Hilfsprogramm:Gewalt als Trauma

Die ehrenamtlichen Helfer des Weißen Rings betreuen Menschen, die Opfer von Kriminalität geworden sind. So wie beim Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum. Die Betroffenen leiden oft lange unter den Folgen

Von Petra Schafflik, Dachau

Der Schaden scheint überschaubar zu sein: Die Terrassentür wurde aufgehebelt, Bargeld und ein Laptop geklaut. Also aufräumen, Handwerker bestellen, die Versicherung zahlt - alles erledigt. Nicht immer. "Die psychischen Folgen eines Wohnungseinbruchs werden oft unterschätzt", erklärt Wolfgang Bössenroth, Leiter des Opferhilfeverbands Weißer Ring im Landkreis. Erst nach einiger Zeit, oft Wochen oder gar Monate nach der Straftat, spüren Betroffene die Auswirkungen. "Sie schlafen unruhig, fühlen sich nicht mehr wohl, mögen gar nicht mehr heim." Das eigene Zuhause, das geschützter Rückzugsort sein sollte, fühlt sich für manche Einbruchsopfer unsicher an. Das Team des Weißen Rings unterstützt Betroffene, vermittelt Therapeuten und hilft im Extremfall auch beim Umzug in eine andere Wohnung. Doch nicht nur nach einem Einbruch steht der Weiße Ring als Ansprechpartner parat. Vielmehr unterstützen die neun ehrenamtlichen Helfer alle Opfer von Kriminalität. Ein wichtiges Angebot, "wir betreuen 50 bis 60 Fälle im Jahr", erklärt Bössenroth, der zum heutigen Tag der Kriminalitätsopfer auf die wichtige Arbeit des Weißen Rings aufmerksam machen will.

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Verprügelt, vergewaltigt, unterdrückt: Viele Frauen werden Opfer von Sexualdelikten. Die ehrenamtlichen Helfer des Weißen Rings begleiten Betroffene.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Auch der Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum vom Juli 2016 hat das ehrenamtliche Team beschäftigt und beschäftigt es noch heute. Denn auch Landkreisbürger haben zum Beispiel als Zeugen am Tatort aus allernächster Nähe Menschen sterben sehen. Ein Betroffener leidet extrem unter diesem Trauma, kann immer noch nicht seinem Job nachgehen. Der Weiße Ring begleitet deshalb zu Ämtern und sogar vors Sozialgericht. Vielfach wenden sich auch Opfer von häuslicher Gewalt, von Stalking oder Sexualdelikten an den Opferhilfeverband. Gerade in diesem Bereich haben viele Geschädigte noch mit dem Unverständnis ihres persönlichen Umfelds zu rechnen. "Sie werden teilweise angefeindet, wenn sie die Tat anzeigen." Dann ist der Weiße Ring gefragt, die Opfer zu schützen und zu stärken. Gelegentlich hilft schon ein einziges Gespräch. Die Betroffenen seien unglaublich erleichtert, wenn ihnen jemand geduldig zuhört und ihren Schilderungen glaubt, erklärt Bössenroth. Oft ist eine längere Begleitung notwendig, vor allem bei Stalking-Opern, wo sich die Belastung durch das Nachstellen vielfach über die Zeit steigert und immer unerträglicher wird. "Die Realität ist hier oft viel schlimmer als jeder Fernsehkrimi, manche Fälle erscheinen im ersten Moment unglaublich." Gerade weil der Weiße Ring die Folgen von Stalking aus der Beratung genau kennt, begrüßen die Helfer das neue Stalking-Gesetz. "Der Weiße Ring setzt sich schon lange dafür ein, dass die Rechte von Opfern psychischer Gewalt gestärkt werden. Da hat unser Verband aktive Lobby-Arbeit geleistet", erklärt die stellvertretende Kreisvorsitzende Susanne Seßler. Denn bislang hing die Stalking-Strafbarkeit von der bewirkten Beeinträchtigung des Opfers ab. Wenn Betroffene sich aber von Drohungen, Nachstellungen und Telefonterror nicht so massiv einschüchtern ließen, dass sie gleich Wohnung und Arbeitsplatz wechselten, sei nichts passiert. "Dann ist es wohl nicht so schlimm", sei die Einschätzung der Gerichte gewesen. Ein unhaltbarer Zustand, findet Seßler. Wer psychisch stabiler ist oder nicht umziehen oder sich einen anderen Job suchen kann, wurde allein gelassen. Das hat sich nun geändert. Die Strafbarkeit hängt nicht mehr von der Reaktion des Opfers ab. "Damit ist diese Straftat für die Gerichte leichter verfolgbar." Eine wichtige Verbesserung, denn Stalking ist kein seltenes Phänomen. Zwölf Prozent aller 14 100 Beratungsgespräche, die am Beratungstelefon des Weißen Rings geführt wurden, beschäftigten sich 2016 mit Fällen von Nachstellung.

Hilfsprogramm: Wolfgang Bössenroth und sein Team betreuen jährlich 50 bis 60 Fälle im Landkreis Dachau.

Wolfgang Bössenroth und sein Team betreuen jährlich 50 bis 60 Fälle im Landkreis Dachau.

(Foto: Weisser Ring)

Der Weiße Ring steht als Hilfeorganisation seit 40 Jahren an der Seite der Opfer von Straftaten. Zum Tag der Kriminalitätsopfer fordert der Verband mehr Einfühlungsvermögen für die Opfer von all denjenigen Berufsgruppen, die im Bereich Kriminalitätsbekämpfung tätig sind. "Ob Anwälte, Richter oder Behörden-Mitarbeiter: Viele gehen zu wenig auf die Anliegen der Opfer ein, das muss sich ändern", betont Bössenroth. Denn nicht nur das Verbrechen selbst, auch mangelnde Sensibilität aller im Strafverfahren Beteiligter löst zusätzliche Belastungen aus. Bei allen Schulungen steht deshalb "die Vermittlung der Opferperspektive an oberster Stelle".

Zum Tag der Kriminalitätsopfer macht der Weiße Ring Dachau am Mittwoch, 22. März, mit einem Infostand im REWE-Center Dachau-Ost auf seine Hilfsangebote aufmerksam. Gleichzeitig wirbt der Opferhilfeverband um weitere Mitstreiter im Team. "Wir freuen uns über jeden, der ein Ehrenamt übernehmen, sich in die Gesellschaft einbringen will", so Bössenroth. Informationen gibt es auch unter Telefon 08131 / 90 87 91 oder 0151 / 5 51 6 46 69, wboessenroth@me.com

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