Im Bürgerhaus:Eine Serenade mit politischen Untertönen

Das Karlsfelder Sinfonieorchester lässt auf seiner musikalischen Reise durch Europa die Länder Polen und Ungarn komplett aus.

Von Adolf Karl Gottwald, Karlsfeld

Das Jahr 1767 ist in der Musikgeschichte ein skurriles. Denn am 28. August dieses Jahres starb in Paris der aus Schlesien stammende Komponist und Pianist Johann Schobert, den der siebenjährige Mozart als den bedeutendsten aller in Paris lebenden Musiker kennenlernte. Mit Schobert starben seine Frau, eines seiner Kinder, das Dienstmädchen und die vier Gäste, die er zu einem Pilzgericht eingeladen hatte. 1767 ist aber auch das Geburtsjahr des deutschen Violoncellisten und Komponisten Bernhard Romberg, der neben Kammermusik und Cellokonzerten auch das Konzert h-Moll für Flöte und Orchester Opus 17 hinterließ, das der junge russische Flötist Mikhail Khvostikov mit dem Sinfonieorchester zum 250. Geburtstag des heute weitgehend vergessenen Komponisten spielte.

Dieses Flötenkonzert ist ein umfangreiches Werk von nahezu 30 Minuten Spieldauer. Vor allem der erste Satz ist von erheblicher Dimension. Das ganze Konzert ist dem Stil der Wiener Klassiker angenähert, freilich ohne die Größe Haydns, Mozarts oder Beethovens zu erreichen; es enthält sehr gute Musik mit schönen melodischen Wendungen. Der Solopart ist virtuos gestaltet, dem Solisten wird nicht nur stupende Geläufigkeit auf dem Instrument, sondern auch Ausdauer abverlangt. Dieses Konzert ist aber auch ein dankbares Stück, das viel hermacht. Mikhail Khvostikov spielte locker, mit leichter Anmut und Klarheit. Er ist für das Sinfonieorchester insofern ein Glücksfall, als er immer wieder vergessene Flötenkonzerte entdeckt. Jetzt war sein Konzertbeitrag der Mittelpunkt der sommerlichen Serenade, die diesmal als musikalische Reise durch Europa gestaltet war. Die Karlsfelder spielten zwar keine zeitgenössische europäische Musik, aber die gegenwärtige Europapolitik war doch spürbar: Die europäische Reise begann schon vor Roßbergs Flötenkonzert mit dem Walzer "Neapel" des Elsässers Emil Waldteufel, der insgesamt über 250 Tänze komponierte und im späten 19. Jahrhundert als "Johann Strauß von Paris" angesehen wurde. Aber der Echte in Wien war halt doch noch viel besser. Sein Walzer "Neapel" ist ein meisterhaft durchkomponierter, fein instrumentierter Konzertwalzer. Für Karlsfeld war sein "Neapel" trotz französischer Herkunft ein überzeugender italienischer Ausgangspunkt der Europareise am Sonntagabend im Bürgerhaus.

Serenade

Bernhard Koch und das Karlsfelder Sinfonieorchester im Bürgerhaus.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Weiter ging es, mit der Konzert-Ouvertüre "Die Hebriden" von Mendelssohn, nach Schottland (nicht ins Vereinigte Brexit-Königreich). Bernhard Koch hat mit seinem Sinfonieorchester gerade diese Ouvertüre besonders fein ausgearbeitet, die darin geschilderte Meerfahrt wurde zum musikalischen Erlebnis. Bei der berühmten "Meditation" aus der Oper "Thais" von Jules Massenet bekam Konzertmeisterin Claudia Bahr Gelegenheit, als Solistin hervorzutreten, was sie mit sehr schönem Geigenton und ausdrucksvollem Spiel gern wahrnahm.

Labsal statt Mühsal

Auf Frankreich folgte Spanien, doch mit einem Fuß blieb man noch in Frankreich; denn der Komponist der Oper "Carmen" ist bekanntlich der Franzose Georges Bizet. Die berühmte "Habanera" dieser Oper ein Feuerwerk im europäischen Programm. Der europäische Norden war trefflich vertreten mit einem norwegischen Tanz von Edvard Grieg, und zuletzt wandte sich die musikalische Reise mit Tänzen aus der Oper "Die verkaufte Braut" von Smetana nach Böhmen.

Auch diese Station war für das für das Orchester und seinen erfahrenen Dirigenten keineswegs eine Mühsal, sondern offensichtlich Labsal. So empfand auch das Publikum das Konzert und applaudierte begeistert. Allerdings ist auch ihm aufgefallen, dass zwei europäische Nationen, die im musikalischen Europa sogar besonders viel zu sagen haben, gänzlich fehlten: Polen und Ungarn. Keine Polka, keine Mazurka, kein ungarischer Tanz! Wer von Europa nur profitieren und keinen Beitrag leisten will, dessen musikalischen Werke bleiben halt Außen vor.

Serenade

Mikhail Khvostikov steht im Mittelpunkt der Serenade.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch Österreich mit Wien, der musikalischen Hauptstadt Europas, wurde vom Orchester nur am Rande betreten, insofern als Johann Strauß indirekt präsent war. Außerdem ist Roßbergs Flötenkonzert, wie bereits festgestellt, vom Geist der Wiener Klassiker inspiriert, und der "Furiant" aus Smetanas "Verkaufter Braut" ist ein Zwiefacher, was Bernhard Koch mit Worten und im Musizieren deutlich machte. Der Zwiefache aber stammt auch aus Österreich und nicht zuletzt auch aus Europas Mittelpunkt Bayern. Genau das wollten wir doch hören! Oder etwa nicht?

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