Süddeutsche Zeitung

Heimatforschung:Wahre Volkskunst

Helmut Größ dokumentiert in seinem Schaudepot in Vierkirchen eine kulturelle Besonderheit des Landkreises Dachau: Religiös motivierte Haustafeln auf Solnhofener Platten im 19. Jahrhundert, mit denen bäuerliche Anwesen geschmückt wurden

Von Sonja Siegmund, Vierkirchen

"Manch einem, der besinnlich durch die Höfe wandert, mögen die kleinen Bildwerke in Solnhofener Kalkstein aufgefallen sein ob ihrer in Form und Fassung so eigentümlichen Art, die sich wie von selbst einfügen in die einfache, fast karge Zweckmäßigkeit des bäuerlichen Hauses", heißt es im Jahrbuch des Bayerischen Heimatbundes von 1938. Die Rede ist von Dachauer Haustafeln, mit denen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die Eingänge von Bauernhäusern geschmückt wurden. Diese bäuerliche Volkskunst ist ausschließlich im Landkreis Dachau und der näheren Umgebung zu finden. In der Vereins- und Kulturhalle Pasenbach, die auch als Schaudepot für die Motivwagen des traditionsreichen Leonhardiritts dient, wird noch bis zum Wochenende eine Auswahl an Dachauer Haustafeln gezeigt.

Diese Ausstellung ist insbesondere dem engagierten Heimatforscher Helmut Größ zu verdanken, der mehr als ein halbes Jahr recherchiert hat, um herauszufinden, wie viele der rund 400 Haustafeln noch existieren. Im Laufe der Recherchen sei sein Interesse noch mehr geweckt worden, so dass er selbst zum Sammler wurde, erzählt Größ. Seine Nachforschungen basieren vielfach auf den Schriften von Adolf Stois (1897 bis 1954), Konservator und Mineraloge an der TU München. Stois hat in den 1930er Jahren durch viele Wanderfahrten mit dem Fahrrad im Dachauer Hinterland mehr als dreihundert dieser Bildwerke mit Hausnamen, Bildmotiv und Inschrift ermittelt und dokumentiert.

In der Ausstellung im Schaudepot Pasenbach sind 20 originale Haustafeln zu sehen aus der Sammlung von Größ sowie Leihgaben von Robert Gasteiger und anderen Sammlern. Zudem sind etliche Fotoplakate ausgestellt von alten Häusern im Landkreis und den mit Haustafeln verzierten Eingängen sowie entsprechende Textbeiträge.

Auf den Tafeln aus Solnhofener Kalkstein sind vor allem religiöse Motive dargestellt, die als Flachrelief in die Steinplatten gemeißelt oder in den Stein geritzt und bemalt sind. Die Maße schwanken zwischen 30 mal 30 Zentimeter bis 50 mal 50 Zentimeter - je nach Größe der Eingangstüre oder dem Wunsch der damaligen Kunden.

Im Dachauer Raum dürften Solnhofener Platten Anfang 1800 zunächst nur als Flurbelag genutzt worden sein. Ihre Verwendung lässt sich indes bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen. Als Herstellungsort der Haustafeln machte Adolf Stois Walkertshofen ausfindig, Heimatort der Familie Strasser. Insbesondere Lorenz Strasser (1795 bis 1866) fertigte in Heimarbeit Haustafeln, die seine Tochter Maria Anna bemalte. Um 1850 ist im Landkreis eine rege Bautätigkeit überliefert, an der auch Strasser beteiligt war. Mit den Agrarreformen Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich die Einstellung der Bauern zum Eigentum. Die bisher schmucklosen Bauten wurden mit Bildwerken verziert, wie den Mörtelplastiken von Bartholomäus Ostermeier oder eben den Haustafeln des Lorenz Strasser.

Bei dessen Reliefbildern kehren einige Darstellungen teils in abgewandelter Form immer wieder. Die meisten Bilder wurden mit leuchtenden Farben ausgemalt, die Schriftzeichen sind in Schwarz gehalten. Ein häufiges Motiv sind die Golgathagruppe mit Fürbitten, verziert mit Blattwerk, Säulen, Wolken und fliegenden Engeln. Zudem wurden der Name des Hausbesitzers, dessen Handwerksgeräte oder Zunftsymbole und das Baujahr abgebildet.

Auch die Heilige Familie oder die Bauernheiligen Leonhart und Florian wurden dargestellt, ebenso wie Gnadenbilder der umliegenden Wallfahrtsorte. Wenn sich an beiden Seiten des Hauseingangs eine Tafel befindet, zeige eine davon nur Inschriften, Jahreszahl, Hausnummer und Name des Erbauers in Verbindung mit einem frommen Spruch, so Größ. Auf der zweiten Tafel werde zumeist ein Reliefbild mit religiösen Motiven dargestellt. Den Anfang von Strassers Kunstwerken bildet vermutlich die Gedenktafel für dessen verstorbene Eltern, um 1835 gefertigt.

Zu fast allen ausgestellten Originalen weiß der gebürtige Vierkirchener eine Geschichte zu erzählen. So seien Haustafeln teils bei Abbrucharbeiten entdeckt worden oder zufällig auf alten Dachböden, Speichern oder in Kellern. Nach den schönsten Ausstellungsstücken befragt, verweist Größ auf eine fein gearbeitete, unbemalte Haustafel mit besonderer Detailverliebtheit von einem Vierkirchener Gehöft. Interessant sei auch die Haustafel aus einem Abbruchhaus in Walkertshofen, mit der das Sattlerhandwerk und der Name Matthias Nefzger verewigt sind. Für die Arbeiten von Lorenz Strasser seien auch Schreibfehler typisch, die bei etlichen Exponaten ins Auge fallen, beispielsweise die Inschrift "Es ist volbracht!" Nach Schätzungen von Größ gibt es noch etwa 200 Haustafeln im Landkreis, teilweise direkt an den Eingangstüren oder als dekoratives Sammlerstück im Hausflur eingemauert. Im nächsten Jahr plant Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter in Zusammenarbeit mit Helmut Größ eine Veröffentlichung zu den Dachauer Haustafeln. Aber warum dieser Brauch nur im Landkreis Dachau zu finden ist und in einigen Beispielen in Aichach und Pfaffenhofen, können die beiden nicht erklären. Insofern bleibt dieses Brauchtum auch ein Rätsel der Heimatgeschichte.

Besichtigungen im Schaudepot "Am Krautgarten" in Vierkirchen, Anmeldung: 08139/16 94.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2017
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