Im Gespräch:Karriere mit geliehenem Ofenrohr

Jörg Hartl half bei "La Brass Banda" mit, die Volksmusik neu zu erfinden. Heute reist er mit der Kapelle um die Welt. Vor dem nächsten Tourneestart erzählt er an seiner früheren Schule, dem Josef-Effner-Gymnasium, wie er wurde, was er ist

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Wenn Jörg Hartl erzählt, entsteht ein buntes Bild: vom passionierten Musiker, vom bescheidenen Lebenskünstler, vom findigen Schüler. Er erzählt von Auftritten mit seiner Band La Brass Banda in Honolulu, Phnom Penh und Rio de Janeiro. Von Nächten im Tourbus, in engen Schlafkabinen, zwischen "anderen stinkenden Männern". Oder von Auftritten mit den Toten Hosen, David Garrett, Nena. Beinahe genauso ausführlich berichtet Hartl aber über lange Vormittage auf der heimischen Couch, von Nachbarn, die an der Wohnungstür klingeln und sich über das Trompetenspielen beschweren.

"Vorhin durfte ich noch kurz die Dusche in der Turnhalle benutzen", lacht er - nun sitzt Jörg Hartl im grauen Kapuzenpullover, die langen Haare zu einem lockeren Dutt gebunden, auf einem Sofa im Erdgeschoss des Josef-Effner-Gymnasiums in Dachau, seiner früheren Schule. Zwei große Lichtstrahler sind auf ihn gerichtet, im Publikum sitzen ehemalige Lehrer, Schulleiter Peter Mareis und sein Vorgänger Kurt Stecher. Sie alle hören zu, lachen, schütteln ab und an den Kopf, als Hartl sie mit Anekdoten aus dem Leben als Berufstrompeter versorgt.

Sein ehemaliger Lehrer Hans Glas sitzt neben ihm auf dem Sofa, er führt an diesem Abend das Interview für den "Effner-Salon". Dazu lädt der Förderverein der Schule regelmäßig frühere Effner-Schüler ein, von ihrer Karriere zu erzählen. Glas erinnert sich an Jörg Hartl als "pflegeleichten Schüler", dieser stellt das selbst nicht infrage, bemüht sich aber doch, das Image des rebellischen Musikers aufrecht zu halten. Hausaufgaben hätte er nie gemacht, gelernt auch nicht. Für das Abitur hätte er geschummelt, gibt der 42-Jährige an diesem Abend zu: "Nach über zwanzig Jahren ist das doch bestimmt verjährt." Einen Leistungskurs Musik hatte es am Effner nicht gegeben, also hörte Hartl auf den Rat seiner Mutter und entschied sich für das Fach Geschichte. Das Thema seiner Facharbeit schlug ihm sein damaliger Lehrer vor, heute sitzt er im Publikum und schüttelt ungläubig, aber lachend den Kopf, als Hartl zugibt: Er hätte damals eine Doktorarbeit mit demselben Titel seiner Facharbeit gefunden - und dann eben den "zu Guttenberg" gemacht: ein wenig aus vermeintlich russischen Originaltexten zitiert, ab und zu eine Internetseite erfunden.

Im Gespräch: La Brass Banda bei einem Auftritt, im Hintergrund Jörg Hartl.

La Brass Banda bei einem Auftritt, im Hintergrund Jörg Hartl.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Für seinen weiteren Lebensweg hätte er das Abitur nicht gebraucht, erkennt Jörg Hartl heute. Um Trompete zu studieren, musste er durch das Vorspielen an einer Akademie sein Können beweisen. Das ist ihm gelungen, er bewarb sich bei zwei Hochschulen, beide sagten ihm zu. Als er seinen Eltern erzählte, er wolle nun Jazztrompete studieren, ging seine Mutter wortlos aus dem Raum, erinnert sich Hartl. Wenig später kam sie zurück, erklärte, sie wäre gerade bei der Volksbank gewesen, auf der Sudentenlandstraße, gleich bei ihnen um die Ecke. Die würden ihn einstellen - "trotz Abitur." Doch dieses Mal hörte Hartl nicht auf den Rat seiner Mutter und entschied sich für die Musik.

Bereits während des Studiums spielte er zwei bis drei Auftritte pro Woche, finanzierte sich damit das Studentenleben und knüpfte Kontakte für die Zeit nach der Ausbildung. Sieben der Musiker, die heute mit ihm die moderne Volksmusikband La Brass Banda bilden, lernte er damals im Studium kennen. Mit Stefan Dettl wohnte er eine Zeit lang zusammen, regelmäßig verabredeten sie sich zum Üben. Tägliches Üben war immer ein großer Teil seines Alltags, ist es heute noch - wenn auch nicht so, wie er es sich wünschen würde: "Eigentlich würde ich gerne noch viel mehr spielen." Während der Schulzeit probte Hartl drei bis vier Stunden pro Tag, heute schwärmt er von seinem damaligen Alltag: Er wohnte nah an der Schule, ging morgens um zehn vor Acht los, war mittags um zehn nach Eins zuhause, dann Mittagsschlaf, später Trompete. Seine erste Trompete war geliehen - und "sah aus wie ein Ofenrohr", erinnert sich Hartl. Ein halbes Jahr lang trug er sie regelmäßig in einem schweren Koffer zu seinem Trompetenlehrer. Danach spielte Hartl einfach weiter, übte autodidaktisch, bis zum Abitur. Nach der Grundausbildung im Wehrdienst spielte Hartl im Luftwaffenmusikkorps in Neubiberg. Auch dort konnte er täglich üben, zweimal in der Woche gab es ein Konzert, nachmittags hatte er meist frei.

In Hartls Erzählungen klingt das alles sehr entspannt, trotzdem verlieh ihm die Luftwaffe eine Ehrenmedaille für besondere Verdienste. "Das war aber ein bisschen so wie damals mit der Facharbeit", lacht Hartl. Als ihn ein General nach einem seiner Auftritte lobte, erwiderte Hartl, er solle das doch lieber seinem Chef sagen. "Das habe ich damals salopp dahin gesagt", erklärt er - jener General nahm es jedoch ernst, telefonierte mit der Luftwaffe, das Verteidigungsministerium wurde informiert und eines Morgens begrüßten ihn seine salutierenden Kameraden und ihm wurde die Medaille verliehen.

Effner Salon

Jörg Hartl (links) berichtet an seiner früheren Schule von seinem Musikerleben.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Jörg Hartl spricht über sich und seinen Lebensweg stets mit einem Augenzwinkern, nimmt sich selbst nicht zu ernst. Er sei glücklich und zufrieden damit, wie sein Leben mit der Musik verlaufen sei, erklärt er dem Publikum. Als Abiturient hegte er noch ganz andere Berufswünsche, schickte eine Bewerbung zum Geheimagenten und zum UN-Generalsekretär ab. Stattdessen verdient er seinen Lebensunterhalt seit zwanzig Jahren mit einem Instrument, seiner Trompete, bringt Menschen zum Tanzen und "kann ihnen für einen Moment das Leben verschönern".

Er erinnert sich an ein Konzert in Düsseldorf, La Brass Banda spielte an diesem Abend vor den Toten Hosen in einem riesigen Stadion, Hartl sah sein eigenes Gesicht in Übergröße auf der Leinwand hinter sich. "Das könnt ihr auch alle schaffen", sagt er, dreht sich zur Seite. Hier sitzen die Schüler des Jazz-Salon-Orchesters, Leiter ist Hans Blume - wie bereits in den Neunzigerjahren, als Jörg Hartl selbst noch mitspielte. Am Ende des Abends stellt er sich neben das Orchester und spielt gemeinsam mit ihnen, übernimmt ein kräftiges Solo. In diesem Moment erhält das Publikum im Saal einen kurzen Einblick, wie sich der Musiker auf den großen Konzertbühnen der Welt bewegt. Und schon bald bricht er wieder auf: Ab 1. März ist er mit La Brass Banda auf Tour, diesmal in Australien.

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