Süddeutsche Zeitung

Historie:Rotes Gold

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Aus dem Dachauer Lehmboden werden schon seit Jahrhunderten Ziegel gewonnen. Die Geschichte des Unternehmens Hörl und Hartmann reicht bis 1896 zurück. Heute ist es ein moderner Familienbetrieb - mit einem Windrad, das fast den gesamten Energiebedarf abdeckt

Von Viktoria Großmann, Dachau

Zwei Walzen zermanschen den graubraunen Lehm zu Brocken. Über Förderbänder werden sie weiter transportiert, fallen als Bröckchen irgendwann in hallenhohe Becken, lagern ein bisschen, werden wieder eingesammelt und weiter gefahren, dabei werden Sägespäne oder Granit untergemischt. Der graue Brei wird auf dem Band von der einen Halle in die nächste überführt, geht durch eine Presse, kommt als geformter Tonstrang wieder heraus, wird geschnitten - und sieht nun aus wie ein Ziegelstein. Allerdings immer noch grau. Seine typische rote Farbe bekommt der Ziegel beim Brennen.

Bis hierhin ist in den Produktionshallen der Ziegelei Hörl und Hartmann in Pellheim kaum ein Mensch zu sehen. Die Maschinen erledigen das Zerkleinern des Rohstoffs, das Transportieren, Ablegen, Hinzufügen von Material, Vermischen, in Form Pressen, Schneiden. Erst am Schneidegerät stehen zwei Arbeiter und überwachen den Ablauf. Der Rohstoff und das Brennen, das ist vielleicht das einzige, was sich in Jahrhunderten der Ziegelherstellung nicht verändert hat.

Die vierte Generation, die Brüder Michael und Matthias Hörl, haben viel in den Familienbetrieb investiert. Ihr Leben gehört dem Ziegelwerk, das Dachau seit Jahrhunderten prägt und einem Baustoff, der schon ein paar Krisen überstanden hat. Der gegen Beton, Stahl und Glas und immer öfter gegen Holz bestehen muss. Nicht nur ihren Betrieb haben die Brüder modernisiert, sie versuchen auch den Mauersteinen ein neues Image zu geben.

Ziegel seien "ökologisch und nachhaltig", sagt Matthias Hörl. Sie sollen gut dämmen und lange halten. Der Rohstoff wird gleich neben der Ziegelei aus der Erde geholt. Die Wege der Produktion und Weiterverarbeitung sind kurz. Die meisten Produkte werden in einem Umkreis von 50 Kilometern verbaut, erklärt Matthias Hörl. Eine Reise nach Südtirol sei der weiteste Weg, den die Ziegel machen müssen. Alles darüberhinaus sei zu aufwendig und zu teuer. Sein Betrieb liefere mittlerweile das Material für einen gesamten Rohbau "aus einer Hand". In der Werkshalle zeigt Michael Hörl auf eine ganze Reihe verschiedener Pressformen: Außenziegel, Innenziegel, Deckenrandelemente, Fensterstürze, Rollladenkästen - für alles gibt es die passende Form. Zudem liefert die Ziegelei Steine in unterschiedlichen Höhen, sodass die Ware passgenau auf die gewünschte Raumhöhe bestellt werden kann. Auf der Baustelle muss nicht geschnitten werden, es wird kein Material verschwendet. Schon der Weg der ersten Dachauer Ziegel war kurz - und sehr umweltfreundlich. Aus 30 Millionen dieser Steine wurde das Schloss Schleißheim erbaut. Sein Bauherr Kurfürst Max Emanuel ließ 1691 die erste Ziegelei in Udlding errichten. Er wusste um die Qualität des Dachauer Torfbodens, aus dem der Rohstoff für die Ziegel gewonnen wird, jener so wertvolle Lehm oder Ton. Über den Schleißheimer Kanal wurden die Ziegel zur Schlossbaugrube transportiert. Ganz so lange ist Hörl und Hartmann noch nicht im Geschäft. Immerhin bis 1896 reicht die Geschichte des Betriebs zurück. Damals kaufte Peter Hartmann jenen Sedlhof in Udlding, auf dem schon die 30 Millionen Ziegel für den Kurfürsten angefertigt worden waren.

Die Eltern der heutigen Chefs brachten den Betrieb nach Pellheim. In den Siebzigern, erzählt Matthias Hörl, gab es noch deutlich weniger Maschinen und Förderbänder. Die Ziegel gingen durch viele Hände. Nachdem der Betrieb in Udlding nicht mehr wachsen konnte, wurde Pellheim zum Hauptstandort. 1994 eröffnete dort ein zweites Werk. 1999 wuchs die Firma aus Dachau hinaus: Hörl und Hartmann übernahm von einer insolventen Unternehmensgruppe das Werk Gersthofen bei Augsburg. Im vergangenen Jahr expandierte die Firma erneut. Seit 2017 gehört auch das Ziegelwerk Klosterbeuren dazu. Damit hat sich die Unternehmensgröße verdoppelt. Etwa 200 Mitarbeiter in fünf Werken an drei Standorten hat Hörl und Hartmann nun und macht rund 50 Millionen Euro Umsatz jährlich.

"Wir sind ein Familienbetrieb", betont Matthias Hörl. Der 32-Jährige hat den kaufmännischen Bereich übernommen, sein acht Jahre älterer Bruder Michael kümmert sich ums Technische. "Es gibt für uns keine Notwendigkeit der Gewinnmaximierung. Unsere Erträge werden komplett reinvestiert." Seitdem Matthias Hörl vor fünf Jahren in die Geschäftsführung eingestiegen ist, hat die Firma große Summen in die Anlagentechnik investiert. Die Ziegelei ist heute nicht nur ein moderner, sondern auch umweltfreundlicher Betrieb - der nicht stinkt. Was die Prittlbacher freut, die lange gegen den Schwefelgeruch protestiert hatten, der je nach Windrichtung bis in ihre Häuser waberte.

Neuen Ärger mit anderen Nachbarn bekam die Ziegelei dafür wegen ihres Windrads. Es ist das Herzensprojekt des jüngeren Hörl. Begleitet von heftigen Protesten und auch Gerichtsverhandlungen wurde es schließlich 2016 als betriebliche Nebenanlage aufgestellt. Die Zahlen bestätigen Hörl in seiner Hartnäckigkeit: Es deckte 2017 fast den gesamten Energiebedarf der Ziegelei ab. Matthias Hörl ist sichtlich stolz auf das Ergebnis. Die restlichen nötigen Kilowattstunden lieferte die firmeneigene Solaranlage. Das lässt selbst einen CSU-Politiker aufhorchen. Wirtschaftsstaatssekretär Franz Josef Pschierer zeigt sich auf Besuch in Pellheim angetan von den Mittelständlern. Ob es das Windrad auch nach der 10-H-Regelung geben würde, will er wissen. Nein, würde es nicht. Die nächste Wohnbebauung liegt 900 Meter entfernt. "So ist es richtig", sagt Pschierer, "ein Windrad, das da Energie erzeugt, wo sie gebraucht wird." Windräder, deren Leistung umständlich in weit entfernte Netze eingespeist werden müssten, seien nur "sündhaft teuer" und verspargelten die Landschaft.

Michael Hörl läuft über die Öfen. Er erklärt, wie eine Charge Ziegelsteine von Kammer zu Kammer weitergeschoben wird. Bis zu 40 Stunden bei Temperaturen bis 1000 Grad Celsius werden die Mauersteine gebrannt, bis am Ende jede Feuchtigkeit aus dem Material gewichen ist. Dann werden die Steine mit dem komplizierten Lochmuster weitertransportiert, geschliffen und mit Dämmmaterialien befüllt. Mit Steinwolle etwa oder einer wasserdichten Holzfaser. Auffällig ist, wie sorgsam mit jedem einzelnen Stein umgegangen wird. Solche mit abgebrochenen Ecken und Kanten werden aussortiert. Auf alten Schwarz-Weiß-Fotos zeigt Matthias Hörl, wie die Steine noch um die vorletzte Jahrhundertwende transportiert wurden: auf Kippern und Karren aufgehäuft als Schüttgut. Heute müssen die Steine glatt und gleich sein auf den Millimeter genau.

Alles scheint besser geworden zu sein: die Arbeitsbedingungen, die Umweltbelastung und das Ergebnis. Nach schweißtreibender Drecksarbeit sieht es in den Werkshallen nicht mehr aus. Es ist nicht einmal besonders laut. Man kann den Werksleiter gut hören, als der die beiden Brüder lobt. "Wir sind vor den Augen unserer Mitarbeiter aufgewachsen", sagt Matthias Hörl. Ein guter Teil der Angestellten lebt in den nahen Betriebswohnungen. Durchschnittlich 16 Jahre Betriebszugehörigkeit zählt die Firma. Sie wollen eine Familie sein und einen irgendwie altmodischen, aber doch nie aus der Mode gekommenen Baustoff weiter produzieren. Wenn es nach Matthias und Michael Hörl geht so lange, wie der Dachauer Torfboden noch Lehm hat.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2018
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