Dachau:Hetzbriefe ans Nonnenkloster

Dachau: Die Nonnen vom Karmel Heilig Blut bei einem Gedenkgottesdienst.

Die Nonnen vom Karmel Heilig Blut bei einem Gedenkgottesdienst.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Nach sieben Monaten Ruhe trifft wieder ein antisemitisches Pamphlet ein - diesmal hat der Verfasser das Kloster Karmel Heilig Blut an der KZ-Gedenkstätte ins Visier genommen. Der Kripo liegen nunmehr 203 Briefe vor, in denen der Holocaust geleugnet wird.

Von Helmut Zeller, Dachau

Die antisemitische Hetzkampagne im Landkreis Dachau reißt nicht ab. Seit September 2020 geht immer wieder ein Brief exakt gleichen Inhalts, in dem der Holocaust geleugnet und gegen Juden gehetzt wird, an willkürlich ausgesuchte Empfänger. Seit Februar dieses Jahres war Ruhe - bis vor eineinhalb Wochen. Der oder die Unbekannte hat nun ausgerechnet den Karmel Heilig Blut an der KZ-Gedenkstätte Dachau als Adressat ausgesucht. Die Schwestern des Klosters gedenken seit seiner Gründung im Jahr 1964 in besonderer Weise der NS-Opfer.

"Der Inhalt dieses Briefes ist, vorsichtig ausgedrückt, unmöglich", sagt Schwester Katharina der SZ. Darin wird unter anderem behauptet, dass Zyklon B, mit dem im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Kinder, Frauen und Männer vergast wurden, nur zur Läusebekämpfung eingesetzt worden sei oder dass die Zahl der Juden vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gleich hoch gewesen sei. Für Schwester Katharina steht fest: "So etwas kann man nicht einfach stehen lassen oder in den Papierkorb werfen. Die Menschen müssen darüber aufgeklärt werden, damit sie wachsam werden." Die Klostergemeinschaft hat den antisemitischen Angriff auf die jüdische Gemeinschaft und die Erinnerung an den Holocaust über den Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler zur Anzeige gebracht.

Inzwischen sind es 203 Hetzbriefe

"Diese Briefe sind widerwärtig, ekelhaft und menschenverachtend", sagt der Fürstenfeldbrucker Kripochef Manfred Frei, dessen Staatsschutzkommissariat in diesem Fall ermittelt. Die Briefe erfüllen den Straftatbestand der Holocaust-Leugnung. Oberstaatsanwalt Andreas Franck, der Zentrale Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Justiz, hat das Verfahren an sich gezogen. Inzwischen sind der Polizei 202 identische Briefe bekannt - plus den aktuellen, die alle über das Briefzentrum 82 in Starnberg nach ganz Bayern gegangen sind.

Identische Post erhielten Adressaten aber auch in Norddeutschland und in Städten wie Frankfurt oder Berlin. 1,5 Millionen Briefe durchlaufen täglich das Verteilerzentrum. Frei vermutet eine wesentlich größere Zahl an Hetzschriften, da viele Empfänger die Briefe wegwerfen würden. Im Sommer 2021 vor der Bundestagswahl hatte die Kampagne richtig an Fahrt aufgenommen. Nach Mitarbeitern der evangelischen Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte, anderen Einrichtungen und Kommunalpolitikern gerieten vor allem Burschenvereine ins Visier der oder des Rechtsextremen - vor allem im Landkreis Dachau. Vereine in den Gemeinden Odelzhausen, Sulzemoos und Bergkirchen erhielten diese Post. Aber auch im Landkreis Fürstenfeldbruck schlugen die antisemitischen und rassistischen Schmähschriften auf, zum Beispiel in Eichenau und in der Stadt Puchheim.

Vermutlich steckt ein Einzeltäter dahinter

Die Fürstenfeldbrucker Ermittler haben bisher keine heiße Spur zu dem Verfasser - trotz intensiver Fahndung, bei der zum Beispiel auch Profiler eingesetzt wurden, die für die Aufklärung schwerer Gewaltverbrechen Fallanalysen erstellen. Die Beamten vermuten, dass nur eine Person, eine Frau oder ein Mann, hinter der Kampagne steckt, denn Briefe und Umschläge sind bis ins Detail identisch.

Wahrscheinlich handelt es sich um eine ältere Person, da die Hetzbriefe auf postalischem Weg und nicht als E-Mails zugestellt werden. Die spurentechnische Untersuchung hat kein Ergebnis erbracht. Der oder die Täter fassten Umschläge und Inhalt mit Handschuhen an. Es wurden auch nur selbstklebende Briefhüllen verwendet, die keine Speichelproben enthalten, anhand deren man eine DNA-Analyse machen könnte.

Im Laufe der Zeit wurden acht Alias-Namen als Absender verwendet - alle stehen in Bezug zur NS-Zeit. Zuerst waren die Briefe mit Leni von Winkelried unterschrieben. Arnold von Winkelried ist eine mythische Figur der Schweizer Geschichte, die von den Nazis verehrt wurde. Ende 1944 wurde "Winkelried" als Ehrenname jenen Angehörigen der deutschen Kriegsmarine gegeben, die sich im Kampf "für Führer, Volk und Vaterland" opferten.

Das war vielleicht ein Fehler

Über den aktuellen Brief an die Klostergemeinschaft in Dachau waren die Ermittler ein bisschen überrascht, wie Kripochef Frei sagt. Denn im Februar dieses Jahres war der letzte Brief aufgeschlagen, seitdem schien die Hetzkampagne eingeschlafen zu sein. Warum, das können die Ermittler auch nicht sagen. Der Brief an die Klostergemeinschaft, er war an die Priorin Schwester Irmengard adressiert, trug als Absender einen bereits früher verwendeten Namen: Leni van Oost.

Bezirksheimatpfleger Göttler stellt im Gespräch mit der SZ dazu bedauernd fest: "Man sieht die Quelle ist leider nicht versiegt, trotz aller Bemühungen der Behörden, jetzt schreckt der Briefeschreiber auch nicht davor zurück, Klosterschwestern zu behelligen." Dieser Umstand könnte in der Bevölkerung jedoch Widerwillen hervorrufen - mit der Folge, dass vielleicht doch noch Hinweise auf die Identität des Täters oder der Täterin bei der Polizei eingehen.

Eine Marienstatue aus dem Priesterblock

Der Karmel Heilig Blut Dachau wurde nahe dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers gegründet, in dem von 1933 bis zur Befreiung am 29. April 1945 durch US-Truppen mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa litten. Ungefähr 41 500 NS-Opfer überlebten den Terror im Stammlager und seinen vielen Außenlagern nicht.

Die Gründerin, die Karmelitin Mutter Maria Theresia von der gekreuzigten Liebe, war es, die diesen Ort einstigen Grauens zu einer Stätte des Gebetes machen und ein lebendiges Zeichen der Hoffnung aufrichten wollte. Die heutige Ordensgemeinschaft organisiert viele Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Naziterrors. Die Marienstatue in der Kirche stammt aus dem Priesterblock des früheren Konzentrationslagers.

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