Bergkirchen:"Schreiben ist wie Küssen mit dem Kopf"

Bergkirchen: Das Hoftheater Bergkirchen zeigt "Gut gegen Nordwind", und Janet Bens verkörpert dabei die Romanfigur Emmi Rothner.

Das Hoftheater Bergkirchen zeigt "Gut gegen Nordwind", und Janet Bens verkörpert dabei die Romanfigur Emmi Rothner.

(Foto: Toni Heigl)

Das Hoftheater Bergkirchen bringt den Roman "Gut gegen Nordwind" von Daniel Glattauer auf die Bühne. Im Zentrum stehen ein Mann und eine Frau, die eine E-Mail-Beziehung beginnen.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Was ist "Gut gegen Nordwind"? Antworten auf diese kniffelige Frage gibt es viele; eine bietet derzeit das Hoftheater Bergkirchen an: mit dem gleichnamigen Stück nach dem erfolgreichen Roman von Daniel Glattauer. Dieser ist allerdings schon 2006 erschienen. Da werden Instagram- und Tiktok-affine Menschen im Jahr 2022 möglicherweise die temporeiche Handlung ganz anders sehen als die aussterbende Spezies, die noch gerne schriftlich korrespondierte. Handelt doch "Gut gegen Nordwind" von einer Frau (Janet Bens) und einem Mann (Paul T. Grasshoff), die eine E-Mail-Beziehung beginnen.

Heutzutage ist das nicht mehr unbedingt das Kommunikationsmedium der Wahl. Aber sei's drum. Der etwas in die Jahre gekommene Bestseller und das darauf basierende Bühnenstück sind auf jeden Fall sehenswert. Schon alleine deshalb, weil Janet Bens und Paul T. Grashoff ihre Theatercharaktere mit jeder Faser ausleben. Unter der Regie von Caroline Scholze zeigen sie im sparsamen, aber stimmigen Bühnenbild von Paula Leonore Grasshoff mit viel Witz, Temperament und purer Spielfreude, was die alte literarische Gattung des Briefromans heute noch zu sagen vermag.

Bergkirchen: Emmi (Janet Bens) und Leo (Paul T. Grasshoff) flüchten sich mit ihrer E-Mail-Beziehung in eine Scheinwelt.

Emmi (Janet Bens) und Leo (Paul T. Grasshoff) flüchten sich mit ihrer E-Mail-Beziehung in eine Scheinwelt.

(Foto: Toni Heigl)

Der etwas verplante Leo Leike erhält eines Tages eine Mail von einer gewissen Emmi Rothner, in der sie ein Zeitschriftenabo kündigt. Leo schreibt höflich-distanziert zurück, er sei der falsche Adressat. Wie das Schicksal, respektive Autor Glattauer es so will, vertippt sich Emmi noch ein paarmal, ihre Mails landen immer wieder beim gar nicht erfreuten Leo, der gerade über den "Einfluss der E-Mail auf unser Sprachverhalten" und "E-Mail als Transportmittel für Emotionen" forscht. Grasshoff spielt diesen etwas seltsamen Zeitgenossen als ziemlich von sich überzeugtes, aber reichlich verklemmtes Mannsbild, das selbstzufrieden in seiner eigenen Welt lebt. Die immer ein bisserl überdreht daherkommende Emmi befördert die Korrespondenz, denn "wenn Sie mir drei Tage nicht schreiben, fehlt mir etwas". Janet Bens gibt der auf den ersten Blick so selbstgewissen, manchmal rotzigen und immer ihre scheinbare Überlegenheit ausspielenden Emmi einen ganz eigenen Charakter.

Unbefriedigt und aufgerieben zwischen Ehemann, Kindern und Beruf

Schnell wird deutlich, dass vieles von dem, was Emmi sagt und schreibt, nur schöner Schein ist. Sie ist eine mit sich und ihrem Leben hadernde Frau, gefangen in diversen Abhängigkeiten, aber nicht wirklich willens, aus diesem Käfig auszubrechen. Leo wiederum macht es sich in seiner Scheinwelt gemütlich; er lässt seine Fantasie spielen, anstatt zur Tat zu schreiten: "Ich bastele mir aus Ihren Texten meine eigene Emmi." So entwickelt sich eine Fernromanze, die E-Mails werden vertraulicher, intimer. Leo, der "einsame streunende Wolf, der echte Frauenkomplexler", knabbert an einer Dauerbeziehung nebst Mehrfachtrennungen mit einer gewissen Marlene, Emmi ist - natürlich - verheiratet und hat zwei Kinder. Immer noch wissen beide nicht, wie der andere aussieht. "Sie schreiben jünger, als sie aussehen", vermutet Leo, für den die tägliche E-Mail-Flut zur "Marlene-Verarbeitungstherapie" wird. Und Emmi? Betrachtet Leo als ihre "Auszeit", denn "Schreiben ist wie Küssen nur ohne Lippen, Schreiben ist wie Küssen mit dem Kopf".

Aber Auszeit wovon, von wem? Das deutet sich im Stück leider nur an, was schade ist. Doch Janet Bens macht es durch ihr Spiel überdeutlich: Emmi entspricht total einem Frauenklischee, das längst in die Tonne gehört: unbefriedigt vom Leben und der Liebe, aufgerieben zwischen Ehemann, Kindern und Beruf. Also stürzt sie sich in diese gefahrlose Schreib-Affäre und klammert sich an Leo. Der aber überhöht Emmi, stellt sie auf ein Podest, macht aus ihr "meine Heldin Emmi aus meinem E-Mail-Roman". Ist ja auch viel einfacher und vor allem ungefährlicher, als sich mit einem real existierenden Menschen auseinanderzusetzen. Der Feigling versteckt sich sogar hinter seiner - Achtung: noch ein Klischee - mit langer Blondmähne und Traumfigur ausgestatteten Schwester, als es endlich zum Treffen mit Emmi im Messecafé Huber kommen soll. Emmi und das Objekt ihrer Begierde treffen sich also nicht. Wie es weitergeht? Ob es ein Happyend gibt? Das wird hier nicht verraten. Nur soviel: So ein Nordwind wie der, der gerade durchs Hoftheater weht, ist gut gegen all die Beschwernisse, die uns derzeit plagen.

Weitere Aufführungstermine sowie Informationen zu Karten und Abendkasse finden Interessierte auf der Homepage des Hoftheaters Bergkirchen.

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