Süddeutsche Zeitung

Ehemaliger SS-Schießplatz:Vernichtet, verscharrt, verleumdet

Teilnehmer einer Gedenkfeier in Hebertshausen erinnern an die Ermordung von 4000 Sowjetsoldaten.

Von Carla Behnke, Hebertshausen

Zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion wurde am Dienstag an der Gedenkstätte "Ehemaliger SS-Schießplatz" in Hebertshausen den von SS-Männern ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen gedacht. Vor der Gedenkveranstaltung um 17 Uhr hatten am Vormittag bereits das ukrainische, das belarussische, kasachische und russische Generalkonsulat je einen Kranz niedergelegt. Ulrike Mascher, Vorsitzende des Fördervereins für Internationale Jugendbewegung und Gedenkstättenarbeit in Dachau, eröffnete die Gedenkfeier. Sie begrüßte Vertreter der protestantischen, katholischen und orthodoxen Kirche, den Vertreter des Bezirks Oberbayern, Kommunalpolitiker aus Dachau und Hebertshausen und den Vertreter der Lagergemeinschaft.

Mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene waren in Hebertshausen gegen geltendes Völkerrecht zwischen September 1941 und Juni 1942 ermordet worden. Sie wurden als "ideologisch gefährlich" angesehen und wurden in Kriegsgefangenenlagern im gesamten Reichsgebiet ausgesondert, so Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte. "Die Opfer waren jung und sie waren mehrheitlich einfache Soldaten." Dieser Vernichtungskrieg, der sich in den Lagern fortsetzte, "gehört nach wie vor zu den weißen Flecken der deutschen Erinnerungskultur". In ihrem Grußwort sprach sie auch das digitale Gedenken an. 15 Angehörige hingerichteter Kriegsgefangener haben zu diesem Anlass Videobotschaften verfasst, die man auf der Website der Gedenkstätte ansehen kann. Sie sind unter der Rubrik "Aktuelles" zu finden.

"Wirkliches Gedenken braucht Namen und Gesichter"

Der Historiker Reinhard Otto ging in seiner Rede auf die Rekonstruktion der Ereignisse und der Namen der Opfer ein. Problem dabei sei, dass dies nicht umfassend dokumentiert sei. Um einen Verstoß gegen das Völkerrecht vermeiden, hatte die Wehrmacht die Gefangenen an die Gestapo ausgeliefert, die die Gefangenen anschließend hinrichtete. Doch auch das war ein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht, da das Militär für Kriegsgefangene verantwortlich war, von Beginn bis Ende der Gefangenschaft. In der gerichtlichen Aufarbeitung wurde dies nicht akzeptiert. Trotzdem wussten viele Angehörige lange Zeit nicht, was mit ihren Verwandten geschehen war, manche wissen es bis heute nicht. Dass sie nach Kriegsende nicht zurückgekehrt waren, setzte sie sogar Verdächtigungen aus. Auf den Personalkarten, die die Lagerleitung für sie angelegt hatte, stand ein Stempel mit dicker Aufschrift "An die Gestapo entlassen". Die sowjetische Verwaltung sah sie deshalb als Kollaborateure an. Erst als Historiker wie Otto die Arbeit aufnahmen, die Namen der Opfer den Erschießungen in Hebertshausen zuzuordnen, erfuhren die Angehörige, was wirklich passiert war. Entsprechende Namenslisten wurden in Zeitungen veröffentlicht, um Verwandte zu finden und mehr über die Biografien der Opfer zu erfahren. Denn, so Otto, "wirkliches Gedenken braucht nicht nur Orte, sondern auch Namen und Gesichter, die man damit in Verbindung bringt". Die Namen sind auf langen Tafeln vor dem ehemaligen Schießplatz aufgelistet, viele der Fotos, die Verwandte bereitgestellt haben, wurden ebenfalls ausgestellt.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einem Trompetenstück gespielt von Frank Uttenreuther, anschließend wurden roten Nelken niedergelegt. Das Lied "Heiliger Krieg" entstand unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und gilt als eines der populärsten sowjetischen Kriegslieder. Es wurde bei einem Konzert des Lagerorchesters von einem Kriegsgefangenen als Zeichen des Widerstands gespielt.

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SZ vom 24.06.2021
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