Manchmal ist es ganz einfach. Andrea Heller, Geschäftsführerin des Fördervereins Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit, schrieb dem Starpianisten Igor Levit, ob er nicht am Holocaust-Gedenktag am Montag, 27. Januar, in Dachau auftreten wolle. Die Überraschung: Levit sagte sofort zu. Aber so einfach war es dann doch nicht – sein Terminkalender ist voll. Am Abend vor Dachau gibt Levit noch ein Konzert in Amsterdam, am Tag darauf muss er schon weiter nach Erlangen, zu einem Klavierabend. Aber das Gespräch im Ludwig-Thoma-Haus am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, das ist Levit ein Herzensanliegen, wie Heller sagt.
Der Ausnahmekünstler Levit, der mit sechs Jahren sein erstes Konzert gab, ist ein politischer Mensch. Er erhebt seine Stimme gegen Antisemitismus, Rassismus – gegen Hass und für Demokratie. Das hat ihm Morddrohungen und antisemitisch konnotierte Rezensionen eingebracht, die Levit aber nicht verstummen ließen. In Dachau wird er mit dem Journalisten Thies Marsen, Experte für Rechtsextremismus und Antisemitismus, ein Gespräch führen. Sie werden an die sechs Millionen Opfer der Shoah, für die der Name Auschwitz steht, und an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnern – und den Bogen zum Heute spannen: zu dem grassierenden Judenhass auf den Straßen und in den gutbürgerlichen Salons Deutschlands seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des genozidalen Massakers der antisemitischen Terroristen der Hamas an Zivilisten in Südisrael.
Es wird immer schwieriger, Überlebende des NS-Terrors zu finden
Igor Levit war acht Jahre alt, als er mit seiner jüdischen Familie 1995 als sogenannte Kontingentflüchtlinge aus Russland nach Hannover kam. Heute ist er eine der wichtigsten jüdischen Stimmen in Deutschland. Sein Auftritt stellt auch eine Zäsur in der Dachauer Erinnerungspolitik dar. Denn es wird immer schwieriger, Überlebende des NS-Terrors zu finden, die gesundheitlich in der Lage und auch willens sind, an Gedenkfeiern teilzunehmen. Auch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten reagiert darauf. Zum Holocaust-Gedenktag veranstaltet sie zusammen mit dem Bayerischen Landtag am Donnerstag, 23. Januar, eine nicht-öffentliche Gedenkfeier im Dachauer Schloss, die aber vom Bayerischen Fernsehen live übertragen wird. Als Hauptredner tritt David Husarek aus Dachau auf, dessen Großvater Paul Husarek, ein sudetendeutscher Autor in der Tschechoslowakischen Republik, 1941 nach Dachau verschleppt worden ist.
Husarek war unter den Häftlingen, die am 29. April 1945 von Soldaten der 7. US-Armee befreit wurden. Er leitete danach das „International Information Office“, eine der ersten Organisationen der befreiten Häftlinge, blieb nach deren Auflösung in Dachau und heiratete eine Dachauerin. Außerdem sprechen auf der Gedenkfeier Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Karl Freller (beide CSU), Direktor der Gedenkstättenstiftung. Wie die SZ erfahren hat, will auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an der Gedenkfeier teilnehmen.
Die Evangelische Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte begeht den Holocaust-Gedenktag am Donnerstag, 30. Januar, um 19. 30 Uhr. Der FC Bayern-Präsident Herbert Hainer kommt dafür nach Dachau, um an der Podiumsdiskussion unter dem Motto „... dass Auschwitz nie wieder sei ...“ teilzunehmen. Mit ihm diskutieren Uwe Dziuballa, Initiator eines deutsch-jüdischen Begegnungsorts, Franziska Sessler, Urenkelin einer Familie aus dem Widerstand, und Eberhard Schulz, ehemaliger Sprecher der Initiative Erinnerungstag im Deutschen Fußball „!NieWieder“.