Hilfe für bedrohte Frauen:Distel feiert Jubiläum

Zehn Jahre gibt es die Dachauer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt nun schon. Seither bekommen Frauen schnell Hilfe, ihre gewalttätigen Partner haben nun aber auch mehr Möglichkeiten der Belästigung

Von Petra Schafflik, Dachau

Tag für Tag passiert es, überall im Landkreis: Frauen werden geschlagen, vergewaltigt, terrorisiert und unterdrückt. Der Partner wird zum Aggressor, das schützende Lebensumfeld der eigenen vier Wände zur Gefahrenzone. Zwar wurden in den vergangenen Jahren Gesetze geändert und Beratungsangebote ausgebaut. Aber noch immer wird jede vierte Frau irgendwann in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. "Es ist eine Schande, dass wir überhaupt noch darüber reden müssen", sagt die Leiterin der Frauen- und Familienberatungsstelle im Landratsamt Susanne Haak-Georgius. Als solche koordiniert sie auch die Dachauer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt (Distel), die vor zehn Jahren gegründet wurde.

Damit erreicht man betroffene Frauen schneller und kann ihnen schneller helfen. Das Konzept funktioniert, aber die Arbeit wird nicht weniger. Im Gegenteil: "Die Fälle werden immer gravierender", sagt Haak-Georgius. Zur nackten Gewalt kommen oft auch Bedrohungen, Psychoterror und Stalking über elektronische Medien. Als Feierstunde mochte Haak-Georgius das Distel-Jubiläum deshalb nicht bezeichnen. Gewürdigt wurde die erfolgreiche Arbeit jetzt aber trotzdem mit Ehrengästen und einem besonderen Programm beim "Runden Tisch gegen häusliche Gewalt".

Luftballonaktion

Symbolisch für jede Frau im Landkreis, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist, stehen die roten Luftballons. Susanne Haak-Gregorius, Katharina Westermair und Marlies Schober ließen sie bei einer Aktion auf dem Sparkassenplatz im Jahr 2016 steigen.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Noch vor nicht allzu langer Zeit konnte die eigene Wohnung für Frauen zum Gefängnis werden, erinnerte Thomas Rauscher, Leiter der Polizeiinspektion Dachau. "Die Unverletzlichkeit der Wohnung stand als Grundrecht an oberster Stelle, häusliche Gewalt galt lange als Privatsache". Doch das Gewaltschutzgesetz habe 2002 ein deutliches Zeichen gesetzt. Aber Recht und Gesetz können nur die Basis bilden, effektive Hilfe brauche immer auch "menschliche Unterstützung, Beratung und Begleitung", so Rauscher.

Genau da setzte dann vor zehn Jahren die Dachauer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt an. Mit einem damals neuartigen Konzept: Mussten zuvor Opfer selbst aktiv nach Hilfe suchen, werden die Betroffenen mit ihrem Einverständnis nun nach einem Polizeieinsatz von Distel-Mitarbeiterinnen direkt angesprochen. Dieser proaktive Ansatz sei ein wichtiger Schritt für eine erfolgreiche Beratung, sagte der Dachauer Polizeichef. Und eine Hilfe, die leider nach wie vor dringend benötigt wird. Allein 273 Mal musste die Polizei 2016 ausrücken zu gewalttätigen Streitereien im häuslichen Umfeld, 224 strafrechtliche Ermittlungen wurden eingeleitet berichtete Rauscher. Zur Beratungsstelle Distel kommt die Hälfte der Ratsuchenden dann nach so einem Einsatz über Vermittlung der Polizei. Aber genauso viele Frauen suchen aus Eigeninitiative nach Unterstützung bei Distel. Dort erlebt man die Lage der Frauen als zunehmend schwieriger. "Nach wie vor gibt es die klassischen Fälle, aber viele Konflikte sind äußerst komplex", erklärt Leiterin Haak-Georgius.

Frauenberatung

Susanne Haak-Georgius koordiniert die Interventionsstelle Distel.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Ein enorm schwieriges Konfliktfeld entsteht, wenn eine Frau vor ihrem gewalttätige Partner Schutz braucht, der Täter aber als Vater ein Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Kind hat. Bewährte Schutzmaßnahmen, wie ein Kontaktverbot, ließen sich da kaum umsetzen. Auch wenn der Münchner Familienrichter Jürgen Schmid im Fachvortrag explizit erklärte, "erlebte Gewalt ist Kindeswohlgefährdung", bezeichnet Haak-Georgius dieses Spannungsfeld in der Praxis als schwierige Gratwanderung.

Auch die Formen der häuslichen Gewalt wandeln sich: Zu körperlichen Übergriffen und Psychoterror im persönlichen Umgang kommen vielfältige Bedrohungen und Machtdemonstrationen über elektronische Kommunikationsmedien. Sich abzuschotten vor dem Peiniger, werde für betroffene Frauen immer schwieriger. Früher konnten Stalking-Opfer meist am Arbeitsplatz durchschnaufen, "auch ein Telefon ließ sich nachts einfach ausstöpseln." Heute würden technisch versierte Stalker ihre Opfer per heimlich installierter Software permanent überwachen. Die Frauen fühlen sich nie sicher, weil ihr Verfolger immer im Detail weiß, wo sie sind und was sie gerade tun. "Wie soll man das aushalten?"

Die Beratungsstelle Distel unterstützt, auch mit einem gezielten Angebot für Stalking-Opfer. Ein Informationsflyer zu dem immer bedeutender werdenden Problem wurde soeben aufgelegt. Vor allem aber bietet Distel persönliche Beratung und Begleitung, die zunehmend gebraucht wird. Hilfreich ist, dass die Personalkapazitäten dem Bedarf folgend seit der Gründung vor zehn Jahren immer wieder aufgestockt wurden, betont Haak-Georgius. "Wir sind gut aufgestellt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: