Süddeutsche Zeitung

Hoftheater Bergkirchen:Apokalyptische Gedichte

Ein Abend in der Reihe "Krieg und Frieden", der Schlaglichter auf die Gegenwart wirft: Herbert Müller liest Bertolt Brecht im Hoftheater Bergkirchen

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

"Von der Erde voller kaltem Wind, geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind, fast ein jeder hat die Welt geliebt, wenn man ihm zwei Hände Erde gibt." Dass Bertolt Brecht (1898-1956) dieses dystopische Gedicht aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts "Von der Freundlichkeit der Welt" genannt hat, klingt fast wie Hohn. Sein "Gegenlied", etwa dreißig Jahre später entstanden, hat dagegen etwas Wach- und Aufrüttelndes: "Besser scheint's uns doch aufzubegehren und auf keine kleinste Freude zu verzichten und die Leidensstifter kräftig abzuwehren und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!", heißt es dort zum Schluss. Herbert Müller hat am Freitagabend im Hoftheater Bergkirchen genau diese Worte ans Ende einer spannenden Lesung gesetzt, die sich um Leben und Arbeit Brechts mit klug ausgewählten Texten aus Heinrich Breloers Biografie "Brecht: Roman seines Lebens" drehte - und denen Müller mit sorgsam ausgesuchten Gedichten des längst zum Klassiker gewordenen Autors eine bittere Aktualität verlieh. Damit setzte der Hoftheater-Chef seine Ankündigung "Schlaglichter auf die Gegenwart sind rein zufällig und beabsichtigt" gekonnt - zugleich konnte sich immer wieder Lebensmut und ein Stück Optimismus Bahn brechen.

Eindringlich zeichnet Müller zwei Welten, wenn er aus dem Briefwechsel des jungen Brecht mit seinem lebenslangen Freund und Bühnenbildner Cas Neher liest. Neher kämpft im Ersten Weltkrieg an der Westfront, Brecht genießt im heimischen Augsburg den Duft von Jasmin und die Freuden der Jugend. Für Neher ist das "aus einem ganz anderen Leben als das im Schützengraben". Und die - leider nur wenigen - Zuhörerinnen und Zuhörer können sich fragen, ob sie es nicht gerade ähnlich halten: Während sie behaglich am warmen Ofen sitzen, geht es - nicht nur in der Ukraine - um Leben und Tod. Im großbürgerlichen Brecht'schen Elternhaus wird übrigens nach Kriegsende über die schwadroniert "die ohne Rücksicht auf Verluste den Frieden herbeigeredet haben".

Es wird Zeit sich Brechts Vorschläge nochmals genauer anzuschauen

Brecht dichtet und schreibt Stücke, hat erste Erfolge - und sieht mit klarem Blick das Unheil heraufdämmern. "Der Marsch ins Dritte Reich", heißt ein apokalyptisches Gedicht. Geht es doch um Verführbarkeit, um Durchhalteparolen, um falsche Versprechen und den langen Atem der NS-Chargen respektive aktuell der Rechtsextremisten. Solche "Schlaglichter" machen die Lesung so aktuell. Es ist hohe Vorlesekunst, wenn Müller etwa Szenen aus den Proben zur Dreigroschenoper liest - man sitzt gedanklich irgendwo hinten im Berliner Theater am Schiffbauerdamm und hört zu, wie Brecht, der um den Erfolg bangende Theaterdirektor Ernst Josef Aufricht, der eitle Schauspieler (und später glühende Nazi-Verehrer) Harald Paulsen, Komponist Kurt Weill und seine Frau Lotte Lenya Details von Text, Musik und Ausstattung diskutieren. Ein erholsames Zwischenspiel im Leben Brechts, denn mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten bleibt ihm nur das Exil. Grausame Jahre in vielen Ländern wie für so viele Gegner der braunen Horden. Doch Brecht reist stilvoll: mit seinen Kindern, zwei Dutzend Gepäckstücken, mit all seinen Manuskripten mit Ehefrau Helene Weigel und diversen Geliebten. Klingt lustig, war es aber nur bedingt. Die Sowjets verdächtigen ihn als Trotzkisten, was seinerzeit zu einem Todesurteil hätte führen können, die USA sehen in ihm einen "Enemy Alien", einen feindlichen Ausländer, und zitierten ihn 1947 vor den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe. Über die Schweiz kehrt er 1948 nach Berlin zurück. Und schreibt mit "Mutter Courage" das Stück schlechthin über Kriegsprofiteure. In Westdeutschland durften seine Werke übrigens bis in die Siebzigerjahre nicht aufgeführt werden, in der damaligen DDR brach für ihn mit der brutalen Niederknüppelung des Aufstands am 17. Juni 1953 eine Welt zusammen. Gemeinsam mit Helene Weigel, mit der er 33 Jahre zusammengelebt hat, davon 26 verheiratet, führt er dennoch das Berliner Ensemble zu Weltruhm. Und will auf seinem Grabstein stehen haben: "Er hat Vorschläge gemacht. Wir haben sie angenommen." Steht aber nicht da, sondern nur sein Name. Doch nach diesem Hoftheater-Abend in der Reihe "Krieg und Frieden" wird es Zeit, sich Brechts Vorschläge noch einmal genauer anzuschauen.

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