Süddeutsche Zeitung

Imkerei:Die wilde Verwandtschaft

Hummeln brauchen einheimische Kräuter und Blumenwiesen

Von Tobias Roeske, Dachau

Erwin Scheuchl wählt drastische Worte: "Der Wildbienenbestand ist seit dem Jahr 2005 brutal zurückgegangen", sagt der "freiberufliche Wildbienenexperte" wie er sich selbst nennt. Um bis zu 50 Prozent sei weltweit der Bestand gesunken. Zusammen mit dem Landesbund für Vogelschutz aus Dachau nutzt er jede Gelegenheit, um auf die problematische Situation der Wildbienen aufmerksam zu machen.

Weltweit gibt es mehr als 20 000 Unterarten von Wildbienen, von denen 510 allein in Bayern zu finden sind. Die Hauptunterschiede zwischen Wild- und Honigbienen liegen in deren Lebensweisen, erklärt Scheuchl. Honigbienen leben in "Bienenstaaten" zusammen, die mehrere Jahre überleben können. Damit das Bienenvolk auch im Winter genug Nahrung bekommt, müssen die Arbeiterbienen im Frühjahr und Sommer Nektar sammeln und Honig produzieren.

Wildbienen hingegen bilden nur selten Staaten, vor allem keine, die mehrere Winter überdauern. Das bedeutet, ein Wildbienenvolk ist erheblich kleiner und die Arbeiterbienen kümmern sich nur um ihre Königin und deren Generation. Das kleine Volk ist dementsprechend stärker vom Aussterben bedroht, als der große Staat einer Honigbiene. Wenn man einer Wildbienenart ihre Nahrungsquelle entzieht, kann es dazu kommen, dass die Population in dieser Region ausstirbt. "Mit einem mal Mähen, kann man ein ganzes Bienenvolk vernichten", warnt Scheuchl.

Laut dem Experten müsse vor allem die Landwirtschaft verändert werden. Die sei inzwischen hauptsächlich auf Profit ausgelegt und könne es sich nicht leisten, zwischen den Ernten Blühwiesenstreifen stehen zu lassen. Allerdings hat die Landwirtschaft inzwischen verstanden, dass ihre Nutzpflanzen auf die Bestäubung von Bienen angewiesen sind. Viele Bauern kaufen sich deswegen eine Wildbienenpopulation, wie zum Beispiel ein Hummelvolk, für die Bestäubung in ihren Gewächshäusern. Diese Hummeln kommen häufig aus dem südostasiatischen Raum und sind billiger als einheimische Völker. Das birgt eine weitere Gefahr: Die Hummeln können Krankheitserreger importieren, gegen die einheimische Hummeln nicht immun sind. Entkommt ein solches Tier aus dem Gewächshaus, kann es andere Arten infizieren und ganze Völker auslöschen.

Auch die Klimaveränderungen in den vergangenen Jahren leisten ihren Beitrag: Viele Wildbienen graben sich zum Jahreswechsel im Erdboden ein. "Die immer wärmer werdenden Winter führen dazu, dass sich zu viel Wasser im Boden ansammelt. Durch die Feuchtigkeit kommt es häufig zu Schimmelbefall, der dem Volk schaden kann", berichtet Scheuchl.

Die größte Chance für das Überleben der Wildbienen sieht Scheuchl jedoch nicht in Veränderungen der Politik oder der Landwirtschaft, sondern in der Bevölkerung selbst: "Jeder kann mit kleinen Maßnahmen etwas erreichen." Man könne für einen natürlichen Lebensraum der Bienen sorgen, indem man einheimische Kräuter und Pflanzen im Garten anbaue oder Nisthilfen für Wildbienen schaffe. "Dazu benötigt man nur ein Hartholzblock mit ein paar kleinen Bohrungen. Dann hätten die Bienen schon einmal ein Zuhause", sagt Scheuchl. Auch vor Bienenstichen muss man laut dem Experten keine Angst haben: "Honigbienen können aggressiv werden, wenn sie ihren Staat verteidigen wollen. Wildbienen hingegen sind viel zahmer. Man kann sogar mit bloßen Fingern ein Nest verschließen, ohne gestochen zu werden."

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Quelle:
SZ vom 15.04.2016
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