"Impro Barcelona" beim Jazz e.V.:Bitte anschnallen

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Vom Schmatzen und Hauchen bis zum Fortissimo-Inferno: Stufenweise erweitert und intensiviert das Jazz-Kollektiv "Impro Barcelona" sein Spiel und entwickelt einen kunstvollen Spannungsbogen, der in einem grandiosen Finale kulminiert

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Mit dem Konzert des Jazz-Kollektivs "Impro Barcelona" in der Kulturschranne verabschiedet sich der Dachauer Jazz e.V. in die Sommerpause, und es ist ein Abend wie geschaffen für das Dachauer "Forum für neue freie Musik" - ein Abend in drei Intensitätsstufen.

Stufe eins, Trio, Crescendo ma non troppo: Das erste Set bestreiten der Saxofonist Tom Chant, der Flötist Pablo Selnik und der Schlagzeuger Vasco Trilla. Der Beginn ist kaum wahrnehmbar, ein leises Flirren, in dem sanfte Schnarrgeräusche des Schlagzeugs noch die kräftigste Komponente darstellen. Saxofon und Flöte umschmeicheln einander in leisem Hauchen, Saugen und Schmatzen, zunächst nur ganz vereinzelt werden geblasene Töne in die Geräuschkulisse eingestreut. Das ist absolut reduziert, dabei erstaunlich farbig. Besonders verblüffend aber ist, dass sich durch die Überlagerung der Klangereignisse tatsächlich ein subtiler Puls einstellt.

"Impro Barcelona" mit Bassist Alex Reviriego, Alfoñso Munoz am Baritonsaxofon und Iván González an der Trompete. (Foto: Toni Heigl)

Die Lautstärke der Improvisation nimmt etwas zu. Erste schrillere, durch Überblasen der Instrumente erzeugte Töne treten hinzu. Dieses Überblasen gilt in gewisser Hinsicht sogar für die Art und Weise, wie Trilla sein Schlagzeug spielt: Was er hier vollführt, ist eine Werkschau der Klangerzeugungsmittel. Und ein Schlagzeug als Blasinstrument zu verwenden, indem man einen Schlauch aufs Fell der Snare Drum presst und dieses durch festes Pusten zum Schwingen, ja, Singen bringt, ist definitiv ein seltenes Erlebnis. Dabei stellt dies nicht einmal die letzte Steigerung dessen dar, was Trilla klangfarblich zu bieten hat. Zum Finale belädt er seine Trommeln mit kleinen Klangschalen, die er zum hellen Klingeln und Scheppern bringt. Dazu ergänzen Chant und Selnik einander in engster Dissonanz.

Vasco Trilla am Schlagzeug für das katalanische Jazz-Ensemble "Impro Barcelona". (Foto: Toni Heigl)

Stufe zwei, Quartett, Allegro con moto: Die Bühne besteigen nun der Saxofonist Alfonso Muñoz, der Trompeter Iván Gonzalez, der Bassist Alex Reviriego und der Schlagzeuger Joni Garlic. Garlic verwendet weitaus weniger Gerätschaften als sein Vorgänger, spielt dafür aber häufig im Stehen, manchmal auf dem Bühnenboden. Durch das Instrumentarium, insbesondere Muñoz' Baritonsaxofon, das Chants Tenor- und Sopransaxofon ablöst, sind die Klangfarben dunkler. Entscheidend für das zweite Set ist jedoch, dass die Musik nun merklich an Fahrt aufnimmt, kleinteilig bewegter wird, zwischendurch geradezu hektisch. Hart zupft Reviriego die Basssaiten, (wobei er auch den mit Bogen gestrichenen Bordun im Repertoire hat), das Schlagzeugspiel ist nun deutlich stärker auf prägnante Rhythmik konzentriert. So entsteht eine vorandrängende Perkussivität, die es zuvor nicht gegeben hat. Die brachial harten, durchdringenden Impulse, die Gonzales aus seiner Trompete herauspresst, passen dazu hervorragend und kündigen zugleich das Folgende an.

Stufe drei, Tutti, Presto appassionato: Was nach der zweiten Pause folgt, ist pure Klangverdichtung. Alle Musiker (vier Bläser, ein Bassist und zwei Schlagzeuger) vereinen sich zu einer Art Septett-Bigband, die man in ihrer Wucht, wäre der Name jazzhistorisch nicht bereits anderweitig reserviert, als Jazz Composer's Orchestra bezeichnen möchte. Hauptkomponist ist Trompeter Gonzalez; er gibt über weite Strecken den Dirigenten des Ensembles. Es ist eine Art des Dirigierens, wie sie einst auch Frank Zappa pflegte: Ein Musiker stellt sich vor die Kollegen, ergreift musikdramaturgisch die Initiative und steuert den Improvisationsprozess. Das Ergebnis ist Instant Composing von einer Präzision, wie sie aus einem rein kollektiven Zusammenwirken nie erwachsen könnte. Erstaunlich bei Impro Barcelona ist indes, dass Gonzalez seine Leitungsfunktion nicht nutzt, um auch filigrane rhythmische Effekte zu initiieren, sondern dass er sich auf großräumigere Dynamik konzentriert. Spätestens hier erweist sich die Dynamik als die Kernbotschaft dieses Ensembles. All der Klangfarbenreichtum, der an diesem Abend erkundet wird, dient letztlich dem dynamischen Spannungsbogen. Und deshalb ist es logisch, dass dieses Konzert, das im Pianissimo begann, im vollkommen entfesselt eruptiven Fortissimo-Inferno endet. Grandios.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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