Premiere:Wenn sich Mephisto schmalzige Werbebotschaften ausdenkt

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Bei der Inszenierung von Faust I zeigen die Schauspieler ihre Wandlungsfähigkeit quasi im Minutentakt: (v.l.) Ansgar Wilk, Verena Konietschke, Julia Rieblinger und Sarah Giebel. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Hoftheater Bergkirchen wagt sich mit "Faust I" an einen Klassiker. Ansgar Wilks Inszenierung zeigt jedoch, dass das Werk durchaus eine Parabel auf die heutige Zeit sein und Geldgier sowie Verführbarkeit anprangern kann.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Goethes "Faust I" gehört nach wie vor zu den meist gespielten Theaterstücken auf deutschen Bühnen. Für bayerische Schülerinnen und Schüler ist das Mysterienspiel des Dichterboliden allerdings keine Pflichtlektüre mehr - dabei kann dieses Werk durchaus eine Parabel auf heutige Zeitläufe sein. Denn es kann Genusssucht, Machthunger, Bigotterie, falsches Ehrgefühl, Geldgier und Verführbarkeit mindestens so direkt anprangern wie ein hochmodernes Werk. Das wurde bei der Premiere der Tragödie unter der Regie von Ansgar Wilk im Hoftheater Bergkirchen deutlich.

Die Zutaten zu dieser teuflisch guten Inszenierung sind: drei Schauspielerinnen und ein Schauspieler, die über sich selbst hinauswachsen, die wunderbare, witzige Ausstattung von Ulrike Beckers und eine Bühnenmusik von Max I. Milian, die mindestens so heftig wirkt wie Mephistos Zaubertrank. Außerdem werden die zahlreichen Protagonisten in Faust I, wie Famulus, Schüler, Hexen oder Erdgeister allesamt von Sarah Giebel (Gretchen), Verena Konitschke (Frau Marthe) und Julia Rieblinger (Mephisto) gespielt - sie zeigen ihre Wandlungsfähigkeit quasi im Minutentakt.

Mephisto ist ein androgynes Wesen mit undefinierbarer Geschlechtszugehörigkeit und undurchschaubarem Charakter, der bekanntlich "ein Teil von jener Kraft (ist), die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Im hautengen Outfit und mit flatterndem Mantel schleicht Julia Rieblinger katzengleich durchs Geschehen, windet sich und ihre finsteren Pläne mit flirrender Erotik um jede Frau und jeden Mann, die ihr über den Weg läuft - falls sie nicht gerade einen irren Temperaments- und Wutausbruch hat, weil wieder mal nichts so läuft in Sachen Dr. Faust, wie sie sich das gerade vorstellt. Dabei behält sie das Ziel fest im Blick.

Dieser Faust ist im Grunde eine arme Socke

Schließlich soll Faust einst im Jenseits ihr zu Diensten sein, so wie sie ihm auf Erden dient. Doch dieser Faust hat gewaltige Ansprüche, will er sich doch endlich voll den irdischen Genüssen, vorzugsweise orgiastischen Ausschweifungen, hingeben. Schließlich ist er mit seiner Sinnsuche ("Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn") bisher kein Stück weitergekommen.

Ansgar Wilk macht aus dem ewig Suchenden einen leicht hyperventilierenden, ältlichen Möchtegern-Hedonisten, einen kleinen Gernegroß, der nicht wirklich aus seiner Haut raus kann oder will. Nicht einmal als er sich unsterblich in Gretchen verliebt, hat der angeblich so kluge Mann die Spur einer Idee, wie er sie gewinnen könnte. Mephisto muss her, soll sich schmalzige Werbebotschaften ausdenken, teuren Schmuck besorgen und mal eben mit der geldigen Frau Marthe hinter den Büschen verschwinden. Dieser Faust ist im Grunde eine arme Socke, weil er sich lebenslang in seinem Elfenbeinturm verschanzt hat - und sich in der wirklichen Welt nicht zurechtfindet. Nerds und Game-Junkies lassen grüßen.

Als Faust macht Ansgar Wilk aus dem ewig Suchenden einen leicht hyperventilierenden Möchtegern-Hedonisten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Verena Konitschke bringt als Frau Marthe und als punkige Hexe im schrillen Look buchstäblich Farbe auf die Bühne. Sie spielt Frau Marthe als Menschen mit zwei Gesichtern: hier die angeblich hilfsbereite Nachbarin, da die geldgierige Ratschkathl, die das etwas naive Gretchen ausnutzt. Das Ganze garniert mit feinem Getue und dem, was die Witwe ("Ihr Mann ist tot und lässt sie grüßen") unter Verführungskunst versteht. Kurz gesagt: Alles mehr Schein als Sein. Das Ganze toppt Konitschke noch als Hexe, die mit akrobatischem Geschick und viel Witz den wieder mal überforderten Faust zum Liebesspiel mehr zwingen als überzeugen will.

Ist es Liebe oder doch nur ein Ausnutzen der Gunst der Stunde?

Gretchen ist ein zartes und doch wenig berechnendes unbedarftes Mädchen. Sie wird gespielt von der klugen Sarah Giebel, die noch kurz zuvor als Schüler mit niedlichem Schmollmund und gekonntem Augenaufschlag jedes Wort ihres verehrten Mentors Faust aufgesogen hatte. Nun ist die vielseitige Schauspielerin eine in kleinen Verhältnissen lebende, wohlbehütete Tochter, die es gar nicht fassen kann, dass sich ein feiner Herr für sie interessiert. Ist es Liebe oder doch nur ein Ausnutzen der Gunst der Stunde, der Chance auf den sozialen Aufstieg, warum Gretchen nicht lange zögert?

Die Frage bleibt unbeantwortet. Dass sie ihr uneheliches Kind tötet, nun im Gefängnis auf den Tod wartet und allen mehr oder weniger halbherzigen Rettungsversuchen Fausts widersteht, ist große Unterhaltung. Insgesamt ist das Stück eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Lebensfragen, verpackt in eine dichte, leichtfüßige Inszenierung mit überragenden darstellerischen Leistungen.

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