der Klosterkirche. Rund zwei Jahre hat der Heimatforscher an der Festschrift gearbeitet, jahrelange Recherchen in der Bayerischen Staatsbibliothek und im Hauptstaatsarchiv gingen voraus.

Urkundlich belegt ist, dass Papst Calixtus II. im Jahr 1120 den Pfalzgrafen Otto IV. von Wittelsbach beauftragt hat, das Chorherrenstift aus Sühne für die Teilnahme am Italienzug Heinrichs V. zu gründen. 1130 übergab der letzte Ortsadelige Otto von Indersdorf seinen Besitz dem Stift und schuf zusammen mit den Wittelsbachern die wirtschaftliche Grundlage. Dafür blieb Indersdorf der bayerischen Herrscherdynastie eng verbunden und zählte zu den frühen Hausklöstern, in dem sieben pfalzgräfliche Wittelsbacher beigesetzt wurden. Eine erste Blütezeit erreichte das Stift Anfang des 14. Jahrhunderts unter Propst Konrad II., der als Berater Kaiser Ludwig IV. dem Bayern gewirkt habe, schreibt Kornprobst in seiner Festschrift. Berühmt sei das Stift im 15. Jahrhundert unter den Pröpsten Erhard Prunner und Johannes Rothuet geworden, die es zu hoher kirchengeschichtlicher Bedeutung führten. Mit Traktaten und Tischlesungen für Herzog Albrecht III. sei Propst Rothuet als Johannes von Indersdorf in die bayerische Literaturgeschichte eingegangen.

Heimatforscher Hans Kornprobst hat die Festschrift zum 900. Jubiläum des Klosters verfasst. (Foto: Niels P. Joergensen)

Die Chorherren sorgten sich nicht nur um das Seelenheil der adeligen Gönner. An karitativen Einrichtungen für alle Pfarreimitglieder seien ein Siechenhaus zu nennen für Leprakranke außerhalb des Stifts, sowie ein Hospital und eine Apotheke innerhalb der Klostermauern, die Medikamente herstellte. Nicht hoch genug könne in Zeiten ohne Renten und Sozialhilfe die freiwilligen Almosen der Ordensgemeinschaft eingeschätzt werden, schreibt Kornprobst in einem Kapitel über Sozialsysteme. Als Wirtschaftsbetrieb sei das Stift "nach heutigen Maßstäben mit einem Konzern mittlerer Größe zu vergleichen". Aufgrund seiner Funktion als Grund-, Gerichts- und Pfarrherr hatte es verschiedene Rechte inne, wie sie heute die Gemeinde, das Landrats- und Finanzamt, das Amtsgericht und die Pfarrei ausüben. Auch die Funktion der heutigen Sparkassen und Versicherungen habe das Stift wahrgenommen. Zu den Aufgaben der Chorherrengemeinschaft gehörte zudem die Pflege von Wissenschaft und Bildung. Insbesondere im 18. Jahrhundert erreichte das Indersdorfer Stift seinen Höhepunkt auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Über die Errichtung eines physikalischen Kabinetts mit Instrumentensammlung, einer Bibliothek und einer Turmsternwarte berichtet Mitautor Wolfgang Spies ausführlich. In diesem Kontext erwähnt Kornprobst auch einige herausragende Chorherren, die sich intensiv den Wissenschaften gewidmet haben. So wurde Augustin Torborch (1734 bis 1772) für seine "Abhandlung von den Kegelschnitten" als Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Anton Maria de Rheita gehörte zu den bedeutendsten deutschen Astronomen im 17. Jahrhundert. Nicht weniger angesehen war Augustinus Michel (1662 bis 1751), der zu den wichtigsten Rechtsgelehrten seiner Zeit zählte. Den Statuten der Augustiner Chorherren und den Regeln im Zusammenleben in der Ordensgemeinschaft hat sich Dieter Tomahogh gewidmet. Darüber hinaus hat der zweite Mitautor zahlreiche lateinische Texte aus den Archivalien ins Deutsche übersetzt.

Wem nach der Lektüre nach einer Landpartie zumute ist, dem sei ein Ausflug in der Marktgemeinde empfohlen. Geplant war nach dem Jubiläumsprogramm im September eine rund 20 Kilometer lange Radtour zu den Wallfahrtskirchen des ehemaligen Chorherrenstifts. Wer sich allerdings danach auf ein süffiges Festbier beim Tobiasbräu in Ried gefreut hat, dem kann in diesen schwierigen Coronazeiten nichts versprochen werden. Auch das Augustiner Chorherren-Museum bleibt bis auf weiteres geschlossen, wie der Heimatverein Indersdorf noch einmal auf Nachfrage bestätigt hat.

Die mit zahlreichen Farbfotos ausgestaltete Chronik kann man im Rathaus Indersdorf zum Preis von 29,90 Euro erwerben nach vorheriger Bestellung unter der Telefonnummer 08136/9340.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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