Rund 900 Menschen haben am Samstagabend in Hebertshausen eine „Lichterkette für Toleranz, Frieden und Demokratie“ gebildet: Sie reichte vom Rathaus bis zum Mahnmal auf dem Gelände des ehemaligen SS-Schießplatzes, auf dem die SS 1941/42 mehr als 4000 russische Kriegsgefangene ermordet hatte.
Vor der Lichterkette versammelten sich etwa 500 Menschen in der Sporthalle zu einem eindrucksvollen, fröhlich-nachdenklichen „Fest der Demokratie“, organisiert von der Gemeinde Hebertshausen und dem Demokratiebündnis Dachauer Land. Was dieses Fest so besonders machte: Statt wolkiger Sonntagsreden gab es handfeste Zeugnisse gelebter Demokratie und Teilhabe – mit großer Ernsthaftigkeit und viel Humor präsentiert von zwölfjährigen Schülerinnen bis zur Zeitzeugin, von der Inklusionsbeauftragten Tanja Patti und der Crew des Inklusionscafés „Stimmt so“ bis zu Flüchtlingshelfer Peter Barth, der noch eine wichtige Rolle spielen sollte.
Vom Schüler bis zu „Omas gegen Rechts“
Mit dabei: eine lautstarke Trommlergruppe sowie Hans Well und zwei seiner „Wellbappn“ mit gewohnt scharfen Tönen; im Publikum: Vertraute und neue Gesichter, viele Kinder und junge Menschen, die „Omas gegen Rechts“ mit ihren weißen Regenschirmen – die sie glücklicherweise bei der Lichterkette nicht aufspannen mussten, selbstredend zahlreiche Ehrenamtliche, etwa vom Runden Tisch gegen Rassismus oder der Seebrücke Dachau, und nicht zuletzt: die beiden stellvertretenden Landrätinnen Marianne Klaffki (SPD) und Marese Hoffmann (Bündnis 90/Grüne) sowie der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath;
Bürgermeister Richard Reischl, Demokratiebündnis-Initiator Hubertus Schulz und Publizist Norbert Göttler riefen dazu auf, „Zeichen des Zusammenhalts mit allen Menschen“ zu setzen, nannten die Zurückdrängung von „Inklusion und Gleichberechtigung“ als „beste Werbung für den Populismus“. „Wir wollen wachrütteln“, sagte Reischl und, so Göttler, „Demokratie positiv feiern“. Fürs musikalische Aufrütteln sorgten die „Münchner Ruhestörung“ mit ihrer mitreißenden Trommelshow und die A Cappella Company Dachau mit ihren kraftvollen Stimmen.
95-jährige Zeitzeugin aus Prittlbach
Innerlich durchgerüttelt wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Sporthalle von den Erinnerungen der 95 Jahre alten Irmgard Engelhardt. Die gebürtige Münchnerin lebt in Prittlbach. Als Kind hat sie den ersten Luftangriff auf München und den NS-Terror mit all seinen Schrecken, inklusive der Denunziation von Nachbarn, miterlebt. „Demokratie ist unser wichtigstes Gut“, sagte sie mit fester Stimme. „So etwas wie das Hitler-Regime darf nimmer mehr passieren.“
Wort- und stimmgewaltig waren auch Hans Well und die beiden „Wellbappn“, Sarah und Jonas. Ihre höchst eigenwillige, aber umso stimmigere Top-Aktualisierung der „Europa-Hymne“ – Beethovens Ode an die Freude – war eine brutale Zustandsbeschreibung mit Passagen wie „Hoch die Zäune - Schengen nieder“ oder „alle Menschen werden Brüder – in Sammellagern in der Wüste“. Zugleich war sie in der bekannten Well’schen Bissigkeit und Hinterfotzigkeit ein umjubeltes Bekenntnis zu Europa mit all seinen Schwächen und den viel zu oft im Abseits stehenden Stärken. Statt Honorar gab’s übrigens einen Korb mit Essbarem aus Hebertshausen und einen Seitenhieb von Bürgermeister Reischl auf den amerikanischen Präsidenten: „Wir haben zwei Sachen, die der Trump net hat: „Demokratie und Eier.“






Wie stark Menschen trotz – und manchmal auch wegen – vermeintlicher Schwächen sein können – und im Fall von Menschen mit Einschränkungen auch noch viel zu oft sein müssen, weiß die Hebertshausener Inklusionsbeauftragte Tanja Patti nur zu gut: „Inklusion ist keine Utopie oder ein Nice to have, Inklusion ist ein Menschenrecht.“ Die junge Amélie setzte noch eins drauf: „Ich wünsche mir, dass mich alle Menschen so akzeptieren, wie ich bin. Ja, ich stottere und ja, ich habe eine Behinderung“, sagt sie und macht zugleich Werbung für eine Hebertshauser Location, die man unbedingt kennen sollte: das Inklusionscafé „Stimmt so“. Es hat am Samstag/Sonntag 5./6. April wieder geöffnet.
Möglicherweise gehören dann auch Lilou, Lilo und Philomena zu den Besucherinnen. Die Mädchen haben eine Liste von „kleinen Dingen, über die wir uns geärgert haben“, zusammengestellt und vergleichen sie mit den großen Problemen auf unserem Planeten. Ihr Fazit: Im Ort mit Veränderungen anfangen, in der Nachbarschaftshilfe, beim Ramadama, der Feuerwehr oder „Mitschülern Nachhilfe geben, die nicht so gut Deutsch sprechen“.
Silberne Bürgermedaille für Peter Barth
Das war das Stichwort für Bürgermeister Reischl. Er überreichte Peter Barth die Silberne Bürgermedaille der Gemeinde, verbunden mit dem Eintrag ins Goldene Buch für dessen buchstäblich pausenlosen Einsatz für geflüchtete Menschen. Barth sorge mit seinem Engagement und dem des Helferkreises auch dafür, „dass die AfD in Hebertshausen mit die niedrigsten Zustimmungswerte hat“ (14,6 Prozent, Anm. der Red.) Nach all diesen „Beispielen von Licht und Glanz und Stärke“, wie Hubertus Schulz sagte, blieb nur noch der Programmpunkt Lichterkette.
Die Schönbrunnen Blasmusik spielte vor dem Rathaus „Amazing Grace“, Ordnerinnen und Ordner blieben gelassen beim Anblick der vielen Grüppchen statt der angedachten Menschenkette. Bunt glitzernde Kinderwagen, Buben und Mädchen mit selbst gebastelten Laternen „obwohl heute gar nicht Sankt Martin ist“, wie ein Bub sagte, Stirnlampen und Smartphone-Lichtern: Hebertshausen leuchtete – an diesem Tag der gelebten Demokratie, für deren Überleben sich jeder Einsatz lohnt.