Im Verborgenen:Schatzkammer im Souterrain

Das Dachauer Landratsamt lagert etwa 3000 Bilder in einem Depot. Die Behörde fördert mit dem Kauf der Gemälde örtliche Künstler

Von Laura Winter

Schwungvoll öffnet sie die orange Stahltür. Beim Eintreten kriecht langsam der für Keller typische Geruch in die Nase. Es ist kühl. Das Licht ist kalt. An einer Wand stehen Metallregale, gefüllt mit bläulichen Kanistern, Bauteppichen, Farbeimern. Gegenüber stehen Paletten. Mitten in diesem kargen Umfeld lehnt ein buntes schmales Bild. Es zeigt etwas verzerrt ein Gesicht. Viel orange und blau. "Hier sind wir nun", sagt Eleonore Borgmann und durchquert eilig mit kleinen Schritten den kalten Raum, bis sie an einer vergitterten Tür ankommt. Beim Öffnen quietscht sie etwas. Die Neonröhren unter der Decke flackern kurz, dann erleuchten sie den engen Raum. Ein beinahe konspiratives Gefühl breitet sich aus.

Kunst-Depot

Werke Dachauer Künstler hängen auch in den Büros der Mitarbeiter oder im Treppenhaus. Darunter jenes von Richard Huber.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wände aus Metall nehmen fast den ganzen Raum ein. Rechts an der Wand stehen Regale, die vor lauter Bildern überquellen. Die kalte Atmosphäre, die der Vorraum vermittelt hat, weicht augenblicklich. Umgeben von braunen Leinwänden, Rahmen aller Art und den unzähligen Schiebetüren weiß das Auge nicht so recht, wo es verharren soll. Der Geruch von altem Stoff mischt sich mit dem von Farbe, hinzu kommt etwas Modriges, ähnlich wie in Großmutters Stube.

Kunst-Depot

Werke von Paula Wimmer sind im Depot des Landratsamts zu finden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Eleonore Borgmann arbeitet im Dachauer Landratsamt. Neben ihrer regulären Tätigkeit in der Haupt- und Personalverwaltung ist sie für das Gemäldedepot des Landratsamts zuständig. Etwa 3000 Gemälde lagern in dessen Keller. Aber auch die Flure, Büros und Konferenzräume sind mit Kunstwerken ausgestattet. Alle von Künstlern aus Dachau und der näheren Umgebung. Mehr als 30 Jahre lang sammelt das Landratsamt nun schon Bilder und Skulpturen. Alle drei Jahre gibt es dann die Ausstellung "Kunst im Landratsamt", die meist unter einem bestimmten Motto wie Landschaftsmalerei steht. Im November vergangenen Jahres wurde die Ausstellung neueren Künstlern aus dem Landkreis gewidmet. Jeder Mitarbeiter darf sich ein Bild für sein Büro aussuchen.

Landrat Stefan Löwl

"Wir sind kein Investor, sondern Kunstförderer. Bei Vernissagen regionaler Künstlerinnen und Künstler versuchen wir immer, eines der ausgestellten Werke zu kaufen."

In Eleonore Borgmanns Büro hängen zwei Bilder. Hinter ihr, das hat ihre Kollegin ausgesucht, ein großes Bild in grün und pink. Richard Wurm. In Borgmanns Blickfeld hängt ein Bild, das die Dachauer Eisdiele Venezia zeigt. Unverkennbar eine Arbeit des in Dachau lebenden Künstlers Tadeusz Stupka. "Da fühlt man sich gleich ein bisschen wie daheim", sagt Borgmann und schaut verträumt das Bild an. Sie ist stolz auf ihren Stupka; so schnell gibt sie ihn nicht mehr her.

Kunst-Depot

Eleonore Borgmann hütet das Gemäldedepot des Landratsamts. Ihr Lieblingsbild hängt in ihrem Büro: die Eisdiele Venezia von Thadeusz Stupka.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Keller lagern weitere Werke Stupkas, zwischen Landschaftsmalereien und Porträts. Jeder Schritt löst einen kleinen Luftzug aus, der eine neue Palette an Gerüchen herüberweht. Langsam lösen sich die metallenen Schiebewände, versperren den Weg und geben den Blick auf weitere Gemälde frei. Der Lagerraum gleicht einem Dschungel, immer wieder muss man die Wände beiseite schieben, um sich überhaupt bewegen zu können. Zum Vorschein kommen zarte Aquarelle, bunte Arbeiten aus Acryl und verträumte Ölgemälde. Am liebsten möchte man den ganzen Tag stöbern, immer wieder eine neue Wand herauszupfen und sich überraschen lassen. Es ist ein bisschen wie bei einer Schatzsuche, bei der jeder Fund ein Schmuckstück ist. Je nachdem, wo die persönlichen Neigungen liegen. Da entdeckt man Radierungen und Drucke von Klaus Eberlein, dunkle, groteske Gemälde und Zeichnungen von Heiko Klohn und farbenfrohe, abstrakte Bilder der Künstlerin gigi.

Kunst-Depot

Geballte Kunst: Dicht an dicht sind die Bilder im Depot des Landratsamts aufgereiht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Konstruktion aus an der Wand befestigten Schienen und bewegbaren Wänden hat der Hausmeister des Landratsamts gebaut. Mit kleinen Haken sind die gerahmten Kunstwerke an den Schiebewänden befestigt. Bei der Lagerung von Gemälden muss man viele Faktoren berücksichtigen, damit die Werke in einem guten Zustand bleiben. Bei der Umsetzung der Lagerung half Elisabeth Boser von der Gemäldegalerie Dachau mit. Sie gab Eleonore Borgmann wichtige Hinweise, wie die Gemälde optimal gelagert werden können. "Der Raum, in dem sich die Bilder befinden, muss 18 bis 20 Grad warm sein", erklärt Boser. "Die Luftfeuchtigkeit muss auch beachtet werden, sie darf einen Wert von 40 bis 50 Prozent auf keinen Fall überschreiten." Borgmann hielt sich genau an die Anweisungen der Expertin.

Sie ist sichtlich begeistert von ihrer kleinen, vollgestopften Schatzkammer. Wie man bei 3000 Gemälden den Überblick behält? "Alle Bilder werden bei ihrer Ankunft in die Inventarliste aufgenommen", sagt Borgmann. "Dann bekommen sie einen kleinen Aufkleber, sonst wäre das unmöglich zu organisieren." Trotzdem ist es für die leidenschaftliche Kunstliebhaberin die größte Herausforderung, den Überblick über all die Werke zu behalten. Schließlich betreut sie das Depot ehrenamtlich. Eleonore Borgmann berichtet mit leuchtenden Augen von der Kunstsammlung. All zu groß sei die Anstrengung nicht, versichert sie hastig und wird etwas rot. Fragen zu ihrer Person und über ihre Tätigkeit beantwortet sie oft zurückhaltend. Manchmal streicht sie sacht über einen der Bilderrahmen. Zu nahezu jedem Gemälde kann sie etwas erzählen. Ihr Lieblingsbild? Natürlich der Stupka in ihrem Büro, sagt sie und lächelt etwas verlegen. Mit diesem Gemälde verbindet sie mehr als nur die Begeisterung für die Komposition. Es zeigt ihr Geburtshaus.

"Wir haben übrigens noch einen weiteren Raum", sagt sie und lacht. Im selben Kellerraum befindet sich tatsächlich ein weiterer vergitterter Raum, der noch mehr Kunstwerke birgt. "Hier lagern die älteren Bilder", sagt Borgmann und zieht immer wieder neue Wände hervor. Dann begutachtet sie die kleinen und großen Schätze. "Im anderen Raum sind die neueren Werke untergebracht." Der Raum ist kleiner als der erste, aber mindestens ebenso voll. Auch hier nehmen Schiebewände den meisten Platz ein. In einer Ecke stehen Kartons aus Pappe. Auch sie sind bis zum Rand mit Kunst gefüllt. Hinter einem aufgestellten Bild steht eine kleine Anrichte, auf der ein Arrangement von Bronzeskulpturen liegt. Daneben liegt ein zusammengerollter Teppich. Es wirkt so, als habe schon eine ganze Weile niemand mehr dem Raum einen Besuch abgestattet. Früher war Borgmann öfter hier unten im Depot, jetzt erlaubt die Zeit es ihr immer seltener. "Die besonders beliebten und schönen Bilder hängen sowieso alle oben im ganzen Haus verteilt", sagt sie.

Wie jeder Mitarbeiter hat auch Landrat Stefan Löwl (CSU) sein Büro künstlerisch verschönert. Eine lange, leicht gewölbte Wand ist mit insgesamt 17 kleineren Bildern in Schwarz-Weiß geschmückt. Sie zeigen die Hauptkirchtürme der einzelnen Gemeinden im Landkreis. Die Serie war Teil eines Wettbewerbs, wie Löwl erzählt. Die Bilder stammen von Florian Marschall. Über seinem Schreibtisch hängen zwei weitere Werke. Ein in Ocker gehaltenes Bild von gigi und ein dunkles, kleineres Werk von Paul Dröger. "Wir sind kein Investor, sondern Kunstförderer", sagt Löwl und erklärt, wie das Landratsamt zu so einer gigantischen Kunstsammlung kommt. "Bei Vernissagen regionaler Künstler versuchen wir immer, eines der Werke zu kaufen", sagt er. Nachdem sie inventarisiert wurden, werden sie entweder aufgehängt oder im Depot zwischengelagert. Beim Verlassen des Büros stolpert man beinahe über ein Werk, das gerade erst eingetroffen ist. Stolz erzählt der Landrat von seiner neuesten Errungenschaft, einem Bild der Künstlerin Liz Schindler. Es zeigt einen Bach, eingebettet in einer felsigen Landschaft, mit einem hölzernen Weg, der am oberen Rand des Bildes endet. Die Künstlerin habe dieses Bild in Erinnerung an ihre Reise nach Island gemalt, sagt Löwl.

Bald wird also ein weiterer Schatz in den Irrgarten aus Rahmen, Regalen und Wänden wandern. Dort bleibt er so lange, bis er einem neuen Mitarbeiter ins Auge fällt und seinen Platz in dessen täglichen Umfeld bekommt.

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