Süddeutsche Zeitung

Hoftheater:Rebellion und Spießerglück

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Martina Gredler nimmt in ihrer Inszenierung von Sibylle Bergs Stück "Und dann kam Mirna" am Hoftheater Bergkirchen Frauenbilder und Beziehungskonzepte schonungslos auseinander. In der Doppelrolle als Mutter und Tochter brilliert Janet Bens

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Sibylle Berg treibt alleine mit der Macht der Sprache den letzten Soja-Latte-Macchiato-Schaum aus weiblichen und männlichen Hirnen. Für den "grotesk-komischen und aufklärerischen Katastrophenschutz" ihrer Romane, Theaterstücke und Kolumnen ist die - je nach persönlicher Lebensphilosophie - heiß geliebte oder lauthals abgelehnte Autorin gerade mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet worden.

Mit Recht, wie sich am vergangenen Freitag bei der Premiere von Bergs Erfolgsstück "Und dann kam Mirna" im Hoftheater Bergkirchen zeigt. Das Stück ist eine Fortsetzung von Bergs "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen". Doch "Mirna" ist selbsterklärend. Aus den jugendlichen Wilden des Vorgängerwerks sind Mittdreißiger-Frauen geworden. Von denen ist aber nur eine auf der Bühne präsent. Denn Berg lässt der Regie die Wahl: Solostück oder "beliebig auf viele große und kleine Personen ausgeweitet". Am Hoftheater hat sich Martina Gredler für ein Solo entschieden. In ihrer furiosen Inszenierung spielt Janet Bens eine namenlose Mutter in Erziehungs- und Beziehungsnöten sowie deren taffe, vielleicht zehnjährige Tochter Mirna in Personalunion. Regisseurin, Soloschauspielerin, die junge Choreografin Annalena Lipp und Ausstatterin Ulrike Beckers haben daraus mit ungeheurer Lust an den Finessen von Bergs ausgefeilter Sprache, an blitzartigem Rollenwechsel und an harten Beats von DJ David Guetta eine abgründige, tiefgründige Suche nach Liebe, Respekt und geplatzten Lebensträumen gemacht. Das hat nichts Verbiestertes an sich, sondern macht mit absurdem Witz das begeisterte Publikum zu Weggefährtinnen und Weggefährten einer Reise, die auf Umwegen durchaus ins eigene Ich und ins eigene Leben führen kann - Träume à la der längst vom Winde verwehten Scarlett O'Hara inklusive. Diese war bekanntlich eine Meisterin in Sachen "Morgen ist auch noch ein Tag".

Ähnlich denkt Mirnas Mutter - Latzhose, überdimensionierte Lederjacke, rotziges Gehabe. Sie steht mal wieder mitten im Chaos halb gepackter Umzugskisten und eines halb gelebten Lebens. Das bestand bisher kurz gesagt aus Sex, Drugs and Rock'n Roll in der sehr gemäßigten Ausprägung der Nullerjahre und einer scheinbar ewigen Freundschaft mit Gemma, Minna und Lina. Doch irgendwann "folgte eine sexuelle Handlung, die einer mit Stiefmütterchen bepflanzten Verkehrsinsel glich" - und Mirna ist unterwegs. Der Vater in spe fragt die Mutter in spe: "Werden wir eine Wassergeburt haben? Soll ich mich nach kindgerechten Wohnungen umsehen? Wie findest du den Namen Chantal, wenn man ihn ironisch verwendet?". Die Mutter in spe wartet vergeblich "auf die im viralen Marketing versprochenen Glücksgefühle, die sich durch eine gelungene Befruchtung einstellen sollen" und fragt sich: "Warum werde ich eine Mutter, wenn ich meine Mutter doch hasse? Muss ich eine Einbauküche haben? Warum werden Mütter immer gehasst? Egal, ob sie arbeiten oder nicht, stillen oder nicht, leben oder nicht?" Sie nimmt sich fest vor, nach Mirnas Geburt mit ihren Freundinnen so weiterzumachen wie bisher: "Rauschgift und Alkohol, am Computer durchgezockte Nächte, kleine Ladendiebstähle, illegales Erzeugen von Pharmazeutika, unglückliche Liebesgeschichten, nur eben mit einem Kind."

Denkste. Die künftige Mutter muss feststellen: "Reproduktion ist die perfekte Frauenentsorgungsmaßnahme", weil sie plötzlich nur noch als Schwangere wahrgenommen wird, weil sie - dem immer verbreiteten Frauenbild zufolge - keinen anderen Daseinszweck hat, als ihr Kind großzuziehen. Dann kommt Mirna zur Welt - Lederjacke in die Ecke geknallt, Hello-Kitty-Kopfputz mit rosa Perücke aufs Haar, gelegentlich ein pinkfarbener Rucksack auf dem Rücken: So mutiert Janet Bens mit affenartiger Geschwindigkeit von der Mutter zur Tochter und wird ebenso schnell wieder zur Frau, die ihr Leben träumt.

Klein-Mirna will "nichts, als ein Kind sein zu können und eine Ordnung zu haben, ich will ordentliche Eltern. Spießereltern, die Grün wählen und Alte-Menschen-Sachen machen. Meinetwegen auf Facebook. Ich will sie doch nur lieb haben. Die langweiligen Eltern." Mirna ist die Vernünftige, die Organisatorin dieses abgefahrenen Zwei-Frauen-Haushalts. Erträgt geduldig die Pläne ihrer Mutter vom Landkommunen-Leben mit deren früheren Freundinnen. Mirna will ihren eigenen Weg finden, nicht den der Mutter gehen. Sie bringt das Ganze auf den Punkt: "Das sadomasochistische Moment einer Eltern-Kind-Beziehung ist doch, dass ein kleines Kind nie genug Liebe bekommt und später die Eltern nie genug Liebe bekommen."

Sibylle Berg beschränkt sich in "Und dann kam Mirna" nicht aufs Beziehungsmäßige. Sie zeichnet, überzeichnet mit bissigem Humor die Verfasstheit unserer Gesellschaft - vom offenen Rechtsradikalismus bis zur Gender-Debatte, von der Selbstgefälligkeit der "Grüngürtel"-Bewohner bis zu alternativen Lebensentwürfen. Eine Steilvorlage für dieses Frauen-Quartett des Hoftheaters. Regisseurin Gredler, Schauspielerin Bens, Choreografin Lipp und Bühnenbildnerin Beckers sind in Hochform, übertreffen sich selbst, erfinden sich und das Hoftheater wieder einmal ein Stück weit neu - und das alles in einer guten Stunde Lebenslust und Lebensfrust.

Weitere Vorstellungen: Sonntag, 24. März, 17 Uhr und jeweils um 20 Uhr am Freitag, 5. April, Donnerstag, 9. Mai, Samstag, 18. Mai, und Freitag, 24. Mai,

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Quelle:
SZ vom 18.03.2019
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